Jedes Jahr im Frühling, wenn die Verkehrsunfallzahlen des Vorjahres veröffentlicht werden, wundern sich alle ein bisschen. Auch der Innenminister. Und dann orakelt man ein bisschen, um die statistisch erfassten Phänomene zu erklären. Und tut so, als wären sinkende Zahlen das Ergebnis eifrigen Regierens. Das tat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) diesmal am 8. April.

“Wir werden die Hauptunfallursachen auch weiterhin gezielt bekämpfen”, sagte er, als er die sächsische Verkehrsunfallbilanz vorstellte. “Anhaltekontrollen sind dabei besonders wirksam, weil man hier ganzheitlich das Auto und den Fahrzeugführer überprüfen kann – und das wirkt nachhaltig.”

Aber ist es wirklich der Fleiß der Ordnungshüter, der die Zahlen senkt? – Nicht wirklich.

“Die gesunkene Zahl der Unfälle in Sachsen ist erfreulich, aber kein Grund zur Entwarnung. Verglichen mit unserer Einwohnerzahl sterben im Straßenverkehr vergleichsweise viele Menschen. Sachsen liegt mit 47 Verkehrstoten pro einer Million Einwohner immer noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt mit 41 Verkehrstoten”, stellt die Landtagsabgeordnete der Grünen, Eva Jähnigen, fest. “Die niedrige Zahl der Verkehrstoten in Sachsen gegenüber den Flächenländern-Ost ist kein Grund zur Beruhigung. Bundesländer mit einem hohen Großstadtanteil haben wegen der geringeren Geschwindigkeit bei Unfällen weniger Getötete im Straßenverkehr.”

Berlin, Hamburg, Bremen liegen bei 11, 15 und 12 Getöteten je 1 Million Einwohner, das von Großstädten dicht besetzte NRW bei 27. Das heißt für Sachsen, das mit 47 deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt (41) liegt, dass die Zahl auch deswegen sinken wird, weil immer mehr Menschen in die Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz ziehen. Das senkt nicht nur die Zahl der Getöteten insgesamt, es senkt zuallererst die Zahl der getöteten Pkw-Fahrer. Denn innerorts sind sie zwangsläufig mit geringerer Geschwindigkeit unterwegs als auf Bundes- und Landstraßen, von Autobahnen ganz zu schweigen.Für eine andere Verkehrsteilnehmergruppe steigt dadurch jedoch die Gefahr zu verunfallen an.

“Besorgniserregend ist der Anstieg der getöteten Fußgänger, häufig Menschen über 65 Jahre, sowie die gestiegene Anzahl getöteter Kinder. Wir teilen die Auffassung des Innenministers, dass Geschwindigkeitskontrollen durch die Polizei für die Verkehrssicherheit ein zentrales Instrument sind”, meint Jähnigen. Gerade deren Anzahl ist jedoch durch den Abbau der Polizeistellen 2013 weiter gesunken. Verglichen mit 2012 sank die Zahl der Kontrollen im Jahr 2013 um mehr als 20 Prozent von 13.991 auf nur noch 11.111 Kontrollen.”

Was dann Ulbigs Lobgesang der Anhaltekontrollen natürlich konterkariert. Seine “Polizeireform 2020” macht sich unübersehbar auch schon bei den Verkehrskontrollen der Polizei bemerkbar. Die sinkenden Unfallzahlen haben jedenfalls mit besserer Polizeiarbeit nichts zu tun.

“Die Verkehrsüberwachung muss wieder gestärkt werden. Denn die Vorteile von Geschwindigkeitskontrollen liegen auf der Hand”, sagt Jähnigen. “Durch einheitlichere Geschwindigkeit und einen gleichmäßigen Verkehrsfluss sinkt die Schwere von Unfällen. Auf Gefahren kann besser reagiert werden. Außerdem steigen Fahrkomfort und subjektiv empfundene Sicherheit für zu Fuß Gehende, Rad Fahrende und besonders ältere Fahrerinnen und Fahrer.”

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Scheinbar gibt es auf Sachsens Straßen auch noch einen Widerspruch: Mit 404 Verunglückten auf 100.000 Einwohner scheint Sachsen gleich nach Thüringen das verkehrssicherste Bundesland zu sein. Hier sind es eher die Stadtstaaten und die südlichen Bundesländer, die auf höhere Werte kommen. Aber auch das hat sichtlich mit unterschiedlichem Unfallgeschehen in Großstädten und ländlichen Regionen zu tun. Die Komplexität des Verkehrs in Großstädten führt statistisch zu mehr Unfällen – auch und gerade mit schwächeren Verkehrsteilnehmern. Ältere Menschen, die sowieso schon die größte Alterskohorte stellen, sind dabei zwar unterdurchschnittlich oft Opfer eines Unfalls – aber ihre größere Verletzlichkeit führt dazu, dass Unfälle, die bei Jüngeren oft noch glimpflich verlaufen, für sie überdurchschnittlich oft tödlich enden.

Und da hat man es nicht mehr nur mit der Polizeiarbeit im Allgemeinen zu tun, sondern mit den zwingenden Aufgaben einer sicheren und generationengerechten Verkehrsorganisation in den großen Städten. Ein Thema, das man auch in Leipzig nicht wirklich erkannt hat, wenn man die Verkehrswege unter den Aspekten sicher, fußgängerfreundlich, generationengerecht betrachtet. Und so könnte es ein durchaus bedenkenswerter Trend sein, der sich da andeutet, wenn die Zahl der getöteten Fußgänger in Sachsen steigt. Man kann Fußgängern nicht auch noch – wie Radfahrern – völlig überflüssige Helme aufschwatzen. Wobei die sächsischen Zahlen für 2013 ebenfalls zeigen, dass auch ohne Helmpflicht die Zahl der getöteten Radfahrer gesunken ist.

Kleine Anfrage “Stationäre und mobile Geschwindigkeitsüberwachung im Freistaat Sachsen zwischen 2009 und 2013” (Drs 5/13561): www.mobiles-sachsen.de/fileadmin/user_upload/sachsentakt21/Newsletter/5_Drs_13561__Stationaere_und_mobile_Geschwindigkeitsueberwachung_.pdf

Pressemitteilung zu Todesopfern auf deutschen Straßen im Jahr 2013: www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/02/PD14_064_46241pdf.pdf?__blob=publicationFile

Die Unfallzahlen 2013 in Grafiken als PDF zum Download.

Die Unfallzahlen 2012 in Grafiken als PDF zum Download.

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