Dass sich die Verfassungsschützer schwer tun im Umgang mit organisierter Kriminalität, ist seit dem NSU-Affäre traurige Gewissheit. Die Zwickauer Rechtsterroristen bestritten ihren Lebensunterhalt teils mit Geldern des Thüringer Landesamtes. Warum die drei Jahre lang unentdeckt in Sachsen leben konnten, wissen vermutlich nur die Schlapphüte.

Während die Behörden in ganz kleinen Häppchen an der Aufarbeitung des Skandals knabbern, die ihre Existenz in Frage stellt, bahnt sich gleich der nächste an. Am Morgen des 28. März durchsuchte die Staatsanwaltschaft Gera Wohnungen in Sachsen und Thüringen. Anlass ist ein Verfahren wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs.

Pikant: Zu den 13 Beschuldigten zählen Tino Brandt aus Rudolstadt und Thomas Dienel aus Leipzig. Beide waren langjährige führende Neonazis, ranghohe Funktionäre der NPD und über Jahre V-Leute des thüringischen Verfassungsschutzes. Offensichtlich förderte der Nachrichtendienst mehr Kriminelle als bisher bekannt. Seine ehemaligen Informanten sollen Behörden und Versicherungen betrogen haben. Ihre Masche: Die Hauptbeschuldigten gründeten drei Firmen und stellten ihre Komplizen als Mitarbeiter ein. Über eine eigene Versicherungsagentur schlossen sie teure Privatunfallversicherungen mit überdurchschnittlich hohen Leistungen ab. Kurz nach Abschluss meldeten sie schwere Unfälle ihrer Angestellten, die nie stattgefunden hatten. Von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen forderten sie insgesamt einen Millionenbetrag.

“Die Ausfallzeiten der Mitarbeiter sind mit deren Anstellungszeit nahezu identisch”, berichtet Staatsanwalt Jens Wörmann. Tatsächliche Gehaltszahlungen soll es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht gegeben haben. Geschäftlich waren zwei der Firmen gar nicht, die dritte nur marginal aktiv. In Leipzig-Gohlis durchkämmten die Fahnder die Wohnungen von Dienel und einem Geschäftspartner. Parallel nahmen sie vier Objekte in Rudolstadt unter die Lupe. Die Ermittler stellten umfangreiches Beweismaterial sicher.

Interessant ist der Filz zwischen Neonazis und organisierter Kriminalität: Dienel und Brandt. Dienel lebte vor seinem Umzug in die Messestadt im erzgebirgischen Marienberg. Sein Vorstrafenregister umfasst nicht nur einschlägige Delikte. Anfang der 1990er Jahre ermittelten die Behörden gegen ihn wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Das Verfahren wurde eingestellt. Nach Informationen der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz organisierte er außerdem Wehrsportübungen mit Waffen und Sprengstoff. Tino Brandt führte bis zu seiner Enttarnung den “Thüringer Heimatschutz” an. Ein Netzwerk militanter Kameraden, dem auch die Zwickauer Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe angehörten, bevor sie in den Untergrund abtauchten.

“Angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der bisher bekannten Unterstützer und Helfer des Terrornetzwerkes NSU aus dem Raum Erzgebirge/Chemnitz kommt, erwarte ich von Innenminister Ulbig, dass er umgehend und umfassend Auskunft über das Treiben des Verdächtigen in Sachsen gibt”, so Köditz am Mittwoch, 28. März. “Hier ist eine negative Folge der Weigerung Sachsens bereits sichtbar, mit der Ermittlungsgruppe der thüringischen Regierung zusammenzuarbeiten.”

“Prominente frühere Nazi-Spitzel des Thüringer Geheimdienstes waren und sind offenbar tief in kriminelle Machenschaften verstrickt – inklusive Waffen und illegalen Finanz-Geschäften”, beklagt ihre Thüringer Fraktionskollegin Martina Renner. “Es müsse die Frage beantwortet werden, was die beiden eigentlich mit ihrem früher vom Staat zugesteckten Geld gemacht hätten. “War es vielleicht das Start-Kapital für illegale Geschäfte?”, fragt die Abgeordnete. “Es wäre nun das Gebot der Stunde, schnellstens die kompletten Aktenbestände des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz durch ein parlamentarisches Gremium sichten zu lassen und umfassende Öffentlichkeit über die Machenschaften von Thüringer Neonazis und ehemaligen Spitzeln herzustellen.”

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