Sie freuen sich. Sie sind glücklich. Zu recht. Am 21. September feierte das Leipziger Klezmer-Trio "Rozhinkes" Record Release für seine erste CD. Woran 2011 noch gar nicht zu denken war, als sich Antje Hoffmann (Klarinette), Samuel Seifert (Violine) und Tilmann Löser (Piano) erstmals zusammenfanden zu einem Konzertprojekt im Rahmen der 9. Jüdischen Woche in Leipzig. Nicht ganz zufällig. Auf dem Weg waren sie alle drei schon.

Samuel Seifert hat schon in seiner Jugend eine Bühnenkarriere als Klezmer-Musiker begonnen und dabei auch mit der Legende schlechthin zusammen musiziert – Giora Feidman. Antje Hofmann hat während ihres Musikstudiums ihre Liebe für Musik des osmanischen und jiddischen Kulturkreises entdeckt, hat extra noch beim türkischen Meister Nuri Karaemirli studiert und auch am Festival “Yiddish Summer Weimar” teilgenommen. Was einem als ewigem Neuling in der Weltmusik natürlich auch erst einmal bewusst werden muss, dass Klezmer ja keine einsame Insel ist, sondern Teil einer großen – dem Mitteleuropäer oft fremd anmutenden – Musikkultur, die von Südeuropa bis in die arabische Welt reicht.

Und Tilmann Löser wurde vom Zauber der Klezmer-Musik auf Reisen nach Krakow und New York angesteckt. Er war happy, als er mit Samuel Seifert und Antje Hofmann zwei Seelenverwandte in Leipzig traf. Und seither haben die drei miteinander musiziert, dass das Herz lachte und das Publikum von den Sitzen sprang. Und dabei haben sich die drei die ganze Bandbreite des Repertoires angeeignet, vom “B-Moll Bulgar”, der Antje an mitreißende Zirkusmusik erinnert, bis zur Mazl-Tov-Melodie, mit der Brautpaare in die Zeit der Freude gefeiert werden.Vieles – nein, eigentlich alles, was die drei auf ihrer CD jetzt versammelt haben, klingt vertraut. Manchmal, weil es direkt aus der klassischen Musik herübergeweht ist – wie die Mazurka aus dem Werk Frederic Chopins, anderes, weil es längst zum Schlager geworden ist – oder war es umgekehrt? Es ist egal: Nur die Titel lesen sich ein bisschen anders und erinnern daran, dass das Jiddische eine der vielen alten Spielarten des Deutschen war und ist. So lebendig wie andere deutsche Dialekte auch. Nur ein bisschen witziger, lebensfroher. Unüberhörbar in “Bay Mir Bistu Sheyn”. Für das Jiddische gilt dasselbe wie für das Sächsische: Die große bräsige Mehrheit in Deutschland fühlt sich dadurch befremdet. Weil es so vertraut wirkt, wie eine Karikatur des steifen Hochdeutschen. Obwohl es genau andersherum ist. Das Sächsische und das Jiddische sind dem ursprünglichen Idiom näher. Nur das Hochdeutsche ist davongestelzt in die Duden und Wörterbücher.

Aber selbst die Romantiker wussten es, dass viele Leidenschaften und Gefühle, die das deutsche Volkslied kennt, in den ursprünglichen Dialekten bunter wirken, lebendiger. Was auch daran erinnert, dass Klezmer zur großen Welt des Folk gehört. Die drei haben die ganze Bandbreite drauf – und nutzen ihre Arbeit auch, um die Welt musikalisch zu bereisen. Da ist mit “Chalmy Pana” ein polnisches Loblied dabei, das nicht einmal musikalisch aus diesem weiten und bunten musikalischen Rahmen fällt, genauso wenig wie der beschwingte Gruß an Jerusalem: “Ani Ole L’Irushalayim”. Und wo die Instrumente, die die drei Musikanten zuweilen aufspielen lassen wie eigene Stimmen, nicht ausreichen, da haben sich die “Rozhinkes” zwei Gäste dazugeholt – die Sängerin Karolina Trybala und den Bassisten Friedemann Seifert.Da wird aus der kleinen Kapelye eine größere Kapelye, die auch die nötige Klangtiefe hat, um die traurigen, wehmütigen Stücke zu spielen, ohne die die jiddische Musik nicht zu denken ist. Auch die fröhlichen Lieder der Klarinette nicht, denn diese Lebensfreude lebt von der Tiefe der Trauer, die sich auch manchmal – wie in “Vos Vet Zayn” – in schlichte Schönheit und Wehmut kleidet. Wenn es einen großen Nenner für den Klezmer gibt, dann ist es seine lebensfrohe Bescheidenheit. Die Themen stammen sämtlich aus dem Alltag mit seinen Höhen und Tiefen, seinen großen und kleinen Freuden. Vom immer neuen Beginnen – “Alex, Nokh A Mol!” – bis zum Trunkensein vor Glück (oder weil’s doch ein Gläschen mehr war) in “Shikker Wi Lot”. Und bei “Rozhinkes mit Mandlen” blühen die Musiker sowieso auf. Das ist ihr Lied, das sie seit 2011 immer im Programm haben und bei dem das Publikum auch mal aufsteht und mitsingt.

Verwirklicht haben die drei ihren Traum von einer eigenen CD mit Hilfe von Crowdfunding. Es ist eines dieser schönen Leipziger Projekte, die geglückt sind und denen man wünscht, dass es noch eine und noch eine CD gibt. Und noch ein Konzert und noch eines. Weil selbst die CD mit ihren 15 Titeln wie ein kleines Fest ist mit unermüdlichen Musikern und lauter Gästen, mit denen man gern zusammen ist. Und auch gern länger.

Früher, als große Musik-Label sich tatsächlich noch um Musik gekümmert haben und nicht um Hitparaden, da hätten die drei ihren Anruf längst gehabt und ihren Plattenvertrag. Aber auch dieser Teil der Welt ist mittlerweile deformiert. Und die wirklich bezaubernden Dinge geschehen am Rand, brauchen viel Emsigkeit und viele Freunde, die sie unterstützen. Das hat für “Momente” zum Glück geklappt.

Zwei Termine, bei denen die “Rhozinkes” ihre CD vorstellen, gibt es noch in den nächsten Tagen:

Am 11. Oktober um 20 Uhr im Ariowitsch Haus in Leipzig. Und am 12. Oktober um 19 Uhr im “intecta” in Halle/Saale (wo sie die 15 Musikstücke auch eingespielt haben).

Am 10. Oktober werden sie noch ein bisschen Lampenfieber haben. Da nehmen sie ab 20 Uhr am Moshe Beregowsky Newcomer Award in Valley bei München teil.

Rozhinkes “Momente”, Leipzig 2014, 18,90 Euro

www.rozhinkes.de

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