Für Law and Order-Fans war die Sache schon wenige Stunden nach der Aktion der Klimaaktivisten am Flughafen Leipzig/Halle und hier am DHL-Hub klar. Straftaten nennen es die einen, ein „Agieren außerhalb der Rechtsordnung“ andere. Sie alle haben gleich mehrere Fragen nicht im Blick in ihren vorschnellen Statements. Fragen, die heute dazu führten, dass auch die letzten der rund 50 Aktivisten der DHL-Hub-„Besetzung“ in der Nacht zum Samstag, 10. Juli 2021, aus dem Gewahrsam entlassen wurden. Und wohl auch keine wirklichen Strafen über ein mögliches Bußgeld hinaus befürchten müssen.

So einfach, wie es sich in den letzten 24 Stunden diverse Netz-Juristen, Ferndiagnostiker und Pressemitteilungsschreiber aus den konservativen Parteibüros machten, fand die heute am Amtsgericht Leipzig entscheidende Ermittlungsrichterin den Vorgang dann wohl auch nicht. Denn auch ihr blieb heute Morgen ab 9 Uhr vollkommen unklar, ob überhaupt Straftaten vorliegen.Die Staatsanwaltschaft Leipzig hatte den Vorwurf der „Nötigung“ gegen die Flughafenausbau-Gegner erhoben und könnte damit auch bei einem späteren Verfahren auf ganzer Linie scheitern.

Da die heute anwesende Richterin jedoch keine Straf-, sondern eine Zivilrechtlerin war (die Unterbesetzung der sächsischen Gerichte lässt grüßen), versuchte sie eigentlich, die eilige Untersuchungshaft-Entscheidung auf Montag und andere Kolleg/-innen zu verschieben.

Fatalerweise hätte dies eine Nacht in Haft Tür an Tür mit echten Straftätern für die Betroffenen bedeutet, weshalb die letzten 30 Menschen in Gewahrsam der Polizei nun auf Anraten ihrer Anwälte doch ihre Personalien angaben und nach Hause gehen konnten.

Denn nur deshalb waren sie überhaupt noch festgehalten worden: Da eine Strafanzeige der DHL vorliegt und sich die inhaftierten Personen weigerten, ihre Personalien anzugeben, stand die Polizei zwischen allen Stühlen.

Will sie der äußerst fragwürdigen Strafanzeige, welche die DHL mit einer eilig schon in der Nacht aus dem Hut gezauberten „Millionen“-Schadenshöhe erstattete, wirksam nachgehen, musste sie zumindest die Namen derer in Erfahrung bringen, gegen die sich die Strafanzeige richtet.

Das ist nun geschehen, der Staub hat sich gelegt und gibt den Blick auf das Wesentliche frei. Denn ob die Strafanzeige der DHL überhaupt gerechtfertigt ist oder nur ein geradezu bedenkliches Ablenkungsmanöver eines Konzerns in Reaktion auf eine deutsche Premiere war, steht damit ungeklärt im Raum.

Legale Versammlung oder illegale Blockade?

Geht es nach dem Hobby-Juristen und Diplom Verwaltungswirt (FH) Rico Anton von der CDU Sachsen, dann heißt die Reaktion auf die Aktion vom Samstag schlicht „Rübe ab“.

Mit reichlich Schaum vor dem Mund verfasste der Landtagsabgeordnete und Innenpolitiker die Zeilen: „Solche Blockaden sind nicht vom Versammlungsrecht gedeckt. Hier handelt es sich um eine strafbare Nötigung.“ Der Linken-Abgeordnete Böhme stelle sich so „außerhalb des Rechts“.

Und solle, so der leicht rachelüsterne Nachsatz „für den wirtschaftlichen Schaden aufkommen“, so Ermittlungsrichter Anton in seinem Urteil mit der Überschrift „Verantwortliche sollten 1,5-Mio-Euro-Schaden zahlen!“

Marco Böhme (Landtagsabgeordneter, Die Linke) ist häufig als parlamentarischer Beobachter vor Ort, wenn Demonstrationen stattfinden. Foto: LZ
Marco Böhme (Landtagsabgeordneter, Die Linke) ist häufig als parlamentarischer Beobachter vor Ort, wenn Demonstrationen stattfinden. Foto: LZ

Also stellt sich die Frage, ob in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 2021 bei der Versammlungsanmeldung am Leipziger Flughafen tatsächlich Straftaten begangen wurden? Eine Frage, über die mittlerweile jene halbe Republik zumindest offen debattiert, die nicht gleich blindwütig nach der Hinrichtung von Klima-Aktivisten schreit.

