Es ist das zweite Stück der finnischen Autorin E. L. Karhu, das seinen Weg auf die Bühne des Leipziger Schauspiels findet und am 6. März seine Uraufführung erlebte. Wie bei „Prinzessin Hamlet“ steht auch bei „Eriopis“ eine Frau im Mittelpunkt, welche durch die Gesellschaft in eine unglückselige Rolle gedrängt wird: Als Eriopis, eine stark traumatisierte Teenagerin, zu ihrem berühmten Vater Jason nach Helsinki zieht, steht sie auf einmal mitten im gnadenlosen Scheinwerferlicht.

Ein Motiv, welches Karhu sehr zu beschäftigen scheint, ist das (Familien-)Drama, wie bei „Prinzessin Hamlet“ in einen historischen Kontext verpackt. Wer nun die szenische Darstellung eines an den Medea-Stoff angelehnten Stückes erwartet, wird enttäuscht: im Mittelpunkt der Handlung stehen die Gefühlswelt und das Trauma der Eriopis.

Nach der Trennung von ihrem Mann Jason reißt Medea ihre Tochter Eriopis und die beiden jüngeren Zwillinge aus dem gewohnten Umfeld in Helsinki und zieht mit ihnen nach Lappland in die finnische Wildnis. Dort errichtet sie eine Art Tourismusunternehmen für vorwiegend ausländische Wanderer. Sie übernachten in dem Haus im Wald und begeben sich auf oft waghalsige Wanderungen.

Verirrt sich ein Tourist im Wald, folgt Medea mit ihrem Hundeschlitten um ihn zu retten. Doch irgendwann fährt Medea den Touristen nicht mehr hinterher… in einigen Teilen des Waldes kann man die zu Eissäulen erstarrten Wanderer bewundern. Und Eriopis muss weitere Grausamkeiten der Mutter still zur Kenntnis nehmen: die Schlittenhunde, für sie ebenfalls wie Brüder, werden in Käfige gesperrt und erschlagen, sobald sie sich nicht den Vorstellungen Medeas entsprechend verhalten.

Eriopis. Foto: Rolf Arnold, Schauspiel Leipzig
Eriopis. Foto: Rolf Arnold, Schauspiel Leipzig

Es folgt das brutalste Werk der Mutter: Eines Tages verschwindet sie mit den Zwillingen im Wald und kehrt ohne jene zurück. Zeitgleich scheint sie für die Handlung des Stückes die Bedeutung zu verlieren.

Nun geschieht ein Szenenwechsel: Der Vater Jason holt Eriopis zu sich nach Helsinki. Bald kommt die grässliche Tat der Mutter ans Licht. Die eh schon völlig verstörte Eriopis muss nun auf jeder Werbetafel in das Gesicht der Medea blicken und wird in Talkshows dazu gedrängt, ihre Geschichte zu erzählen – als geliebte Tochter des bewunderten Musikers, der sie aber nur vor laufender Kamera in den Arm nimmt und sie eigentlich gar nicht kennt.

Gegen Ende der Tragödie kehrt Eriopis an den Ort des grausamen Geschehens zurück und übernimmt das Tourismusunternehmen der Mutter, wobei die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit vollständig zu verschwimmen scheint.

Yuka Yangihara, die in der Leipziger Inszenierung die meiste Zeit die Rolle der Eriopis verkörpert, beeindruckt besonders durch ihr aggressives, ausdrucksloses Starren, mit welchem sie das Publikum schon erwartet, als dieses den Saal betritt. Die zweite Hauptdarstellerin, Julia Berke, wird zur Erzählerin, zeitweise auch Journalistin, die die stumme Eriopis mit Fragen löchert. Dabei wechseln die beiden Schauspielerinnen hin und wieder die Rollen. So schlüpft Yangihara plötzlich in die Rolle einer durchgeknallten, dauergrinsenden Talkshowmoderatorin.

Untermalt wird das Stück durch das Klavierspiel von Michael Wilhelmi, der zusätzlich Vater Jason spielt. Er holt teils unerwartete Sounds aus seinem Flügel: Mal sind es theatralische Klänge, die an Jumpscares aus Horrorfilmen erinnern, mal ist es entspanntes Pianogeklimper, mal ein fröhliches, fast poppiges Stück.

Die Inszenierung liegt irgendwo zwischen Horrorshow und Quatschtheater, auf tragische und unbequeme Bühnenbilder folgen schrille und überzogene Comedyeinlagen. Die Story an sich wird eher in den Hintergrund gerückt, das Trauma der Eriopis dagegen bis ins zermürbende Detail dargestellt. Das Stück wirkt wie eine manische Depression, ein ständiger Wechsel aus Dramatik und Heiterkeit.

Unterstrichen wird dieser Eindruck durch Spielereien aus Licht und Schatten sowie an die weißen Wände projizierte Videoaufnahmen und eine Menge Nebel. Die Bühne wird beherrscht von teils diffusen, teils verstörenden Bildern. Besonders grausig sind die Erzählungen und Darstellungen von Eriopis Träumen. Leichte Kost ist das Stück keineswegs. Am Ende fühlte ich mich selbst, als erwachte ich aus einem verrückten Traum.

Nächster wahrscheinlicher Spieltermin: 18. April, 20 Uhr, in der Diskothek des Schauspiels Leipzig.

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