Hoffentlich geht dieser Beschluss nicht ins Auge. Weil eine wichtige Zeugin aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Prozess erscheinen konnte, musste das Leipziger Landgericht am Dienstag einen mutmaßlichen Geiselnehmer in die Freiheit entlassen. Die Hauptverhandlung wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt von vorn beginnen.

Der 10. März ist einer dieser Tage, an denen man nicht in der Haut von Richter Rüdiger Harr stecken möchte. Der Vorsitzende der 8. Strafkammer musste Rene H. (30) am Dienstag aus der Untersuchungshaft entlassen. Dabei wiegen die Vorwürfe schwer: Der Leipziger soll am 28. November 2014 seiner Ex-Freundin Claudia Z. (31) gegen 20 Uhr vor deren Wohnung in Leipzig-Connewitz aufgelauert haben.

Der Altenpfleger drängte sein Opfer laut Anklage in dessen eigene vier Wände, wo er der Personalvermittlerin einen nahen Tod in Aussicht stellte. Der muskulöse Angreifer soll sich gemeinsam mit der wehrlosen Frau im Schlafzimmer eingeschlossen haben. Dort habe er die Frau weiter beschimpft. Bei der folgenden Auseinandersetzung erlitt Claudia Z. Schmerzen. Erst am nächsten Morgen verließ der Angreifer die Wohnung.

Vor Gericht muss sich Rene H., der wegen Gewaltdelikten vorbestraft ist, wegen Geiselnahme verantworten. Er habe Claudia Z. unter Androhung des Todes genötigt, einen Brief aufzusetzen, in dem sie eingestand, in einer früheren Gerichtsverhandlung gelogen zu haben.

Der Vorfall war nämlich nicht der erste Angriff gegen die Leipzigerin, mit der der Angeklagte ab Mitte 2012 bis Januar 2013 liiert war. Das Paar trennte sich offenbar nicht im Guten. Claudia Z. hatte bereits im Februar 2013 ein Kontaktverbot auf Grundlage des Gewaltschutzgesetzes erwirkt.

Rene H. ließ sich von der richterlichen Anordnung keineswegs beeindrucken. Weil er schon vor der Geiselnahme gegen die räumliche Beschränkung verstieß, ist gegen den jungen Mann am Landgericht gegenwärtig ein Berufungsverfahren anhängig.

Claudia Z. sah sich am Dienstag außer Stande, am Prozess teilzunehmen. “Wir brauchen die Geschädigte”, befand Harr. Da das Fernbleiben von Zeugen nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden könne und mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen kollidiere, blieb der Kammer keine Wahl. Die Richter hoben den Haftbefehl mangels Haftgrund auf und setzten den Prozess aus. Eine kurzzeitige Unterbrechung kam für das Gericht nicht in Betracht. Ein Gutachter soll zunächst die Glaubwürdigkeit von Claudia Z. beurteilen.

“Man kann jederzeit einen neuen Haftbefehl erlassen, wenn sich neue Haftgründe ergeben”, begründete der Vorsitzende den Beschluss. Sollte sich Rene H. etwa Claudia Z. nähern, müsste er mit seiner Inhaftierung rechnen. Der Angeklagte wird ohnehin nur kurze Zeit in Freiheit bleiben. Wegen anderer Straftaten muss der mutmaßliche Geiselnehmer in Kürze eine mehrjährige Gefängnisstrafe absitzen.

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