Wenn die Angaben stimmen, dass es sich – so auch die Polizei Leipzig am 10. Juli 2021 in ihrer Pressemitteilung – um eine vom Landtagsabgeordneten Marco Böhme (Die Linke) vor Ort angemeldete Versammlung handelte, wäre die Frage eher, warum die Einsatzbeamten vor Ort dies überhaupt zuließen? Somit wäre also die Polizei selbst mitschuldig an der „Blockade“ einer Zufahrtsstraße zum DHL-Flughafengelände und den logistischen Verzögerungen? (siehe Antworten der Polizei vom 11. Juli 2021, 20 Uhr)

Wahrscheinlicher ist, dass die Versammlungsanmeldung aus Sicht der Beamten legal und korrekt war. Zumindest haben sie Marco Böhme zu keinem Zeitpunkt eine Rückmeldung gegeben, dass die Versammlung aufzulösen sei.

Unklar blieb in diesem Zusammenhang in der bisherigen Wortmeldung der Polizeidirektion Leipzig, wo genau sich die sitzende Versammlung der Klimaaktivisten befand. Marco Böhme, welcher die Absprachen vor Ort immerhin miterlebt hatte, gibt als Versammlungsort eine öffentliche Straße an (Was die Polizei Leipzig später auch bestätigt, siehe Antworten am Ende des Artikels, d.Red.).

Somit wäre der in den letzten Stunden überall diskutierte Vorwurf eines „Hausfriedensbruchs“ vom Tisch. Denn wo kein Betriebsgelände, da auch kein Hausfrieden, den Menschen brechen könnten.

Zudem legt die erstmals in Deutschland stattgefundene Aktion der Flughafengegner vom Samstag einen Mangel an Resilienz in der Infrastruktur der DHL selbst frei. Oder noch deutlicher: einen eklatanten Mangel an Reaktionsvermögen. Die Situation zum Beginn der Versammlung stellt Marco Böhme gegenüber der LZ so dar. „Nach sehr kurzer Zeit nach unserem Eintreffen kam der Wachschutz und unternahm nichts.“

Das ist dann wohl nur durch eins zu erklären: Der Wachschutz des Flughafen-Betriebsgeländes der DHL hat auch auf öffentlichem Grund und Boden nichts zu unternehmen – das darf nur die Polizei. Als diese kurz darauf eintraf, meldete Böhme die bereits laufende Versammlung an, die Polizei gestattete diese in Abwesenheit des eigentlich dafür zuständigen Ordnungsamtes und wartete ab.

Auch dies verlief demnach vollkommen korrekt, immerhin befanden sich offenkundig alle Beteiligten auf öffentlichem Grund und nahmen ihr grundgesetzliches Recht auf Versammlungsfreiheit wahr. Zumindest nach jenem Recht, für dessen Durchsetzung sich Rico Anton starkzumachen vorgibt.

Weshalb die Polizei auch bis zum Ende der Versammlung keine Aufforderung aussprach, die Versammlung zu beenden oder wie in Fällen illegaler Aktionen, sich vom Ort zu entfernen. Es gab also nach jetzigem Stand der Informationen auch keine Räumung der Versammlung, sie wurde ebenso legal beendet, wie sie begann.

Ein breiter Kreisel zum Umfahren an der 1. Zufahrt des DHL-Hubs. Foto: Tim Wagner
Ein breiter Kreisel zum Umfahren an der 1. Zufahrt des DHL-Hubs. Foto: Tim Wagner

Logistische Lösung in kurzer Zeit – (k)ein Kerngeschäft der DHL?

Bliebe also noch die Blockade. Die DHL brauchte etwa eine ganze Stunde, um die sich auf dem Kreisverkehr (!) aufstauenden Liefer-Fahrzeuge von dieser einen Zufahrt auf eine zweite Zufahrt umzulenken, indem sie ein zweites Zugangstor öffnete. Danach konnte der Verkehr abfließen. Beamte, die sie bei dieser Lösung unterstützen konnten, waren ausreichend vor Ort und vermeldeten die Auflösung des Staus jedoch erst gegen 2 Uhr.

Angesichts der von der DHL selbst betonten Eilbedürftigkeit in der Fracht- und Flug-Logistik und den von der Polizei Leipzig angegebenen Impfstofftransporte in der Nacht, eine geradezu fahrlässige Verzögerung der offenkundigsten Lösung durch das Unternehmen.

