Wegen versuchten Mordes sitzt derzeit ein 19-Jähriger auf der Anklagebank im Leipziger Landgericht: Der junge Mann soll im November 2024 einen Drogendealer an der Wettinbrücke in Möckern mit einem Messer attackiert haben, um trotz eigener Geldnot an dessen Rauschgift zu gelangen. Am Freitag nun legte der Verdächtige seine Version der Dinge dar und gestand zumindest den äußeren Tatablauf ein.

Weil er mangels Cash nicht bekam, was er wollte, stach er bewusst mit einem Messer zu: So jedenfalls sieht es die Staatsanwaltschaft. Luca W. dagegen bestritt am Freitag im Landgericht, dass er nicht habe zahlen wollen und dafür sogar den Tod eines Menschen in Kauf nahm: „Ich hatte bis dahin immer bezahlt“, hieß es in einer Erklärung des 19-Jährigen, die sein Verteidiger Christian Friedrich für ihn vortrug. Eine Tötungsabsicht habe es nicht gegeben.

Dealer bei gescheiterter Übergabe schwer verletzt

Wie berichtet, geht die Anklage davon aus, dass Luca W. seit Februar 2024 regelmäßig Rauschmittel vom fünf Jahre älteren Kleindealer Martin H. (Name geändert) bezog, den er über TikTok kannte. Bei der Übergabe einer Bestellung von Crystal, Ecstasy und Marihuana am Abend des 9. November an der Wettinbrücke soll Luca W. den Kaufpreis von 735 Euro nicht bei sich gehabt haben.

Deshalb habe es einen weiteren Treff am Folgeabend gegeben, bei dem der Angeklagte wieder kein Bargeld einstecken hatte. Im Entschluss, trotzdem an seinen Stoff zu kommen, soll er ein Messer gezückt und auf Martin H. eingestochen haben. Der Dealer wurde bei dem Übergriff schwer verletzt.

In seiner Aussage gab der Angeklagte an, dass die Abläufe prinzipiell zutreffen. Anders als durch den Staatsanwalt dargelegt, habe er die Drogen aber in Erwartung einer Nachzahlung vom Amt geordert, so der junge Bürgergeldempfänger: Weil der Geldeingang auch am 9. November noch ausgeblieben war, habe er beim ersten Treff mit Martin H. aus Scham geschwindelt, er habe sein Portemonnaie vergessen. Eine Komplett-Übergabe ohne Sofortzahlung habe Martin H. abgelehnt, ihm aber 0,5 Gramm Kokain als „Vorschuss“ überlassen, sagte der 19-Jährige. Den Großteil habe er in der Nacht konsumiert.

Kontrollverlust soll zu Messerangriff geführt haben

Bei der neu geplanten Abwicklung des Deals am Abend des 10. November gegen 22:30 Uhr sei immer noch kein Geld auf dem Konto gewesen, heißt es im Geständnis, und der 24-jährige Martin H. habe seinen „Stoff“, der in einer Dose verpackt war, nur gegen Bares herausrücken wollen.

Als der Dealer ihm den Beutel samt brisantem Doseninhalt wieder entriss, habe er in einem „Kontrollverlust“ nach einem Messer aus der rechten Jackentasche gegriffen und zugestochen, räumte Luca W. ein: „Dass ich ihn verletzt habe, war mir klar.“ Die Tatwaffe habe er aus Angst immer dabei, seit er in der Grundschule durch einen Jugendlichen sexuell belästigt worden sei, erklärte der 19-Jährige, der strafrechtlich bisher fast unbescholten ist.

Opfer Martin H. konnte trotz seines erheblichen Blutverlusts in Richtung Georg-Schumann-Straße fliehen, wo ihm ein Passant (39) zu Hilfe kam, ihn erstversorgte und die Rettung rief. Er bedaure seine Tat, werde H. um Entschuldigung bitten und finanziell entschädigen, ließ der Angeklagte Luca W. seinen Anwalt erklären.

Angeklagter soll über ChatGPT nach dem Stichwort Engel gefragt haben

Nach eigenen Angaben konsumiere er seit zwei Jahren LSD, weil es ihm geholfen habe, mit seinem verstorbenen Vater zu sprechen. Ihm sei das real erschienen und er habe diesen Zustand wieder angestrebt, beschrieb Luca W. sein Konsumverhalten. Auch am Tatabend will er unter Einfluss der Droge gestanden haben.

Gegenüber einem psychiatrischen Gutachter hatte Luca W. in der U-Haft erklärt, er habe kurz vor dem Übergriff auf Martin H. auch die Suchanfrage „Engel“ bei ChatGPT eingetippt: Angeblich, weil er sich im Rausch für auserwählt hielt und habe richten sollen, so vertraute er es dem Gutachter an. Am Freitag allerdings machte Luca W. hier Erinnerungslücken geltend, auch mit Bezug zum Messerangriff selbst.

Dem Sachverständigen hatte Luca W. gleichwohl geschildert, nach ziellosem Herumlaufen nochmal zum Tatort zurückgekehrt zu sein, weil er wissen wolle, ob er jemanden getötet habe: Ein Zeichen dafür, dass dem Angeklagten sein Handeln bewusster war, als er jetzt glauben machen will? „Irgendwie spricht ja aus der Tat eine ziemlich große Wut“, fasste der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn seine Skepsis zusammen.

Für den Prozess sind noch Verhandlungstage bis Mitte Mai geplant.

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