Die Idee war so überzeugend: Man drückt den jungen Eltern bei der Geburt ihres Kindes einfach einen Fragebogen in die Hand. Die füllen flugs alles aus. Und binnen eines Jahres weiß die Stadt Leipzig so gut wie keine andere, was junge Eltern sich wünschen, was sie brauchen und wie ihr Umfeld aussieht. Hätte 2011 genau 5.602 ausgefüllte Fragebögen ergeben müssen. Geworden sind's nur 353.

Das ist dann zwar statistisch nicht repräsentativ. Aber besser als nichts. Jörg Neumann und Andrea Schultz werten die eingegangenen 353 Fragebögen im Quartalsbericht 1/2012 aus. Und bekommen natürlich einiges bestätigt, was andere Statistiken auch schon gezeigt hatten. Die meisten jungen Eltern sind zwischen 27 und 32 Jahren alt, viele nutzen die Möglichkeiten des Elterngeldes – aber nur so lange, wie es Sinn macht. Auch wenn jede siebente Frau durchaus überlegt, mit dem Kind zwei Jahre zu Hause zu bleiben – die meisten Eltern fangen früh an, nach einem Betreuungsplatz für das Kind zu suchen.

Trotz der Tatsache, dass besserverdienende Eltern (Haushaltsnettoeinkommen über 3.600 Euro) in der Befragung mit 20 Prozent deutlich überrepräsentiert sind. An der gleichaltrigen Bevölkerungsgruppe machen sie eigentlich nur 7 Prozent aus.

Trotzdem wünschen sich 53 Prozent der Eltern schon im ersten Lebensjahr des Knirpses einen Krippenplatz für dessen Betreuung, weitere 24 Prozent eine Tagesmutter. Im zweiten Lebensjahr des Kindes wünschen schon 71 Prozent einen Krippenplatz, im dritten dann 82 Prozent. Und ab dem Kindergartenalter liegt der Wert des Wunsches nach einem Betreuungsplatz bei 94 Prozent.Die Stadt wollte auch wissen, inwiefern es dann – wenn es eben doch nicht klappt – einen Betreuungspuffer im direkten Umfeld der jungen Eltern gibt. Immerhin 60 Prozent der jungen Frauen gaben an, dass zur Not die Großeltern einspringen könnten, 36 Prozent konnten auf Freunde zurückgreifen, 21 Prozent auf andere Verwandte. Bei den jungen Vätern war dieser Puffer durchweg geringer. Was nicht heißen muss, dass er tatsächlich geringer ist. Aber irgendwie scheinen Frauen nach wie vor konsequenter an ihren sozialen Netzwerken zu arbeiten.

Und das sind nicht die Quatschbuden im Internet wie Facebook & Co., sondern das sind reale Verpflichtungen im Familien- und Freundeskreis. Die übrigens den Button “Mag ich” tausendmal mehr verdient haben. Denn auch das zeigen die ausgefüllten Fragebögen: Kinder sorgen für echte soziale Gewinne. Schon in der direkten Beziehung. Die jungen Eltern sind stolz auf sich selbst (Selbstwertgefühl!), haben Freude mit dem Knirps und empfinden auch die Partnerschaft intensiver.

Es gibt auch Ängste. Das gehört dazu im Leben. Es gibt mehr Stress, sagen die jungen Eltern, es gibt finanzielle Ängste, die noch stärker wirken als die Angst, “nicht alles richtig zu machen”. Es gibt auch Ängste, nicht wieder in den Beruf einsteigen zu können, Zukunftsängste und Überforderungen. All das etwas schwerer gewichtet als etwa Beziehungsprobleme.Da kann die Stadt nicht wirklich helfen. Aber helfen kann sie natürlich bei der Betreuung. Aber auch da äußern sich die jungen Leute kritisch. Oft sind die Betreuungsplätze zu weit vom Wohnort entfernt. Womit man wieder bei Heidrun Schellbachs Beitrag zu Leipzigs Kindertageseinrichtungen wäre: Viele Kindertagesstätten befinden sich eben nicht im Ortsteil, wo sie gebraucht werden, sondern oft auch in weiter entfernten Stadtbezirken. Entsprechende Kritik am Online-Vermittlungsportal der Stadt äußern die Eltern ebenfalls deutlich.

