Tรคglich stehen in Deutschland Menschen vor Gericht โ€“ die Mehrheit wegen vergleichsweise โ€žkleinerโ€œ Delikte. Und nur ein Bruchteil der verhandelten Kriminalfรคlle wird รผberhaupt durch Gerichtsreporter beobachtet und als Geschichte medial aufbereitet. Was auch mit der ausgedรผnnten Besetzung und begrenzten Kapazitรคt vieler Redaktionen zu tun hat. Wir blicken fรผr Sie zurรผck auf ausgewรคhlte Gerichtsverhandlungen in Leipzig, welche die Gemรผter 2024 erregten.

Rasenmรคher im Kleingarten zu laut: Da stach er einfach zu

Eine idyllische Colditzer Kleingartensiedlung wurde im Sommer 2023 Schauplatz eines Verbrechens, das beinahe tรถdlich endete: Alfred S. stach mit seinem Messer einem Parzellennachbarn (84) in den Rรผcken, weil ihn offenbar der Rasenmรคher-Lรคrm des Seniors stรถrte. Nur durch Glรผck und geistesgegenwรคrtiges Reagieren รผberlebte das betagte Opfer den Angriff.

Angeklagter mit rotem Ordner vor dem Gesicht und Anwรคltin.
Alfred S. (61), hier mit seiner Verteidigerin Rita Belter, wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Foto: Lucas Bรถhme

Vor dem Landgericht gibt Kleingรคrtner Alfred S. an, sich wegen seines Alkoholrausches nicht mehr an die Tat zu erinnern, entschuldigt sich immerhin beim Geschรคdigten. Der Tรคter gilt als einfach strukturiert, aber psychisch gesund und sehr wohl in der Lage, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Die Kammer verurteilt ihn Ende Januar wegen versuchten Mordes zu sechs Jahren Gefรคngnis.

Er vergewaltigte eine Frau โ€“ und tut es als โ€žFehlerโ€œ ab

Der Fall erschรผtterte Leipzig: Nach einer nรคchtlichen Vergewaltigung am StraรŸenbahnhof Angerbrรผcke schickt das Landgericht einen 23-Jรคhrigen Mitte Mรคrz fรผr fรผnfeinhalb Jahre hinter Gitter. Der Angeklagte hatte zuvor gestanden, dass er am 18. August 2023 gegen 02:00 Uhr morgens eine 58-jรคhrige Frau รผberfallen, in eine Grรผnanlage gezerrt, misshandelt und vergewaltigt hatte. Die Betroffene war im Begriff, auf ihre StraรŸenbahn zu warten, wurde ein Zufallsopfer.

angeklagtem werden vom Wachtmeister Handschellen abgenommen.
Diyar G. (l.) werden beim Prozessauftakt die Handschellen abgenommen: Der 23-Jรคhrige kommt fรผnfeinhalb Jahre in Haft. Foto: Lucas Bรถhme

รœber seinen Verteidiger spricht der Angeklagte zwar eine Entschuldigung aus โ€“ zugleich aber schockiert der Iraner, der erst Wochen zuvor irregulรคr nach Deutschland eingereist war, gegen Prozessende mit dem Kommentar, dass junge Menschen eben Fehler machten. Der Vorsitzende Richter unterbricht ihn daraufhin: Vergewaltigungen seien keine Jugendsรผnde, weist er den Tรคter zurecht.

Lindenau: Streit in aller ร–ffentlichkeit endete fast tรถdlich

Am 12. August 2023 ging ein Mann bei einem Streit auf dem Lindenauer Markt mit dem abgebrochenen Hals einer Bierflasche auf einen anderen los, verletzte ihn lebensbedrohlich, da eine Halsvene durchtrennt wurde. Das 33-jรคhrige Opfer รผberlebte dank schneller Versorgung und Not-OP. Vor dem Landgericht spricht der Angeklagte (35) von einem โ€žgroรŸen Fehlerโ€œ, macht Erinnerungslรผcken aufgrund von Drogen und Alkohol geltend.

Mann in Handschellen wird durch Justizbeamten gefรผhrt.
In Handschellen zum Prozess: Ali T. (35) wird von einem Justizbeamten gebracht. Foto: Lucas Bรถhme

Der Libyer und der spรคter Geschรคdigte hatten zuvor einige Zeit miteinander verbracht, das genaue Tatmotiv bleibt diffus. Der Tรคter Ali T. wird Mitte Februar unter anderem wegen versuchten Totschlags mit sechseinhalb Jahren Freiheitsentzug bestraft.

Messerstich in der Sรผdvorstadt: Das traurige Ende einer jahrelangen Dreiecksbeziehung

Einsatzkrรคfte werden am 8. September 2023 abends in die Sรผdvorstadt alarmiert: In einem Hinterhof hatte ein Mann seinen Widersacher bei einer Auseinandersetzung erstochen. Fรผr Martin S. kommt jede Hilfe zu spรคt, er stirbt noch vor Ort mit nur 54 Jahren. Der Verdรคchtige Michael O., damals 59, wird ein paar Meter entfernt an einer Haltestelle gefasst.

Die Spurensicherung am Tatort. Foto: LZ
Spurensicherung am Original-Tatort. Foto: LZ

Hintergrund war eine jahrelange Dreiecksbeziehung: Die Mรคnner mochten einander nie, suchten beide die Nรคhe zu einer Frau, die an der Richard-Lehmann-StraรŸe wohnte und spรคter an Krebs starb. Die zum Tatzeitpunkt schon massiv durch die Krankheit gezeichnete Katrin J. war offenbar zweigleisig gefahren, hatte sowohl zum Tรคter als auch zum Opfer ein รคuรŸerst ambivalentes Verhรคltnis.

Am Landgericht gibt der nicht vorbestrafte Michael O. den Stich mit einem Obstmesser zu, beruft sich jedoch auf Notwehr: Er habe nie verletzen oder tรถten wollen, sich nur gegen den drohenden, aggressiven Martin S. verteidigt.

Angeklagter und Anwalt in Robe sitzen im Gerichtssaal.
Michael O. (r.) mit seinem Anwalt Andreas Meschkat zum Prozessauftakt im Mรคrz. Foto: Lucas Bรถhme

Die Kammer sieht es nach der Beweisaufnahme anders und verurteilt den Angeklagten Mitte April wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Der 60-Jรคhrige habe gezielt zugestochen, um zu verhindern, dass der Rivale in die Wohnung der schwerkranken Katrin J. gelangt und seinen Plรคnen im Weg steht โ€“ ein niedriger Beweggrund, so die Vorsitzende Richterin. Der Verteidiger kรผndigt sofort Revision an.

Teil 2 des Gerichts-Rรผckblicks 2024 lesen Sie am Wochenende.

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