Er soll eine 58-jährige Frau unweit der Angerbrücke vergewaltigt und erheblich verletzt haben, die Beweislast gilt als erdrückend: Seit Dienstag, dem 13. Februar steht ein junger Mann deswegen vor dem Leipziger Landgericht. Zum Prozessauftakt redete der Vorsitzende Richter gegenüber dem 23-Jährigen Klartext.

Ein gepflegter und unauffälliger junger Mann, beinahe schüchtern wirkend, wurde am Dienstagmorgen mit Handschellen in den Verhandlungssaal des Landgerichts Leipzig geführt. Doch der 23-jährige Diyar G. ist laut Anklage für ein erschütterndes Gewaltverbrechen im Sommer 2023 verantwortlich: Demnach soll der Verdächtige am frühen Morgen des 18. August 2023 gegen 1:37 Uhr der 58-jährigen Martina S. (Name anonymisiert) gefolgt sein, als sie am Straßenbahnhof Angerbrücke die Tram-Linie 15 verließ.

Geschädigte war offenbar ein reines Zufallsopfer

Auf einem unbeleuchteten Teil des Straßenbahndepots habe Diyar G. die Geschädigte angegriffen, auf ihre Gegenwehr mit Würgen und Faustschlägen reagiert und das Opfer letzten Endes in einer Grünanlage an der Jahnallee vergewaltigt.

Martina S., für die der Anklage nach potenzielle Lebensgefahr bestand, trug Schürfwunden, Hautabschürfungen und Blutungen am ganzen Körper davon, leidet bis heute massiv unter den Folgen der brutalen Gewalttat. Sie werde nach wie vor psychotherapeutisch begleitet, verlasse ihre Wohnung in der Nacht aus Angst nicht mehr und habe Schlafstörungen, sagte Staatsanwältin Yvonne Kobelt. Martina S. soll ein reines Zufallsopfer gewesen sein, der mutmaßliche Täter und sie kannten sich offenbar nicht.

Dank eines aufmerksamen Mannes, der den Notruf wählte, konnten Einsatzkräfte des Polizeireviers Südwest den Tatverdächtigen kurz darauf noch an der Haltestelle ergreifen, das Amtsgericht erließ am selben Tag einen Haftbefehl gegen ihn. Durch die Kripo wurden vor Ort Spuren gesichert.

Gericht redet Klartext: Alles spricht für ein hartes Urteil

Wie es jetzt für ihn konkret weitergeht, habe Diyar G. in seiner Hand: Mögliche Zukunftspläne des jungen Iraners, der erst im Juli 2023 nach Deutschland eingereist war, seien der Strafkammer bei ihrer Urteilsfindung völlig egal, machte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr deutlich.

Angehörige der 8. Strafkammer. Foto: Lucas Böhme
Die Beweislage sei aus jetziger Sicht eindeutig und es gehe nur noch um die konkrete Strafhöhe: So lautete die Klartext-Ansage des Vorsitzenden Richters Rüdiger Harr (M.) am Dienstag gegenüber dem Angeklagten. Foto: Lucas Böhme

Die Beweislage sei nach jetzigem Stand erdrückend und es ginge um einen äußerst schweren Vorwurf, der mit einem Strafrahmen von bis zu 15 Jahren belegt sei: „Für einen Freispruch spricht momentan nichts. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass Sie verurteilt werden und es spricht alles dafür, dass es ein hartes Ergebnis wird“, so der deutliche Wink in Richtung des Angeklagten.

Nur die Option, „reinen Tisch zu machen“ und dem Opfer eine lange Vernehmung vor Gericht mit allen Details zu ersparen, könne das Strafmaß am Ende noch spürbar beeinflussen, stellte das Gericht klar. Laut der Anwältin von Martina S., die als Nebenklägerin im Prozess auftritt, wäre dies auch im Sinne ihrer Klientin. Aus einem nicht öffentlichen Rechtsgespräch aller Parteien ging am Dienstag hervor, dass eine Haftstrafe von unter sechs Jahren für die Staatsanwaltschaft auch bei einem Geständnis nicht infrage kommt.

Richter Rüdiger Harr erinnerte an einen ähnlich gelagerten Kriminalfall aus Leipzig vom Herbst 2014 – der schweigende Täter hatte damals sieben Jahre und drei Monate Gefängnis kassiert, eine Revision gegen das Urteil wurde durch den Bundesgerichtshof verworfen.

Angeklagter sagte bislang widersprüchlich aus

Diyar G. folgte der Knallhart-Ansage von der Richterbank zunächst schweigend, nickte einige Male kaum merklich, als ihm die Worte von einer Dolmetscherin übersetzt wurden. Nach Angaben seines Verteidigers Jürgen Kohlen werde er das weitere Vorgehen mit seinem Mandanten bereden, ehe dieser eventuell eine Aussage zum Tatvorwurf tätigt.

Den Ermittlern hatte Diyar G. im bisherigen Verfahren drei widersprüchliche Tatversionen vorgelegt, darunter die, dass der sexuelle Kontakt angeblich im gegenseitigen Einverständnis stattgefunden hat.

Ob sich der junge Mann, der nach seiner Ankunft in Deutschland eine Zuweisung für Frankfurt/Oder erhalten hatte, aber offenbar auf eigene Faust nach Leipzig gefahren war, nun noch korrigieren wird, bleibt abzuwarten. Die Gelegenheit dazu hat er am Donnerstag zur Fortsetzung des Prozesses. Dann sollen auch mehrere Zeugen zu Wort kommen, darunter möglicherweise das Opfer selbst sowie der Mann, der die Polizei alarmiert und die schnelle Festnahme des Verdächtigen ermöglicht hatte.

Mit einem Urteil wird im März gerechnet.

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