Aber auch die Betreuungsrelationen in den Einrichtungen sind nach Einschätzung vieler Eltern zu schlecht. Und die Bearbeitung von Anträgen und Urkunden dauert oft zu lange und ist zu bürokratisch.

Denn die niedrige Rücklaufquote der Fragebögen bedeutet natürlich auch: Die jungen Eltern sind auch zeitlich straff eingebunden. Die meisten müssen recht schnell wieder zurück in Lohn und Brot, denn ein Einkommen allein reicht in Leipzig schon lange nicht mehr, um eine Familie zu unterhalten. Eigentlich kann die Stadt trotzdem stolz auf ihren Nachwuchs sein, denn wer Kinder bekommt, der traut sich was. Der weiß ja heutzutage auch, dass nach dem Stress mit dem Kita-Platz (der vielen Eltern nach wie vor zu teuer ist), der Ärger mit dem sächsischen Schulsystem kommt, der das mottenverstaubte Elite-Denken des 19. Jahrhunderts pflegt und gern hohe Barrieren für alle aufbaut, die nicht so gut betucht sind.

Und wenn sie es trotzdem schaffen, diese Kinder aus finanziell etwas schwächeren Elternhäusern, dann kommen die nächsten Hürden, dann spielt auch die Wissenschaftsministerin Elite und korrigiert – wider besseres Wissen – die Prognosezahlen für Studierende in Sachsen nicht. Das ist Thema eines weiteren Beitrags von Heidrun Schellbach – diesmal zu Studierenden in Leipzig, Sachsen und im Städtevergleich. Und unbekümmert schreibt sie tatsächlich den Satz hin: “Für 2012 wird ein enormer Rückgang auf 17.800 Hochschulerstsemester prognostiziert.”

Das ist die Zahl, mit der Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer noch immer operiert, obwohl diese Prognose von 2005 stammt und seither eine völlig andere Entwicklung eingetreten ist, die mit 21.000 Erstsemester-Studierenden in Sachsen einen neuen Rekord aufwies. Und dieses Niveau prognostiziert die deutsche Kultusministerkonferenz bis mindestens 2020. So hat sie es im Frühjahr auch bekannt gegeben. Vielleicht sollte man jeden Tag einen Wecker ins sächsische Wissenschaftsministerium schicken, bis die Ministerin aufwacht.

Vielleicht ist sie aber auch wach und bekommt – wie ihre Kabinettskollegen – jeden Tag vom Finanzminister ein forsches hessisches: “Nö!”

Es gibt ja noch ein paar andere straffe Nein-Sager im Kabinett. Das klingt dann wie ein forsches “Ja”, etwa zur Braunkohleverbrennung. Dabei wollen die Ostdeutschen – und auch die Sachsen – mehrheitlich diese alten Emissionsschleudern nicht mehr, sondern eine echte Energiewende. Eine Umfrage der enviaM – die im Vorspann des Quartalsberichts 1/2012 zitiert wird – besagt, dass 81 Prozent der ostdeutschen Haushalte den kompletten Umbau der Energieversorgung wollen. Bei den befragten Kommunen sind es 69 Prozent. Wichtigster Punkt: die Versorgungssicherheit und die Bürgerakzeptanz. Nur bei den Unternehmen ist die Zahl der Befürworter geringer. Wobei das Bild bei den Unternehmen sehr komplex ist. Von der Tatsache, dass Unternehmer sich über den Ausbau der alternativen Energien schlechter informiert fühlen als Bürger und Kommunen bis hin zum ebenso erstaunlichen Effekt, dass sie trotzdem eine höhere Versorgungssicherheit mit neuen Energien erwarten als etwa die Kommunen.

Das steht hier nicht. Das steht in der entsprechenden Studie der enviaM: www.enviam.de/Unternehmen/enviaMAG/StudieEnergieweltOst

Den neuen Quartalsbericht 1/2012 findet man auf der Homepage des Amtes für Statistik und Wahlen: statistik.leipzig.de

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