Dass ein großes Jubiläum und die Inthronisierung eines neuen Chefdirigenten terminlich zusammenfallen, passiert in der Klassik-Welt nicht alle Tage. Umso standesgemäßer sollen die Feierlichkeiten ausfallen, dachten sich die Programmgestalter des Leipziger Gewandhauses. Das Problem: Das Publikum scheint an dem musikalischen Großereignis kein besonders großes Interesse zu haben. Für die meisten Veranstaltungen sind noch Karten erhältlich.

Man stelle sich einmal vor, es ist 275-jähriges Gewandhausjubiläum und (fast) keiner geht hin. Zumindest in der Oper könnte dieser Alptraum Wirklichkeit werden. Intendant und Strauss-Liebhaber Ulf Schirmer hat zu den Feierlichkeiten die „Salome“ auf den Spielplan gesetzt. Gefühlt die Hälfte der Tickets sind für die Festvorstellung am 10. März noch zu haben. Im Gewandhaus gegenüber, auf der anderen Seite des Augustusplatzes, ist bisher nur das Familienkonzert am 3. März restlos vergriffen. Dann stehen Auszüge aus Mozarts „Zauberflöte“ und der Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung“ auf dem Programm.

Für die übrigen Auftritte des „Meisters seines Fachs“, wie das Gewandhaus den Maestro in großen Tönen ankündigt, waren am Nachmittag noch Restkarten verfügbar – auch für das prestigeträchtige Jubiläumskonzert am 11. März mit Festansprache von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Gewiss, die allermeisten Tickets sind längst abgesetzt. Das ist für Leipziger Verhältnisse keine Besonderheit.

Die Auslastung in den Großen Concerten, wie das Gewandhaus die Sinfoniekonzerte nennt, liegt generell jenseits der 90 Prozent. Wenn am Vorabend des offiziellen Amtseinführungskonzerts noch Restkarten im Online-Ticketshop erworben werden können, kann von großer Begeisterung oder einer stark ausgeprägten Neugier des Publikums auf den neuen Superstar keine Rede sein.

Andris Nelsons und das Gewandhausorchester. Foto: Alexander Böhm
Andris Nelsons und das Gewandhausorchester. Foto: Alexander Böhm

Zwar ist Andris Nelsons für das hiesige Publikum kein Neuling. Der 39-Jährige dirigiert seit einigen Jahren Große Concerte, vornehmlich mit Klassikern aus dem 19. Jahrhundert. Dass der Lette sein erstes Plattenprojekt mit den Leipzigern ausgerechnet Anton Bruckner gewidmet hat, könnte als ein Fingerzeig interpretiert werden, wohin die musikalische Reise unter seiner Ägide gehen wird.

Unter Arthur Nikisch wurde 1884 Bruckners 7. Sinfonie im Gewandhaus uraufgeführt. Darüber hinaus lässt die Biografie des Österreichers keine besonderen Beziehungen zur Messestadt erkennen.

Gewiss, Bruckner gehört heute zum Repertoire des Orchesters. Die Musik ist aber gerade nicht Bestandteil seines innersten Kernrepertoires, seiner DNA. Bruckner ist „nur“ Bruckner, kein Mendelssohn, Bach, Beethoven, oder Brahms. Man muss Nelsons zugute halten, dass er die Bruckner-Sinfonien mit sinfonischen Auszügen aus Opern Richard Wagners kombiniert. Dennoch sorgt die Tatsache, dass der neue Kapellmeister seinen ersten Konzert- und CD-Zyklus nicht mit Werken der Hausgötter beginnt, bei dem einen oder anderen Klassikfan für leichtes Stirnrunzeln.

Womöglich müssen sich die Leipziger erst noch an die programmatische Handschrift des vergleichsweise jungen Maestros gewöhnen. Nelsons möchte Bewährtes mit Neuem kombinieren. Die Festtagsprogramme verbinden bekannte Klassiker mit Auftragswerken. Hauskomponist Jörg Widmann wird seine Neukreation im Jubiläumskonzert dem Publikum vorstellen. Hinzu gesellen sich Ur- und deutsche Erstaufführungen neuer Kompositionen von Steffen Schleiermacher, Aristides Strongylis und Thomas Larcher.

Hinzu kommen Kammermusik, moderierte Gesprächskreise mit dem Maestro und Gästen, die öffentliche Präsentation der Konzertsaison 2018/19, Motetten und ein Jubiläumschorkonzert. Ob die Festtage für das Gewandhaus zum Erfolg oder Fiasko werden, werden die kommenden drei Wochen zeigen. Es liegt an Andris Nelsons und seinen Musikern, die Leipziger für die Musik zu begeistern.

Warum so eilig oder Wie wird man wieder Herr seiner Zeit?

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