Einen tödlichen Messerstich in der Richard-Lehmann-Straße vom September versucht derzeit das Leipziger Landgericht aufzuklären. Während der Angeklagte (60) von einer Notwehrsituation spricht, ließen Zeuginnen aus dem Umfeld des Getöteten und dessen inzwischen ebenfalls verstorbener Freundin kein gutes Haar am Angeklagten: Er soll die Partnerin des Opfers von sich abhängig gemacht und überdies schon vor Jahren einen SEK-Einsatz ausgelöst haben.

„Das Verhältnis war so eine krankhafte Abhängigkeit. Ich denke, er hat bewusst die labile Art meiner Nichte ausgenutzt, um sie abhängig zu machen.“ Äußerst scharf beschrieb Zeugin Gisela K. (63, Name geändert) am Mittwoch vor dem Leipziger Landgericht, wie sie den Angeklagten Michael O. wahrnahm. Der 60-Jährige muss sich seit 8. März wegen Totschlags am Leipziger Landgericht verantworten, nachdem er am 8. September 2023 seinen Widersacher Martin S. (54) mit einem Messerstich in die Brust tödlich verletzt haben soll. Tatort war der Innenhof eines Mehrfamilienhauses in der Richard-Lehmann-Straße.

Krankhaftes Abhängigkeitsverhältnis?

Das getötete Opfer war laut Zeugenangaben seit mehreren Jahren mit Katrin J. liiert, die einige Zeit nach dem Vorfall einer schweren Krebserkrankung erlegen war. Zugleich jedoch war „Kati“, wie sie gemeinhin genannt wurde, auch mit dem mutmaßlichen Täter Michael O. bekannt, es soll früher eine kurze Affäre beider gegeben haben.

Die Dreiecksbeziehung und ihre Hintergründe sind nun Thema auch am Landgericht. Anfangs, so schilderte die Tante von Katrin J. am Mittwoch in ihrer Befragung, hätten der mutmaßliche Täter Michael O. und ihre Nichte noch ein freundschaftliches Verhältnis gehabt. Der einstige Nachbar soll nach seiner Zwangsräumung Ende Februar 2022 viel Zeit in der Erdgeschosswohnung von Katrin J. im gleichen Haus verbracht und sich auch im Zuge ihrer schweren Erkrankung um sie gekümmert haben.

Später sei das Verhältnis nur von „Streit, Hass, Gewalt“ geprägt gewesen, erinnerte sich „Katis“ Tante. Mit seiner scheinbar fürsorglichen Art habe Michael O. zugleich eine Abhängigkeit generiert, gegen die sich ihre schwerkranke Nichte, die auch unter Problemen im Umgang mit Tabletten und Alkohol litt, kaum habe zur Wehr setzen können. Vom späteren Tatopfer, das „Kati“ etwa 2020 als neuen Partner vorstellte, sei der Eindruck dagegen positiv ausgefallen, sagte die Tante: höflich sei er gewesen und redegewandt, zuvorkommend, gute Umgangsformen. Beide hätten Zukunftspläne gehabt, heiraten wollen.

Zeugin: „Er wollte sie vor der ganzen Welt abschotten“

Waren es im Kern Neid und Eifersucht auf den Widersacher, vor deren Kulisse sich das Gewaltverbrechen erklärt? „Ich denke, Herr O. war nicht damit einverstanden, dass es einen anderen Menschen gab im Leben meiner Nichte“, meinte Gisela K. in ihrer Aussage. Wenn die Männer mal aufeinandertrafen, etwa beim Grillen im Hof, sei die lockere Stimmung sofort umgeschlagen. Dabei habe „Kati“ Michael O. sogar eine Generalvollmacht ausgestellt, deren Rücknahme an seinem Widerstand gescheitert sei.

Weitere Zeuginnen aus dem Umfeld der verstorbenen Katrin J. beschrieben die Beziehung zwischen ihr und Michael O. ebenfalls in einer Weise, die, wenn es so stimmt, als toxisch gelten muss. So soll der 60-Jährige Geldkarte und Medikamente der Frau an sich genommen, ihre Briefe abgefangen, sie in der Wohnung eingesperrt, sogar „Katis“ geliebten Hund „Bruno“ als Druckmittel genutzt haben.

„Er wollte sie vor der ganzen Welt abschotten“, so der Eindruck von „Katis“ Freundin Claudia Z. (55, Name geändert), die bekannte, Angst vor Michael O. zu haben. Laut „Katis“ Tante habe er einmal sogar ein Messer mit schwarzem Schaft präsentiert, welches er zur Verteidigung bei sich trage. Gewalthandlungen von ihm beobachtet habe sie aber nie.

Angeklagter soll mit Sprengstoffdrohung SEK-Einsatz ausgelöst haben

Auch eine Gerichtsvollzieherin war am Mittwoch als Zeugin geladen. Sie kennt den Angeklagten, der für sich unter anderem einen Juratitel aus DDR-Zeiten beansprucht, bereits seit 2007. Schon damals habe sie ihn, der als nicht zugelassener Anwalt tätig gewesen sein will, zumindest beängstigend im Auftritt erlebt, wenn auch nicht gewalttätig.

Etwa um diese Zeit habe Michael O. mit seiner Drohung, er habe einen Sprengsatz an ihr Büro gelegt, einen Einsatz des SEK ausgelöst. Gefunden wurde nichts. Bei ihrem letzten Räumungstermin in der vermüllten Wohnung Michael O.s Ende Februar 2022 habe er sich dann aber ruhig verhalten und nicht gedroht.

Michael O. selbst setzte am Mittwoch mehrfach zu Erklärungen an, in denen er die Vorwürfe gegen sich zurückwies bzw. abweichende Versionen präsentierte. Er beharrt darauf, Martin S. bei einem Streit vor dem Haus in Notwehr erstochen zu haben. Für den Prozess vor der 16. Strafkammer des Landgerichts sind weitere Termine bis 18. April geplant.

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