Interessant für die Aktivisten in der Vorschau auf ein eventuelles Gerichtsverfahren ist jedoch vor allem, dass es diese zweite Zufahrt gibt, die über den Kreisverkehr jederzeit erreichbar war. Inwieweit also der Vorwurf der „Nötigung“ durch die Aktivisten gegenüber den LKW- und anderen Zulieferfahrzeuge gerechtfertigt sein soll, wo es doch einen bekannten und einfach verfügbaren Ausweichweg gab, wird wohl zu einem späteren Zeitpunkt ein Gericht entscheiden müssen.

Wenn es überhaupt zu einer Anklage kommt, sollte der Nötigungsvorwurf der Staatsanwalt überhaupt weiter Bestand haben. Angesichts der mittlerweile deutschlandweiten Debatte um die Leipziger Aktion, steht sie jedoch unter Zugzwang – es könnte also noch ein Bußgeldurteil herauskommen. Gegen welches die Betroffenen in Widerspruch gehen könnten.

Die rasche Nennung einer angeblichen Schadenssumme von 1,5 Millionen Euro durch die DHL und die eilige Strafanzeige selbst sprechen entweder für eine schlicht in der Nacht frei erdachten Zahl. Oder eine eilig berechnete Schadenssumme, welche aus eventuellen Vertragsstrafen wegen einer ausgefallenen Lieferung entstand.

Gegenüber anderen Medien räumte die DHL jedoch bereits ein, dass kein Flug wegen der Aktion der Flughafenausbaugegner verspätet startete, genauere Angaben zur Art der Schäden liegen zumindest der LZ nicht vor. Ein interessanter Umstand angesichts der Tatsache, dass Schadensersatzforderungen in entsprechenden Zivilprozessen in Deutschland aufs kleinste nachgewiesen werden müssen.

Unter dem Aufzeigen, was man selbst unternommen hat, um den Schaden nicht selbst noch zu steigern, sondern schadensmindernd zu wirken.

Doch auch diese Abwägung kann dann ein Gericht vornehmen und die Zeitabläufe vom Beginn der Versammlung über das Eintreffen des Wachschutzes bis hin zur Umleitungslösung und noch einmal unter der Verschuldungsfrage nachstellen.

Dennoch scheint das weltweit agierende Unternehmen nur ungenügend darauf vorbereitet zu sein, dass an jener Zufahrt, wo die Aktivisten Platz genommen hatten, ein simpler Verkehrsunfall geschieht und die Kreuzung blockiert. Resiliente Logistik und kluges Management in einer 24-Stunden-Branche sehen jedenfalls anders aus.

Zeit also, sich bis dahin wieder dem Thema zuzuwenden, um das es eigentlich ging. Wie passt der Ausbau eines lärmintensiven, CO₂ in die Luft blasenden, fossile Rohstoffe verbrennenden Verkehrsweges in eine Zeit, wo sich mehr und mehr Menschen darüber klarwerden, dass die 1,5-Grad-Erwärmungsgrenze von Paris keine Phantasiezahl, sondern eine Überlebensfrage für die Menschheit darstellt?

Mindestens für den Teil der Menschheit, die keine persönlichen Ressourcen für ein Überleben zwischen Starkregen, Überschwemmungen, Dürreperioden, Nahrungsmittelknappheiten und den so oder so endenden fossilen Rohstoffen besitzen. Es dürfte die Mehrheit sein.

Die LZ-Fragen und Antworten der Polizei Leipzig (Stand 11. Juli 2021, 20 Uhr)

Einige Antworte zu Zeiten und Orten bei den bisherigen Darstellungen der Polizei Leipzig waren ja noch offen. Im Laufe des heutigen Sonntagabends gab es nun Antworten auf einige Unklarheiten zum Bild der Polizeidirektion Leipzig zum Geschehen in der Nacht auf Samstag, den 10. Juli 2021 am Flughafen Leipzig/Halle. Beantwortet hat unsere Fragen Polizeisprecher Olaf Hoppe.

Voranstellen muss man, dass es sich auch hierbei nur um die Wiedergabe der Eindrücke einer an den Vorgängen beteiligten Partei handelt, welche selbst Entscheidungen vor Ort getroffen hat. Eingeleitete Strafermittlungen bedeuten nicht, dass die Tatvorwürfe so auch bei einer eventuellen Gerichtsverhandlung durch richterliche Entscheidungen bestätigt werden.

