Hinfallen. Wieder aufstehen. Sich nicht entmutigen lassen. „Nimm das Leben, wie es kommt und geht“, heißt es im letzten Lied auf der Scheibe, die die Leipziger Band Schlinge Caransa jetzt vorgelegt hat. Mit ihrem charismatischen Sänger Jens Döring, hätte ich beinahe geschrieben. Aber da denkt man an das Falsche. Nicht an eine Band, die mitten in Connewitz auf der Straße spielen könnte. Am Samstag ist Konzert im UT Connewitz.

Dann stellt Schlinge Caransa ihre neue Scheibe vor: „Städte ohne Hafen“. Zehn Songs, die vom Leben und Überleben in der Großstadt erzählen, von zerplatzten Träumen und der stillen Verzweiflung darüber, wie unsere Welt gerade vor die Hunde geht. Und man kann nichts ändern. Steht da, ist Pflasterkönig, läuft sich die Hacken ab. „So viele Kriege auf dieser Erde. So viel Liebe durch deine kleine Hand. So viel Millionen auf den Konten. So viel nicht gelebte Wut“, heißt es gleich im ersten Song „Alphabet des Überflusses“. 

Melancholie, Trauer und Hoffnung – doch was ist es?

Und wer jetzt denkt, das müsste die Band doch mit ordentlich Punk auf die Bühne bringen, der irrt. Schlinge Caransa ist gelebte Melancholie, Trauer, Hoffnung und das bodenständige Gefühl, das einer nur hat, wenn er wirklich weiß, wie das ist, völlig abgebrannt zu sein. Das Konto leergeräumt. „Wir stehen wie Bettler mit gesenkten Kopf. Die Straßenlaternen taumeln. Tanzen ein Lied.“

Die Texte stammen fast alle von Jens Döring. Auch dieser: „Am Rand von Berlin“.

Die Musik stammt mal von Christian Meier, der das Klavier spielt, mal von Mike Rehm, den man im Konzert am Bass erlebt. Und es passt. Als hätten sich hier vier gefunden. Endlich. Der vierte ist Ingo Ritzmann am Schlagzeug.

Aber was ist es? Großstadt-Folk? Melancholisches Chanson? Leipzig-Blues, bei dem man schon bei den ersten Takten an regennasse Straßen bei Nacht, verschlossene Türen und da und dort ein paar erleuchtete Fenster denkt, zu denen ein Bursche mit hochgeschlagenen Jackenkragen hochschaut? Nur sieht ihn keiner, denn die Straße ist von oben bis unten mit Autos zugestellt. Von einem Meer weit und breit nichts zu sehen. Kein Hafen weit und breit.

Wie Schlinge Caransa ihre Musik selbst beschreibt

„Das soll Pop sein? Dafür wurzelt dieses Nachtschattengewächs zu tief! Rock? Ohne Gitarren? Kaum vorstellbar! Die kleine Jazzbesetzung mit Klavier, Bass und Schlagzeug führt in die Irre und die Schlagerbox weit zu öffnen verbietet sich von selbst! Allerdings: Der bitter-süße Cocktail, den sich Schlinge Caransa bevorzugt mischt, besticht durch viele wohldosierte Zutaten.

Die vier Musiker von Schlinge Caransa. Foto: Schlinge Caransa
Die vier Musiker von Schlinge Caransa. Foto: Schlinge Caransa

Eindrucksvoll ist der Gesang von Jens Döring, der keinen Zweifel daran lässt, dass die erzählten Geschichten und Bilder von Sehnsucht und Liebe, Meer und mehr, tief empfunden sind. Sein Instrument ist das Akkordeon, wodurch eine Einordnung der Leipziger Band möglicher wird: Schlinge Caransa spielt ruppige, deutsche Chansons, die lange im Ohr bleiben und nachdenklich glücklich machen. Dabei bietet die Musik den Soundtrack zu den lyrischen Texten, die – mal zerbrechlich, mal impulsiv – die Schönheit des Vergänglichen feiern und der Vergänglichkeit des Schönen mit leidenschaftlicher Wehmut und trotziger Zuversicht begegnen.“

Wie Schlinge Caransa sich selbst beschreibt

„Die Leipziger Band Schlinge Caransa erzählt Geschichten, die fesseln und spielt Musik, die lange nachhallt. Zwischen zarter Poesie und intensiven Ausbrüchen schwanken die Gefühle, und die Gedanken schweifen ab, wenn Jens Döring seine charakteristische Stimme über manche Abgründe erhebt und sich nur noch am Akkordeon festhalten kann, während ihm seine Flugbegleiter an Klavier, Bass und Schlagzeug folgen und letztlich wieder den Weg ins heimische Connewitz weisen.“

„Städte ohne Hafen“

„Städte ohne Hafen“ ist das zweite Album von Schlinge Caransa. Die Band aus dem Leipziger Süden hat sich seit ihrem Debüt aus dem Jahr 2014 viel Zeit genommen, um in veränderter Besetzung ihren charakteristischen Stil zu entwickeln. So entstanden in den vergangenen Jahren zehn Stücke, die sich eigenwillig geben und dabei das Album dennoch aus einem Guss erscheinen lassen.

Das Ergebnis ist ein Soundtrack des Lebens, in dem zunächst mit verwunderter Skepsis die Außenwelt beobachtet wird, sich dann der Blick aber immer mehr ins Innere richtet, um der eigenen Vergänglichkeit zu begegnen. Dies jedoch ohne Resignation: Der Pflasterkönig wird schließlich gekrönt, der Schnee von gestern ist immer noch Wasser, und auf dem Novemberbalkon stehen rote Tomaten!

Begleitet von einem Frauenchor reiferen Alters bleiben Schlinge Caransa im Abspann nicht alleine und nehmen das Leben wie den Wind, der manchmal still ist und auch mal stürmisch weht.

Das Record-Release-Konzert

Das aktuelle Album „Städte ohne Hafen“ ist im Herbst 2022 erschienen und beweist: Schlinge Caransa hat immer noch rote Tomaten auf dem Novemberbalkon! Die CD „Städte ohne Hafen“ erscheint am Samstag, dem 26. November, zum Record-Release-Konzert im „UT Connewitz“.

Das Konzert beginnt 20 Uhr.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar