Er sprach bis zuletzt von Notwehr, doch die Strafkammer am Landgericht sah genug Belege für einen Vorsatz: Sie verurteilte den 60-jährigen Michael O. am Donnerstag zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Er habe gezielt agiert, um einen Rivalen zu beseitigen, als er am 8. September 2023 den 54-jährigen Martin S. im Hinterhof eines Hauses in der Südvorstadt erstach. Die Verteidigung hat bereits Revision angekündigt.

Als das Urteil am Donnerstag kurz nach zehn Uhr verkündet wurde, musste Michael O. merklich schlucken, blieb aber äußerlich gefasst: Der 60-Jährige soll wegen Mordes lebenslang hinter Gitter. Die Strafkammer zeigte sich nach acht Verhandlungstagen überzeugt, dass er sich entgegen seiner Beteuerungen in keiner Notwehrlage befand und seinen Rivalen Martin S. am Nachmittag des 8. September 2023 in der Richard-Lehmann-Straße bewusst mit einem Messer erstach.

Tödlicher Schlusspunkt einer Dreiecksbeziehung

Der schockierende Vorfall bildete nach Auffassung des Gerichts den Schlusspunkt einer langen Dreiecksbeziehung zwischen dem Angeklagten, dem Opfer sowie Katrin J., die zum Tatzeitpunkt im fraglichen Haus in der Richard-Lehmann-Straße wohnte und einige Wochen danach an den Folgen einer Krebserkrankung verstarb. Mit dem ehemaligen Nachbarn Michael O. sowie dem getöteten Martin S. hätten sich schon vor Jahren zwei Männer in das Leben der früheren Kinderkrankenschwester gedrängt, die zu beiden eine zwiespältige Beziehung gepflegt habe, heißt es in der Urteilsbegründung.

Letztlich sei es dem Angeklagten darum gegangen, Katrin J. selbst in der letzten Phase ihres Lebens zu kontrollieren, indem er über ihr Essen, ihre Medikamentenzuteilung und ihre Finanzen bestimmte, so die Strafkammer. Die Schwerkranke habe „eine Art Lebensbeichte“ abgelegt, indem sie Kripobeamten während einer Zeugenvernehmung kurz vor ihrem Tod im Rollstuhl schilderte, wie Michael O. sie in ein Abhängigkeitsverhältnis trieb, selbst ihren Schlüssel an sich nahm, um sie in ihrer eigenen Wohnung einzusperren.

Aus diesem Grund habe die als labil beschriebene Frau die Nacht vor der Tat auch mit dem späteren Tatopfer gemeinsam unter einer Brücke verbracht. Michael O. selbst wies die Vorwürfe, Katrin J. kontrolliert zu haben, stets zurück.

Gericht sieht niedrige Beweggründe

Am Nachmittag des 8. September sei Michael O. im Hinterhof des Hauses von Katrin J. auf seinen Widersacher Martin S. getroffen und es habe sich eine Auseinandersetzung beider Männer entfacht, die von mehreren Zeugen wahrgenommen wurde.

Hierbei, so heißt es im Urteil, habe Michael O. mit einem Messer zugestochen. Er dagegen sprach durchweg davon, sich mit dem Obstmesser in der einen und einem eingekauften Tiefkühl-Apfelstrudel in der anderen Hand lediglich gewehrt zu haben, wobei der aggressiv auftretende Martin S. in die Klinge des Messers gelaufen sein soll.

Auch wenn ein Rechtsmediziner diese Version nicht ausschließen wollte, sah die Kammer sie als widerlegt. So habe sich der Angeklagte in Widersprüche verstrickt, ob er das Messer gezückt habe oder es ihm herausgefallen war oder ob er eine Einkaufstüte dabei hatte. Auch die Aussagen von Zeugen legten nahe, dass Martin S. die Tatwaffe bewusst wahrnahm. Eine Nachbarin erinnerte sich etwa daran, schemenhaft einen Stoß gesehen und „Aua, aua“-Rufe von Martin S. gehört zu haben.

Polizeieinsatz. Foto: LZ
Einsatz von Polizei und Spurensicherung in der Nähe des Tatorts am 8. September 2023. Foto: LZ

Dass er in das Messer gelaufen sein soll, sei „lebensfremd“, so die Vorsitzende Richterin Antje Schiller, zumal er trotz seines Heroinproblems nachweislich in der Lage gewesen sei, einen Willen zu äußern und sich gezielt zu bewegen. Gegen die Erzählung des Angeklagten spreche überdies sein Verhalten im Anschluss an die Tat, denn Michael O. sei nach dem Stich zunächst in die Wohnung von Katrin J. gegangen, um Unterlagen an sich zu nehmen, und habe dann den mit dem Tod kämpfenden Martin S. vor dem Haus zurückgelassen.

Erst kurz darauf setzte er einen Notruf ab und wurde an einer nahen Haltestelle festgenommen. Das Opfer verstarb nach etwa 30 Minuten trotz aller Rettungsversuche, der Stichkanal verlief sieben bis acht Zentimeter in sein Herz.

Letztlich sei es Michael O. darum gegangen, dem Rivalen den Zugang zur Wohnung von Katrin J. zu versperren und zu verhindern, dass er ihm weiter in die Quere kommt. Damit seien gleich zwei niedrige Beweggründe erfüllt und die Tat als Mord einzustufen. Ursprünglich war sie als Totschlag angeklagt, der in der Regel milder bestraft wird.

Verteidigung will in Revision gehen

Die 16. Strafkammer folgte mit ihrer Sicht dem Antrag von Staatsanwältin Katharina Thieme, sah auch keinen Grund, an der Schuldfähigkeit von Michael O. zu zweifeln. Die Verteidigung plädierte dagegen auf Freispruch.

Einen Mordverdacht lehnte sie unter anderem mit dem Hinweis ab, dass Michael O. längst um die begrenzte Restlebenszeit der schwerstkranken Katrin gewusst habe: Dass er einen Menschen ermordet habe, um eine Frau für sich zu haben, mit der es keine Zukunftsaussicht gab, sei fernliegend, argumentierte Rechtsanwalt Andreas Meschkat. Auch sei der Getötete schon im Vorfeld aggressiv gewesen. Meschkat kündigte direkt nach dem Urteilsspruch Revision beim Bundesgerichtshof an.

Kennengelernt habe man den nicht vorbestraften Michael O. im Prozess als redegewandten und intelligenten, aber auch berechnenden Menschen, der mitunter wenig Mitgefühl zeige, resümierte die Vorsitzende Richterin Antje Schiller den Gesamteindruck vom Angeklagten. Zum Schluss wandte sie sich direkt an ihn: „Mit dieser Tat haben Sie versucht, Ihre Interessen durchzusetzen, die am Ende niedrige Beweggründe sind. Welchen Sinn das hatte, müssen Sie sich selbst beantworten.“

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