Es war wohl denkbar knapp: Ein 84-jähriger Mann, der im Sommer vergangenen Jahres in seinem Colditzer Garten mit einem Messer attackiert wurde, entging vielleicht nur durch Glück einer kritischen, potenziell lebensbedrohlichen Verletzung. Im Prozess gegen den mutmaßlichen Täter, einen 61-jährigen Gartennachbarn des Seniors, äußerten sich am Mittwoch sowohl der Rechtsmediziner als auch ein psychiatrischer Gutachter.

Ein etwa 3 cm tiefer Stich im Rücken, der unter anderem Nieren, Harnleiter und Gefäße nur knapp verfehlte: Der Messerangriff, dessen Folgen er zu untersuchen hatte, hätte leicht einen ganz anderen Ausgang nehmen können, so Rechtsmediziner Christian König am Mittwoch vor dem Leipziger Landgericht. Einige cm höher wären die Folgen des Einstichs in jedem Fall gravierender gewesen.

Im Auftrag der Kripo dokumentierte der Sachverständige am Nachmittag des 29. Juli 2023 das Verletzungsbild beim 84 Jahre alten Lothar T., der nur Stunden zuvor in seinem Colditzer Kleingarten Opfer einer Messerattacke geworden war, sich aber aus eigener Kraft retten konnte. Als mutmaßlicher Täter muss sich der 61 Jahre alte Alfred S. verantworten, dessen Gartenparzelle nur 20 Meter von jener des Geschädigten entfernt lag. Der Rentner ist wegen versuchten Mordes angeklagt.

Bereits am ersten Prozesstag hatte er eine Entschuldigung an den wesentlich älteren Lothar T. gerichtet und Schmerzensgeld angeboten, kann sich aber eigener Aussage nach nicht an die Tat erinnern.

Richter ermahnt den Zeugen: „Hören Sie auf herumzualbern“

Ein Umstand, der nicht zuletzt auf erheblichen Alkoholkonsum zurückzuführen sein könnte. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage wegen versuchten Mordes davon aus, dass der deutlich angetrunkene Alfred S. unvermittelt mit einem Messer zustach, weil ihn das Geräusch vom Rasenmäher seines betagten Gartennachbarn massiv störte.

Zumindest der Alkoholeinfluss von Alfred S. scheint nach jetzigem Stand unstrittig: Man habe in der Gartenlaube des Angeklagten seit dem Vorabend zusammen erhebliche Mengen gebechert, sich irgendwann zwischen 1 und 2 schlafen gelegt, gab ein Kumpel des Angeklagten am Mittwoch im Zeugenstand zu Protokoll. Dieser kennt Alfred S. nach eigener Angabe seit mehreren Jahren.

Dass er allerdings zunächst angab, alles sei okay gewesen, sorgte dann doch für Irritationen: Gegenüber der Polizei hatte Marcel W. (Name geändert) schließlich noch geschildert, dass sein Bekannter mit steigendem Alkoholpegel zunehmende Aggression an den Tag gelebt haben soll. Der Widerspruch ließ schließlich auch den Geduldsfaden der Vorsitzenden Richters Johann Jagenlauf reißen: „Hören Sie auf, hier herumzualbern und erzählen Sie uns, was passiert ist“, ermahnte er den Zeugen.

Erst nach der energischen Ansage lenkte dieser ein und bestätigte seine frühere Aussage. Demnach sei Alfred S. am Morgen des 29. Juli „scharf, so richtig aggressiv“ gewesen, habe sich vom Rasenmäher genervt gezeigt, gar mit Mord gedroht.

Psychiater sieht Steuerungsfähigkeit eingeschränkt

Der forensische Sachverständige Matthias Lammel schätzte die Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt auf annähernd etwa 3 Promille ein. Alfred S. sei ein Mann, der „intellektuell und auch sonst recht einfach strukturiert“ sei, sein Lebensradius sei überschaubar. Anzeichen für eine psychische Erkrankung, geminderte Intelligenz oder Persönlichkeitsstörung gäbe es bei dem Rentner jedoch nicht.

Zentrales Problem des gelernten Drehers, der zuletzt im Baugewerbe tätig war, sei die Alkoholabhängigkeit, zum Zeitpunkt des Messerangriffs habe er sich ohne Zweifel in einem „mittleren Rauschzustand“ befunden, der für eine verminderte Steuerungsfähigkeit spricht, so der Psychiater. Über die Erfolgsaussicht einer Alkoholtherapie äußerte er sich zurückhaltend.

Die Plädoyers von Anklage und Verteidigung waren noch für Mittwoch angesetzt. Das Schwurgericht könnte dann am Freitag sein Urteil fällen, bei dem es auch um die Frage gehen wird, ob der aktuell im Haftkrankenhaus befindliche Alfred S. in eine Entzugsanstalt kommt. Er ist bereits wegen Körperverletzung vorbestraft, da er im August 2022 einem Mann vor einer Colditzer Gaststätte einen Faustschlag verpasst haben soll. Das Amtsgericht in Grimma verurteilte Alfred S. deswegen letztes Jahr zu einer Geldstrafe.

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