Eigentlich darf man die Puppenspieler im Figurentheaterzentrum Westflügel Leipzig nicht mehr weglassen, wenn man über das zunehmend zeitkritische Theater in Leipzig spricht. Immer öfter greift man dort zu literarischen Vorlagen, die den Zahnschmerz unserer Zeit treffen. Diesmal wieder zu einer Geschichte von E. T. A. Hoffmann, der 1819 schon aufs Korn nahm, was heute gern mit Aufklärung verwechselt wird: „Aufklärung“ eben. Im allerschlimmsten Sinn.

Als „ein Produkt des Fiebers und einer ironisierenden Phantasie“ bezeichnete der Kammergerichtsrat und unverwechselbare Dichter der Spätromantik E. T. A. Hoffmann sein Kunstmärchen „Klein Zaches, genannt Zinnober“. Doch fast 200 Jahre nach dessen Entstehung – und weitere drei Jahre, nachdem der in Leipzig als Theater-Musikdirektor wirkende Hoffmann die Stadt wieder verließ –  liest sich das Märchen stellenweise auch wie die poetisch-satirische Schilderung des jüngsten Werdegangs eines amerikanischen Immobilien-Tycoons auf LSD.

Nach allen Regeln der Kunst zeigt das Figurentheaterduo Lehmann und Wenzel vom 22. bis 24. Juni am Westflügel Leipzig in „Zaches“, das schon weit vor Trump, im Oktober 2015, Premiere hatte, in flirrendem Tempo und voller Spielwitz die letzten unaufgeklärten Wunder und lässt nichts unversucht, dem kleinen Feuerkopf mit dem magischen Spiegel auf den Leib zu rücken.

Worum geht es?

Auch nach der großen Staatsreform durch Fürst Paphnutius, die der „Aufklärung“ zum Durchbruch verhelfen und die alte Macht der Feen und Zauberer brechen soll, geschehen wunderliche Dinge im Fürstentum. Alles Gute, das passiert, wird plötzlich dem bösartigen Gnom Zaches zugeschrieben, während die vernünftigen Wesen schier verzweifeln oder aus dem Land gejagt werden.

Aber diese Verordnung der „Aufklärung“ von oben hat mit Aufklärung nicht viel zu tun – eher mit einer ziemlich gefährlichen Technikgläubigkeit. Und vor allem mit absolutistischem Allmachtswahn. Denn Aufklärung ist eben nicht die hochfürstliche Beglückung mit den „Segnungen des Fortschritts“, als welche auch heute noch viele Politiker das verstehen, was sie tun, sondern zuallererst Bildung. Für alle. Die Selbstbefreiung des Menschen aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant).

Auch das heute wieder ein Thema, auch und gerade im Bildungsbereich, den verantwortliche „Reformer“ gern als Dienstmagd zur Produktion sofort verwendbarer Fachkräfte in der Wirtschaft verstehen, die beileibe nicht selbstständig denken sollen, sondern funktionieren.

Was eine Unzahl von Missverständnissen über Bildung nach sich zieht.

Fürst Paphnutius handelt nicht wie ein aufgeklärter Fürst, sondern wie einer, der sein Volk mit Gewalt in „glückliche Zukünfte“ zwingen will.

Und Zaches dient ihm dazu.

Zaches wird zum Geheimen Spezialrat, dem eigentlichen Strippenzieher des Fürstentums, ernannt, weil ihm alles Gute und Staatsdienliche zugetraut wird und sein bösartiger Charakter wundersamerweise nur im besten Licht gesehen wird. Selbst die wunderschöne Candida scheint merkwürdig besessen zu sein von der schönen Hässlichkeit oder hässlichen Schönheit des mittlerweile schon zum Minister für auswärtige Angelegenheiten ernannten Zaches.

In einer Welt, in der es wahrhaftige Wunder, Feen und Zauberer gibt, und alles, was der lieben Natur zu sprießen beliebt, in den verrücktesten Weisen wuchert, wird vom regierenden Fürsten plötzlich per Dekret das eingeführt, was er nun „Aufklärung“ nennt. Jetzt ist tatsächlich alles klar: Die Finsternis rührt hauptsächlich vom Mangel an Licht her. Die Universitätsstadt Kerepes wird Haupthandlungsort und erklärt sich die Welt. Damit ist die Natur – auch die menschliche – gebändigt. Die Wunderwesen tauchen ab.

Übrigens ein Grundmotiv bei E. T. A. Hoffmann, der die rigide Technikgläubigkeit und den Machbarkeitswahn der neuen Weltgestalter als größte Bedrohung für eine Welt empfand, die er als wunderbar empfand. Es sind die aufkommenden Macher, die ihn entsetzten.

Ist Klein-Zaches also ein weiteres anderes Ich des krankheitsgeplagten Dichters?

Man sollte erwarten, dass von nun an alles mit rechten Dingen zugeht, doch trifft ausgerechnet jetzt das Stiftsfräulein von Rosenschön, die heimliche Fee Rosabelverde, auf Zaches, den kleinen missgestalteten Wechselbalg. Und zückt kurzerhand ihren Zauberkamm.

Von hier an weiß niemand mehr so recht, was schön und hässlich ist, aber klar ist, dass alles Gute von Zaches kommt. Also wird dieser geliebt und sogar zum Minister. „Applaus Applaus, kommen Sie näher! Sehen Sie das Wunder! Hier auf unserer Schaustellerbühne: Der Herr Zinnober ist die beste Sängerin der Welt!“

Denn wer die Macht hat, der hat auch den Glanz des Wundersamen.

Ist es nicht so?

Die Spieler Samira Lehmann und Stefan Wenzel beschwören den kleinen Hexenkerl mit dampfendem Rumms und klirrenden Saiten, lädt der Westflügel ein zur Wiederaufnahme des Stückes. Sie singen und tanzen, versuchen ihn zu fassen und das trübe Wasser mit bunten Farben zu klären. Im magischen Spiegel schlagen sie zu.

Und die Zuschauer werden blaue Düfte sehen und von der leckersten Zwiebel kosten. „Die letzten unaufgeklärten Wunder werden Ihnen gezeigt. Und natürlich wird Ihnen die Geschichte von Zaches nach allen Regeln der Kunst erzählt. Seien Sie sicher, dass Sie bei uns getäuscht werden!“, verlockt der Westflügel ins abendliche Theater.

Die Aufführungen von „Zaches“ im Westflügel (Hähnelstraße 27) kann man am Donnerstag, 22. Juni, Freitag, 23. Juni, und Samstag, 24. Juni jeweils 21 Uhr erleben.

Karten: 12/8 Euro ermäßigt, Reservierungen: Tel. (0341) 260 90 06 (Mailbox) oder Mail: service@westfluegel.de

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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