Die Fragen sind leicht angepasst, die Antworten erreichten uns schriftlich als zusammenhängendes Statement. Einige zeitliche Abläufe bleiben bei Formulierungen wie „später“ weiterhin unklar, das genaue Eintreffen der Beamten vor Ort ist nicht angegeben.

Insbesondere das Handeln der DHL und die Frage, ab wann eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes vorliegt, können hier nicht ergründet werden.

Wie war der Ablauf der Ereignisse am 9. und 10. Juli 2021 am DHL-Hub aus Sicht der Leipziger Polizei?

Durch Mitarbeiter von DHL wurde am Freitag, den 9. Juli 2021 gegen 23:00 Uhr festgestellt, dass die Zufahrt zum DHL-Hub durch eine auf der Hermann-Köhl-Straße (rechtlich-öffentlicher Verkehrsraum) sitzende Gruppierung blockiert wurde, so dass der Lkw- und Fahrzeugverkehr massiv beeinträchtigt wurde.

Die Logistikkette des HUB´s war unterbrochen. Es kam zu einem Rückstau bis zum Schkeuditzer Bahnhof. An der Blockade nahmen mehr als 50 Personen teil.

Lag eine Voranmeldung zu einer Versammlung vor?

Eine Versammlungsanzeige lag im Vorfeld nicht vor. Es wurden Transparente und andere Kundgebungsmittel mitgeführt. Aufgrund dieser Umstände kann nicht von einer Spontandemonstration ausgegangen werden. Die Ermittlungen wurden hier wegen des Verstoßes gegen das Sächsische Versammlungsgesetz aufgenommen.

Durch die Blockade konnten Kraftfahrzeuge die Straße zum DHL-Hub nicht befahren und zahlreiche Kraftfahrzeugführer wurden dazu genötigt, anzuhalten, zu warten und konnten ihre Aufträge nicht zu erfüllen. Daher wurden gegen diese Personen auch Ermittlungen wegen Nötigung gemäß Strafgesetzbuch eingeleitet.

Wie kam es aus Sicht der Polizei dann zur Versammlungsanmeldung?

Später hat ein vor Ort anwesendes Mitglied des Sächsischen Landtages, auf Nachfrage der Polizeibeamten, eine Versammlung angezeigt. Aufgrund der bestehenden Situation und nachdem eine Ersatzzufahrt zu dem DHL-Hub geöffnet werden konnte wurde durch die Polizeidirektion Leipzig – die zuständige Versammlungsbehörde war nicht erreichbar – von einer sofortigen Auflösung der nunmehr angezeigten Versammlung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgesehen.

Warum wurden die Teilnehmerinnen der Aktion mit in die PD Leipzig genommen?

Aufgrund der Ermittlungsverfahren wegen Nötigung und Verstoßes gegen das Sächsische Versammlungsgesetz sowie der Verpflichtung aus dem Sächsischen Polizeigesetz zum Schutz privater Rechte sollten von den Blockadeteilnehmern die Personalien festgestellt werden.

52 Beschuldigte verweigerten die Angaben. Bei ihnen war eine anderweitige Identitätsfeststellung vor Ort auch nicht möglich.

Zum Zweck der Identitätsfeststellung und weiterer strafprozessualer Maßnahmen wurden diese in das Zentrale Polizeigewahrsam verbracht. Seitens der Staatsanwaltschaft erging in der Folge die Anordnung zur vorläufigen Festnahme.

Nachdem im weiteren Verlauf mehrere Beschuldigte bereits Angaben zu ihrer Identität gemacht hatten und nach entsprechender Verifizierung wieder aus dem Zentralen Polizeigewahrsam entlassen worden waren, befanden sich am heutigen Morgen gegen 6 Uhr noch 29 Beschuldigte im Zentralen Polizeigewahrsam.

Wie waren die Abläufe am heutigen Sonntag, 11. Juli 2021?

Durch die Staatsanwaltschaft Leipzig wurden gegen diese 29 Beschuldigten beim zuständigen Ermittlungsrichter Anträge auf Erlass eines Haftbefehls wegen Nötigung gestellt. Ab dem Vormittag wurden die ersten Beschuldigten dem Ermittlungsrichter vorgeführt.

Alle Beschuldigten haben im Verlauf des Tages ihre Identitäten angegeben und wurden nach entsprechender Verifizierung der Angaben wieder aus dem Zentralen Polizeigewahrsam entlassen.

In dieser Sache befindet sich kein Beschuldigter in Untersuchungshaft.

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