Heute ist der 20. September. Heute ist Weltkindertag. Es darf getrauert werden. Am Montag ging der mittlerweile vierte "Armuts- und Reichtumsbericht" der Bundesregierung zur Abstimmung in die Ressorts. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete über erste Inhalte. Und sie sind entmutigend genug: "Die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter, von einer sozial auch nur annähernd homogenen Bundesrepublik kann keine Rede sein", schreibt der "Stern". Und darunter leiden zuallererst die Kinder. Auch in Sachsen.

Über das miserable Einkommensniveau in Leipzig berichtet die L-IZ nun schon seit Jahren. Politiker in Stadt und Land reden sich zwar die gestiegenen Beschäftigtenzahlen immer wieder schön. Aber für die Betroffenen ändert sich nichts, ob sie nun mit den kargen Sätzen des Jobcenters arm sind oder mit den miesen Löhnen in einigen Leipziger Dienstleistungsbereichen.

Wenn Menschen arm bleiben – trotz Arbeit, wie es die Gewerkschaften seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze kritisieren -, dann hat das Folgen für die ganze Gesellschaft. Bis hin zu den Chancen in der Schule, Problemen mit Rauschmitteln, steigender Beschaffungskriminalität, zunehmenden sozialen Spannungen.

484.033 Kinder unter 15 Jahren lebten Ende 2011 in Sachsen, hat nun das Statistische Landesamt die jüngste Zahl zum Fall “Kinder in Sachsen” ermittelt. Damit gehörte jeder neunte sächsische Bürger zu dieser Altersgruppe. Doch das ist eher kein Ruhmesblatt: Am Jahresende 1990 war die Zahl der Kinder mit 885.462 noch fast doppelt so hoch und jeder fünfte Sachse war damals jünger als 15 Jahre.

Dabei ging der Rückgang der Kinderzahl in den 1990er Jahren mit zwei markanten Phänomenen einher: einmal mit der massiven Abwanderung gerade junger Sachsen gen Westen – und zum anderen mit dem rapiden Rückgang der Geburtenrate selbst, die zeitweise nur noch halb so hoch war wie selbst die magere Geburtenrate von 1,4, wie sie im Westen der Bundesrepublik längst die Norm war. Viele Frauen verschoben ihren Kinderwunsch um Jahre nach hinten, das Erstgebärendenalter stieg selbst im Durchschnitt von 20 auf 30 Jahre an. Die ganze Zeit machten die amtlichen Statistiken sichtbar, wie sehr Geburten und Familiengründungen von der wirtschaftlichen Zukunftsperspektive der jungen Familien abhängen.

Bis 2005 nahm die Kinderzahl in Sachsen permanent ab und erreicht damals mit 436.305 einen Tiefststand. Der beginnende Anstieg der Zahl ab 2006 hätte eigentlich die Landesregierung zum Umsteuern in ihrer Bildungspolitik bringen müssen. Damals wäre das noch mit geringem Aufwand und mit langfristig kluger Planung möglich gewesen. Auch wenn die Zahlen von Anfang der 1990er Jahre nicht wieder erreicht werden, stabilisiert sich die sächsische Kinderzahl auf etwas höherem Niveau, ein Niveau, das man auf Jahre hinaus relativ gut kalkulieren kann.Das einzig wirkliche Problem dabei war: Niemand konnte genau abschätzen, wo die steigenden Kinderzahlen genau zu erwarten wären. Aber dass dies in den Großstädten Dresden und Leipzig verstärkt passieren würde, war ablesbar.

Doch Jahr um Jahr ließ die sächsische Staatsregierung verstreichen, ohne die alte – komplett auf Schrumpfung ausgerichtete – Sparpolitik zu beenden. Selbst in Leipzig wurden 2005, 2006 noch Schulen geschlossen, obwohl hier seit 2001 klar war, dass der Geburtenzuwachs auf Jahre hinaus zunehmen würde. Die Probleme mit fehlenden Schulen und Lehrern im Jahr 2012 waren allesamt schon 2005/2006 absehbar.

Was das Statistische Landesamt noch anbietet zum Tag das Kindes, ist ein kleiner Blick ins soziale Umfeld der kleinen Sachsen.

Im Jahr 2011 wuchsen 79 Prozent der Kinder bei Paaren auf. Mehr als zwei Drittel dieser Paare (71 Prozent) waren miteinander verheiratet. 21 Prozent der sächsischen Kinder lebten bei ihren alleinerziehenden Müttern oder Vätern. In Leipzig liegt der Anteil der Alleinerziehenden übrigens bei 29 Prozent, in 54 Prozent der Familien mit Kindern sind die Eltern verheiratet.

Das eigentlich Alarmierende: 98.098 unter 15-Jährige lebten am Jahresende 2011 in Bedarfsgemeinschaften, die auf Hartz IV-Leistungen angewiesen waren. Das waren zwar 5.701 Kinder weniger als 2010. Auch der Anteil der betroffenen Kinder wies mit 20,3 Prozent erneut einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr (21,8 Prozent) auf. Aber das bedeutet eben dennoch, dass (mindestens) jedes fünfte Kind in Sachsen in Armut aufwächst. Wobei eben die Nichtregistrierung als Bedarfsgemeinschaft in Sachsen schon längst nicht mehr heißt, dass die Leute aus der Armut heraus sind. Immer mehr Sachsen vermeiden den Gang in die Jobcenter, wenn sie mit allerlei Niedriglohnjobs nur vermeiden, wieder zum Spielball behördlicher Sanktionierungen zu werden.

In Leipzig führt diese ganz spezielle “Hartz-IV-Politik” mittlerweile dazu, dass die Zahl der Menschen, die mit weniger als 800 Euro im Monat leben müssen, deutlich steigt, während die Arbeitslosen- und ALG-II-Zahlen ganz offiziell sinken.

Die Wahrscheinlichkeit, dass weit mehr Kinder in Leipzig in Armut aufwachsen als die vom Jobcenter zum Jahresende 2011 gemeldeten 17.520 unter 15-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften, ist hoch. Da knapp 60.000 Kinder unter 15 Jahren zu dem Zeitpunkt in Leipzig lebten, kann es sich jeder selbst ausrechnen: Rund 29 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren lebten in einer “Bedarfsgemeinschaft”.

Die “Süddeutsche” zum “Reichtums- und Armutsbericht” der Bundesregierung: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/neuer-armuts-und-reichtumsbericht-der-bundesregierung-reiche-trotz-finanzkrise-immer-reicher-1.1470673

Ein Kommentar von Hans-Peter Schütz dazu im “Stern”: www.stern.de/politik/deutschland/reiche-werden-immer-reicher-so-asozial-ist-deutschland-1896555.html#utm_source=sternde&utm_medium=zhp&utm_campaign=politik&utm_content=snippet-links

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