In der Oper Leipzig hob sich am Samstag zum zweiten Mal in diesem Jahr der Vorhang für eine Wagner-Premiere. Und was für eine. Enrico Lübbe und sein Team lieferten dem Publikum eine der interessanteren Tristan-Inszenierungen der letzten Jahre. Das Premierenpublikum war begeistert.

Ausgangspunkt für Lübbe, seinen langjährigen Assistenten Torsten Buß und Ausstatter Etienne Pluss legen ihrer Inszenierung die Vorgeschichte der „Handlung in drei Aufzügen“ zugrunde. Und die buddhistische Idee des Versinkens im Nichts nach dem Tode, von der Wagner und sein Lieblingsphilosoph Arthur Schopenhauer so sehr angetan waren.

Die Unendlichkeit, das Nichts, wird durch einen weißstrahlenden Rahmen visualisiert, der die Schwelle zwischen Bühnenraum und Vorbühne bildet. Das Bühnenbild, eine hölzerne Trümmerlandschaft, symbolisiert das Vergangene. Tristan und Isolde sind hier längst Verlorene, ehe das Orchester zu spielen beginnt. Während des Vorspiels starren die Zuschauer durch den Rahmen auf ein schwarzes Loch. Schemenhaft formt sich darin das Bühnenbild. Das Labyrinth auf der Drehbühne, bestehend aus losen Versatzstücken von Gebäuden, Treppen, Gängen und sogar einem Schiffswrack, wird durch Videoprojektionen zusätzlich verstärkt, die Kamerafahrten durch Kulissen zeigen.

Der Rahmen bildet die Schwelle zwischen innerer und äußerer Handlung. Zwischen Realität und Fiktion. Irdischem Dasein und Unendlichkeit. Haben die Protagonisten erst einmal von dem Liebestrank getrunken, überschreiten sie gedankenlos die Schwelle in jene andere Welt, in der sie von ihren irdischen Leiden erlöst zu sein scheinen. Der Trank wirkt hier wie eine Droge, die ihre Konsumenten in einen unendlichen Rauschzustand zu versetzen vermag.

Foto: Tom Schulze

Mit wirkungsvollen Lichteffekten und einer intelligenten Figurenführung kreierte das Regie-Team eine knisternde Spannung, die sich durch den gesamten Abend zieht. Das Liebesduett im zweiten Akt, ein emotionaler Höhepunkt der Oper, der in vielen Inszenierungen als langatmig empfunden wird, kann gar nicht lang genug fortdauern. Zu faszinierend war das Spiel von Tristan-Sänger Daniel Kirch und Isolde-Interpretin Meagan Miller, die im zweiten Akt erstaunlich oft zwischen Realität und Fiktion hin und her wechselten.

Mit seinen vielen Licht- und Szenenwechseln, der Vervielfachung der Figuren, Projektionen auf dem Vorhang zwischen Vor- und Hauptbühne und den zahllosen Lichtstimmungen, bot der Abend jede Menge zu sehen. Im dritten Akt spielte Solistin Gundel Jannemann-Fischer das Englischhorn inmitten der Kulissen. Die Musik verschmolz so unmittelbar mit der Handlung.

Dass das Regiekonzept aufgegangen ist, war natürlich auch Verdienst der spielfreudigen Solisten. Daniel Kirch sang den Tristan mit breiter Brust, aber ohne zu überzeichnen. Der Text war jederzeit zu verstehen. Meagan Miller gab eine darstellerisch starke Darbietung, hatte aber hörbare Probleme mit der Artikulation der Konsonanten und wirkte insgesamt etwas kraftlos. Jukka Rasilainen gefiel als kaltschnäuziger Kurwenal.

Die Entdeckung des Abends war Ensemblemitglied Sebastian Pilgrim, der für seinen König Marke zu Recht die lautesten Beifallsbekundungen erhielt. Barbara Kozelj hatte als Brangäne schauspielerisch keine großen Hürden zu überwinden, überzeugte dafür umso mehr mit einer grundsoliden Darbietung.

Foto: Tom Schulze

Am Pult des Gewandhausorchesters interpretierte Hausherr Ulf Schirmer den „Tristan“ erfrischend lebendig, wobei die düsteren Streicher und als Kontrast das warme Holz die düstere Grundstimmung auf der Bühne treffend untersetzten. Bis 2022 möchte Schirmer alle Wagner-Opern ins Repertoire aufnehmen. Als nächstes kommt im Herbst 2020 ein neuer „Lohengrin“. Bei der Koproduktion mit dem Liceu Barcelona führt Bayreuth-Chefin Katharina Wagner Regie.

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