Das "Oratorium, Welches die Heilige Weyhnacht über in beyden Hauptkirchen zu Leipzig musiciret wurde", erklingt dieser Tage wieder vielfach in hiesigen Gotteshäusern. Die Aufführung der Kantaten I - III durch Leipziger Vocalensemble und Michaelis Consort unter Leitung von Ulrich Kaiser sorgte unter kritischen Zuhörern am Freitag für gemischte Gefühle.

Wer ist lauter? Chor, Orchester oder die Solisten? Eineinhalb Stunden lang liefern sich Musiker und Sänger auf der Orgelempore der Thomaskirche einen Wettstreit. Chorleiter Ulrich Kaiser greift viel zu selten korrigierend ein und lässt Ensembles und Solisten allzu oft gewähren. Schon beim berühmten Choral “Jauchzet, frohlocket…” zu Beginn der ersten Kantate muss das explosiv singende Vocalensemble gegen ein viel zu kräftig spielendes Michaelis Consort bestehen.

Während der Chor ab dem zweiten Choral das Lautstärke-Problem gelöst bekommt, tun sich die Solisten schwer. Susanne Krumbiegels flattriger Alt wird mehrfach von der Musik überrollt. Bassist Clemens Heidrich wirkt mit der Partie am Freitag überfordert. Dabei blickt der gebürtige Sachse auf eine über zehnjährige Karriere als Konzertsänger zurück. Doch bei der Arie “Großer Herr, o starker König” zeigt der Profi deutliche Unsicherheiten.
Angenehm dagegen Tenor Andreas Weller. Der Stuttgarter hat sich auf Alte Musik spezialisiert. Den Evangelisten trägt er auswendig voller Inbrunst in einer betörend zarten Klangfarbe vor, sodass der Zuschauer schlichtweg glauben muss, der Sänger identifiziere sich zu einhundert Prozent mit dem Text. Hörenswert ist auch Opernsängerin Viktorija Kaminskaite, deren schriller Sopran zielsicher jeden Ton einfängt.

Ulrich Kaiser führt die Mitwirkenden keinesfalls im Stechschritt durch das Oratorium. Der Leiter des MDR-Kinderchores benötigt für die drei Kantaten rund 81 Minuten. Etwa vier Minuten mehr als auf der bekannten Hanoncourt-Aufnahme. Dennoch wirkt dieses “Weihnachtsoratorium” zumindest in den Chorälen deutlich temporeicher. Die Sinfonia zu Beginn der zweiten Kantate klingt weder himmlisch noch volkstümlich, sondern düster wie ein Begräbnischoral. Insgesamt erweckt die Aufführung den Eindruck, als würde sich der Dirigent allzu sehr auf das Können von Chor und Musikern verlassen, deren Zusammenwirken jedoch nicht durchweg harmonisiert.

Der Star des Abends ist das Leipziger Vocalensemble. Bei aller Kritik darf nicht vergessen werden, dass der Chor zwar semiprofessionell arbeitet, aber aus ehrenamtlich tätigen Sängerinnen und Sängern besteht. Geprobt wird nach Feierabend. Eine Gage gibt es nicht. Unter den Zuhörern befinden sich offensichtlich viele, die nicht ganz freiwillig die eineinhalb Stunden aussitzen. Nicht wenige spielen mit ihren Smartphones statt andächtig den Bacheschen Klängen zu lauschen. Kaum ist der letzte Ton verstummt, erheben sich dieselben Besucher applaudierend von ihren Plätzen. Warum, wissen nur sie selbst.

Weiterer Termin: 6. Dezember 2014 | 20:00 Uhr | Thomaskirche Leipzig.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar