Vor sieben Monaten starb ein 54 Jahre alter Mann durch einen Messerstich im Hinterhof eines Hauses in der Richard-Lehmann-Straße. Als mutmaßlicher Täter muss sich sein Rivale Michael O. (60) verantworten, der das Geschehene als Notwehrsituation darstellt. Bisher angeklagt ist er wegen Totschlags – doch das Schwurgericht deutete an, sogar eine Verurteilung wegen Mordes in Erwägung zu ziehen. Rechtlich scheint der Fall spannend, menschlich vor allem schockierend und tragisch.

Hat sich Michael O. eines Mordes schuldig gemacht, als Martin S. am Nachmittag des 8. September 2023 durch einen Messerstich ins Herz zusammenbrach und mit nur 54 Jahren verstarb? Dass der äußere Tatablauf so weit zutrifft, hat der des Totschlags angeklagte Michael O. (60) bereits zum Prozessauftakt vor dem Leipziger Landgericht im März eingeräumt.

Allerdings spricht er von einer Notwehrsituation: Das Opfer, mit dem ihn eine längere Rivalität verband, habe ihn bedroht und attackiert, er habe sich mit seinem Obstmesser lediglich zur Wehr gesetzt. Eine Verletzung oder gar der Tod von Martin S. sei nie seine Absicht gewesen.

Mord aus niedrigen Beweggründen?

Doch die Strafkammer denkt offenbar in eine andere Richtung: Demnach könnte Michael O. nach ihrer aktuellen Ansicht einen Mord aus niedrigen Beweggründen begangen haben, auf den bei Erwachsenen lebenslange Haft steht. Totschlag wird dagegen in der Regel milder bestraft. Das mögliche Motiv Michael O.s: Er habe seinen Konkurrenten um die Gunst einer Frau aus dem Weg räumen wollen.

Fest steht zumindest, dass die zum Tatzeitpunkt schon schwer vom Krebs gezeichnete und inzwischen verstorbene Katrin J. wohl eine Schlüsselrolle spielt, um den brutalen Vorfall aufzuklären. Sie soll zuletzt mit dem getöteten Martin S. liiert gewesen sein, zugleich habe jedoch auch der Angeklagte immer wieder die Nähe der Frau gesucht, faktisch bei ihr in der Richard-Lehmann-Straße gewohnt, nachdem er aus seiner zugemüllten Wohnung im gleichen Haus geräumt worden war.

Doch das Verhältnis beider scheint höchst wechselhaft und von Gegensätzen geprägt gewesen zu sein, wusste der zuständige Ermittlungsführer der Kriminalpolizei am Mittwoch im Zeugenstand zu berichten. Vereinzelt habe Katrin J. den mutmaßlichen Täter in den gesicherten Nachrichten auf dem Mobiltelefon liebkosend „Schatz“ genannt und sich bedankt. Mehrheitlich aber gab es übelste Beschimpfungen, wo sie ihm in drastischen Worten beispielsweise Bereicherungsabsicht, Freiheitsberaubung oder üble Tierquälerei vorwarf, weil er Katze „Gustel“ und Hund „Bruno“ misshandelt und vernachlässigt habe.

Angeklagter soll sich kontrollierend verhalten haben

Noch kurz vor ihrem Tod hatten Kriminalpolizisten die schwerstkranke Katrin J. im Hospiz vernommen. Soweit es in der Kürze der Zeit feststellbar sei, habe er den Eindruck gehabt, dass es sich bei der verstorbenen Frau um einen labilen Menschen gehandelt habe, so der Ermittlungsführer: „Jemand, der dominanten Männern gegenüber einfach unterlegen ist.“

Aus dem Verlauf der ausgetauschten Nachrichten geht hervor, dass Michael O. die Frau, die früher als Kinderkrankenschwester gearbeitet haben soll, faktisch kontrolliert, sie gar eingesperrt und über ihr Geld verfügt habe. Auch in ihrer Beziehung zum Tatopfer habe es allerdings Schwankungen gegeben, sie soll ihn einmal wegen Nachstellung angezeigt und behauptet haben, er habe sich einfach so in ihr Leben gedrängt.

Verteidigung tritt Mordverdacht entgegen

Michael O. weist die Vorwürfe, dass er sich kontrollierend gegenüber Katrin J. verhalten habe, weiterhin zurück. Am Tatnachmittag sei er vom Einkauf auf dem Weg zu „Kati“ gewesen, wie sie gemeinhin genannt wurde, als er auf seinen Widersacher Martin S. traf. Der habe ihn sofort bedroht und angegriffen, er habe sich mit einem Tiefkühl-Apfelstrudel in der linken und einem Messer in der rechten Hand gegen ihn zur Wehr gesetzt, wobei es unbeabsichtigt zum tödlichen Stich gekommen sei.

Michael O. war kurz darauf mit einem ALDI-Beutel, Bierflaschen und mehreren hundert Euro an einer nahen LVB-Haltestelle von der Polizei festgenommen worden.

Pflichtverteidiger Andreas Meschkat führte in einer Erklärung für seinen Mandanten am Mittwoch unter anderem ins Feld, dass die Feindschaft zwischen Michael O. und dem Opfer schon zwei Jahre bestanden habe. Im Juni 2023 sei dem Angeklagten ärztlicherseits kommuniziert worden, dass „Kati“ nur wenige Wochen an Lebenszeit verblieben.

Folglich sei es fernliegend, dass Michael O. aufgrund der Rivalität um eine dem Tod geweihte Frau, mit der es keine Aussicht auf eine Zukunft gab, einen Mord begangen haben soll. Zudem würden Videoaufzeichnungen wenige Tage vor dem Geschehen die Aggressivität des später Getöteten belegen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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