Da stelle man sich vor: Es ist Bach-Fest in Leipzig, und keiner kommt dran vorbei. Nicht nur, weil das Bach-Fest natürlich auch wieder Open Air zu erleben ist, wohl die schönste Art, den Leipziger Marktplatz zu bespielen, sondern weil auch ein freundlicher Violincellospieler aus New York da ist, der Bach dort spielt, wo ihn niemand erwartet. In diesem Fall: im Hauptbahnhof. Dale Henderson heißt der Bursche.

Sein Projekt „Bach in the Subways“ kennen die Leipziger schon. Wenn auch ohne seinen Erfinder. 2015 zum Beispiel brachten Leipziger Musiker die Stationen der S-Bahn zum Klingen. Den Youtube-Clip dazu finden Sie unterm Text.

Der natürlich befremdlich wirkt: Einige Leute bleiben stehen und lauschen, andere laufen vorbei, ohne auch nur innezuhalten. Züge fahren ein und aus.

Aber genau das ist das Bild unserer Zeit: Eile, Geschäftigkeit und Gedankenlosigkeit.

Und mit Bach können die Meisten nichts anfangen. Nicht nur in Leipzig, obwohl hier zumindest dieser stille Hauch der Verehrung durch die Gassen streicht und die meisten Leipziger ihren Thomaskantor lieben. Auch wenn sie seine Musik nicht verstehen, nicht hören. Was tragisch ist. Was mit fehlender Vermittlung in der Schule oder im Elternhaus zu tun hat. Und mit einer veränderten Einstellung zu Musik – heute muss es dröhnen, rocken, wimmern, alles übertönen. Musik ist für die Meisten keine Begegnung mehr mit sich, Gott und der Welt.

Bachs Musik aber lädt zur Begegnung ein. Sie wühlt auf, wenn man eintaucht. Sie berührt das Menschliche, eben da, wo die meisten nicht mehr berührt werden wollen. Wer sich darauf einlässt, erlebt eine Überwältigung. Das geht selbst gestandenen Musikern so, wie John Eliot Gardiner in seinem Bach-Buch so eindringlich beschreibt.

Aber Dale Henderson sah das nicht ein, warum das der Ton der Zeit sein sollte. Warum man den Eilenden Bach nicht nahebringen sollte.

2010 stieg der Musiker erstmals hinab in die Tiefen der New Yorker U-Bahn und spielte dort auf seinem Violoncello Bach. Suchte die Begegnung, und es klappte.

„Er war überzeugt davon, dass die sinkenden Zuhörerzahlen für klassische Musik daraus resultierten, dass viele Menschen klassische Musik niemals live und aus der Nähe hören können, und dass Bach der perfekte Botschafter für diese Kunstform sei“, heißt es heute auf der Homepage zu „Bach in the subways“. Denn das Projekt ist kein Ein-Mann-Projekt geblieben.

Am 10. März 2011 postete er auf Facebook“ “Musicians: pick any subway station & any time between 12:00 a.m. and 11:59 p.m. on Monday, March 21, play Bach, and when people try to give you money don’t take it. Just tell them it’s Bach’s birthday, and to enjoy the music. This is Bach in the Subways Day! If interested contact me.…“

Eine echte Geburtstagseinladung, der viele Musiker folgten und an Bachs Geburtstag in der New Yorker U-Bahn Bach spielten.

Das Projekt weckte ein weltweites Echo und wuchs sich zu einem riesigen Projekt aus, an dem weltweit hunderte Musiker teilnahmen. In 141 Städten in 40 Ländern gab es mittlerweile „Bach in the Subways“. Auch wenn es nicht immer die U-Bahn war, sondern auch mal ein anderer Platz, an dem die Nimmermüden strömen und auf einmal Bach erklang.

Leipzig war – wie erwähnt – auch schon Schauplatz.

Aber Dale Henderson war noch nicht hier.

Jetzt ist er es. Fast schüchtern ließ er am Donnerstag, 8. Juni, die Aufmerksamkeit der Fotografen vor dem Bachdenkmal auf dem Thomaskirchhof über sich ergehen.

Obwohl er die Aufmerksamkeit nun seit sieben Jahren kennt. Immer wieder zieht er los, um den großen Meister aus Leipzig an öffentlichen Plätzen zu würdigen.

Und jedes Jahr zu Johann Sebastian Bachs Geburtstag am 21. März tun sich seither Musiker aus aller Welt spontan zusammen, um den Boden zu bereiten für künftige Generationen von Klassik-Freunden und um ihre eigene Freude und Inspiration mit anderen zu teilen.

Nur in Leipzig war er noch nicht. Am originalen Ort. Das holt er jetzt nach.

Vom 8. bis 10. Juni ist Dale Henderson auf Einladung der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, des Bach-Archivs Leipzig und mit Unterstützung von Turkish Airlines für zwei originelle Auftritte in Leipzig, die er im Rahmen des Bachfestes absolviert.

Der eine Auftritt fand gleich am 8. Juni um 22:30 Uhr bei „500 Minuten Bach“ in der Thomaskirche statt, der nächste ist dann tatsächlich in jenem Freiraum, in dem sich auch die Leipziger viel zu selten Zeit nehmen, innezuhalten und zu lauschen: Am 10. Juni um 14 Uhr ist Dale Henderson mit seinem Violoncello in den Promenaden Hauptbahnhof bei den „BachSpielen Leipzig“ zu erleben.

Zwischendrin bleibt ihm Zeit (auch mit Hilfe des LTM) Leipzig endlich einmal kennenzulernen. Und eine Einladung ist auch schon ausgesprochen: 2018 kann es passieren, dass Dale Henderson tatsächlich zu Bachs Geburtstag am 21. März in Leipzig ist und den großen Meister der Barockmusik zelebriert – vielleicht sogar unten in Leipzigs schöner U-Bahn, die eigentlich eine S-Bahn ist.

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