Wer einen spannenden Gerichtskrimi erwartet, ist im Prozess über den fast-tödlichen Ausgang einer Geburtstagsfeier in Machern (Landkreis Leipzig) definitiv im falschen Film gelandet. Die Verhandlung vor dem Leipziger Landgericht plätschert von Beginn an äußert zähflüssig vor sich hin. Am Donnerstag, 16. Februar, schickte Richter Norbert Göbel einen erschöpften Zeugen nach mehrstündiger Vernehmung vorzeitig nach Hause.

Eine 16-jährige Schülerin wollte nicht mehr. Der mittfünfziger Richter hatte so lange und eindringlich nachgefragt, dass sie auf die Anwesenheit ihrer Eltern bestand. Mit einem Urteil ist nicht vor Juli zu rechnen.

Björn R. (17) und Christian K. (21) suchten am 26. April 2011 Streit. Während der Fete bei einer Freundin sollen sie Vincent L. (18) halbtot geprügelt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden vor, auf den Kopf des jungen Mannes eingetreten zu haben. Christian K. legte zu Prozessbeginn ein umfangreiches Geständnis ab. Björn R. räumte zwar einen Schlag in L.’s Gesicht ein, bestritt aber, zugetreten zu haben. Das Motiv der beiden liegt bisher im Dunkeln.

Beide hatten an dem Abend ordentlich gebechert. Christian K. bekannte sich offensiv zu seiner Alkoholsucht. Er trinke seit er 15 ist, um seine Probleme besser in den Griff zu bekommen. Davon hatte er jede Menge: Trennung der Eltern, Unterbringung im Heim, sexueller Missbrauch der Schwester durch ihren Großvater. Jetzt plane sein Mandant eine Entzugstherapie, ließ Verteidiger Ingo Stolzenburg wissen.

Keine Frage, der pummelige Mann im weißen Strickpulli, der in einer Pause genüsslich ein Schinkenbrötchen mampft, hat eine schwere Jugend hinter sich. Mittlerweile lebt er wieder bei seiner Mutter, die den Prozess aufmerksam verfolgt. Das frisch verpasste Muttersöhnchenimage könnte die Kammer bei der Urteilsfindung milde stimmen. Zur Tatzeit lebte er noch bei seinem Großvater. “Mein Zimmer sah damals aus wie eine Müllhalde”, schrieb er in einer Erklärung, die sein Anwalt verlas.

Anders der Auftritt seines Mitangeklagten. Björn R. erscheint in Jeans, Sakko und grauem Business-Hemd im Gerichtssaal. Er mimt das gutbürgerliche Mittelstandskiddie, das sich im Suff einen peinlichen Ausrutscher auf der Karriereleiter gegönnt hat. Statt in Abschlussprüfungen fand er sich vergangenen Juni in U-Haft wieder. Nach einem Monat kam er auf freien Fuß, holte seinen Realschulabschluss nach. Weil er sich tolpatschig anstellte, brach er eine im August begonnene Ausbildung als Steinmetz wieder ab. Wegen der Meldeauflagen hätte er, so glaubte er zumindest, die Berufsschule in Bayern nicht besuchen können. Derweil leistet er ein Freiwilliges Soziales Jahr im Uni-Klinikum. Auf keinen Fall hätte er etwas mit den Tritten gegen den schlaksigen Heranwachsenden zu tun, der den Prozess als Nebenkläger verfolgt. Zwar habe er dem Betroffenen ins Gesicht geschlagen. Zugetreten habe nur Christian K.Die einstige Männerfreundschaft scheint zerrissen. Der junge Mann mit fülligem Gesicht, gestylten Haaren und einer bitterernsten Miene, als besuche er die Beerdigung eines nahen Angehörigen, belastet seinen damaligen Kumpel schwer. Der wirft ihm wiederum vor, sich an der Tat beteiligt zu haben. Außerdem soll er im Vorfeld Zeugen unter Druck gesetzt haben, um unbeschadet seinen Hals aus der Affäre zu ziehen. Zutrauen würde man das dem wortgewandten Angeklagten. Denn hinter der biederen Fassade schimmert hier und dort ein anderer Björn R. durch. Unter seinem linken Ärmel lugt eine Tätowierung hervor. Beide Angeklagten sollen mit rechtem Gedankengut kokettieren. Ihr Opfer engagiert sich gegen Neonazis. Den Verdacht, die Tat könnte politisch motiviert sein, wies R. von vornherein zurück. Aus gutem Grund, müsste man doch in dem Fall von versuchtem Mord reden. “Ich verfolge keine politischen Absichten.”

Doch seine Sorge scheint unbegründet. Sogar die Nebenklage geht im Prozess nicht von einer rechtsmotivierten Tat aus. “Wir können das nicht beweisen”, erklärt Opferanwalt Valentin Theil gegenüber L-IZ.de. Zwar waren die politischen Ansichten seines Mandanten bei der Dorfjugend bekannt. Er hielt sich aber nur kurz auf der Feier auf. Haben ihn die Angreifer überhaupt erkannt? Konnten sie die Parole lesen, die auf seinem Unterarm eintätowiert ist? Mit Fragen wie diesen wird sich die Kammer voraussichtlich nicht auseinanderzusetzen brauchen.

Zurück zu Björn R., der das Geschehen im cremegelben Sitzungssaal 100 aufmerksam, aber anteilslos verfolgt. Wie versteinert wirken die Gesichter seiner Eltern. An ihren besorgten Blicken lässt sich ablesen, dass sie befürchten, ihr Sohn könnte jeden Moment seine Zukunft zu Grabe tragen. Wohl auch deshalb ruht all ihre Hoffnung auf den breiten Schultern von Curt-Matthias Engel. Der Leipziger Strafverteidiger versucht zu retten, was denn noch zu retten ist.

Seine Strategie lässt sich auf eine simple Frage reduzieren: Wollte Björn R. sein Opfer töten? Falls er von Vincent L. zurückwich, bevor Christian K. die potenziell tödlichen Tritte ausführte, könnte er lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung belangt werden. Das würde ihm einen abermaligen Aufenthalt hinter Gittern wohl ersparen. Deshalb versucht der Jurist in mühseliger Sisyphosarbeit, den Angriff minutiös zu rekonstruieren. Sehr zum Leidwesen der übrigen Beteiligten. Die meisten Zeugenbefragungen zogen sich bisher über mehrere Stunden hin.

Am Dienstag schilderte Vincent L. drei Stunden lang sein Martyrium. Am Donnerstag vernahm die Kammer Pascal S. (16). Die Aussage des Schülers brachte kaum neue Erkenntnisse, aber Dank Engels Liebe zum Detail verbrachte er den halben Tag bei Gericht, bevor ihn Richter Göbel sichtlich erschöpft nach Hause schickte. Im Mai darf er wiederkommen. Auch Luisa W. darf noch einmal in die Messestadt reisen. Die 16-Jährige aus Beucha sagte aus, dass sie mit R. unmittelbar nach der Tat über Beziehungsprobleme gequatscht hätte. Das nahm ihr Göbel nicht ab. Von seinen mahnenden Worten und der Kulisse eingeschüchtert, bestand die Schülerin darauf, in Anwesenheit eines Elternteils vernommen zu werden. Der Prozess wird fortgesetzt.

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