Die Bilder auf der Leinwand sind bekannt, sie gingen um die Welt und beschäftigen bis heute Justiz, Menschenrechtler und Familienangehörige. Der Film über den zu Tode gekommenen Afrikaner Oury Jalloh zeigt Steintreppen, die zum Eingang der Polizeistation in Dessau führen, dann die weiße Matratze in der Ecke der Zelle Nummer 5, auf der Jalloh aus bislang ungeklärten Gründen im Januar 2005 in gefesseltem Zustand verbrannte.

Was genau in dieser Nacht geschah, ist umstritten. Widersprüchliche Zeugenaussagen, verschwundene Beweismittel und zahlreiche Untersuchungen ließen bis heute viele wichtige Fragen offen. Ein Dienstgruppenleiter der Polizeistation und ein weiterer Polizist wurden 2008 wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und später freigesprochen. Der Film, den das Erich-Zeigner-Haus gestern vorführte, zeigt bewegende Aufnahmen der Angehörigen im Heimatland von Oury Jalloh und Fotos seiner verbrannten Leiche. Ein Mann verlässt unter Tränen den Raum.

Es ist Salin Jalloh, der Bruder des Opfers. Er ist aus Guinea angereist, um den aktuellen Prozess vorm Landgericht Magdeburg zu verfolgen. Der Bundesgerichtshof hatte Anfang 2010 den Freispruch für den Dienstgruppenleiter aufgehoben. Seit dem 12. Januar 2011 wird nun neu verhandelt.

“Der Freispruch im ersten Prozess war für uns alle sehr schmerzhaft”, sagt Salin Jalloh. In sich zusammengesunken hat er wieder im Raum Platz genommen. Mit gesenktem Kopf bedankt er sich auch im Namen seiner Familie für die Solidarität in Leipzig. “Hier geht es um einen Menschen”, sagt er mit leiser Stimme. “Oury kommt nie wieder. Aber es ist wichtig, dass diese Leute verurteilt werden, damit so etwas nie wieder passiert.”
An seiner Seite sitzt Mouctar Bah, ein enger Freund des Opfers, “ohne dessen Engagement dieser Polizeiskandal schon längst ungeklärt unter der Decke verschwunden wäre”, stellt Veranstalter Frank Kimmerle den Mann vor. Der Vorsitzende des Vereins im Erich-Zeigner-Haus will weitere Unterstützung zur Aufklärung organisieren, die Termine der einzelnen Prozesstage auf der Website des Erich-Zeigner-Haus e.V. veröffentlichen. Im Gespräch sind ein Benefizkonzert und gemeinsame Fahrten nach Magdeburg, um vor Ort Solidarität zu bekunden. “Denn für uns ist klar, dass man Oury einfach verbrannt hat. Weil man ihn vorher zusammengeschlagen hat und das vertuschen wollte,” sagt Mouctar Bah.

Ein Gutachten hatte mit Röntgenaufnahmen einen Nasenbeinbruch des Opfers nachgewiesen. Bei der ersten Untersuchung der Leiche wurde das nicht ermittelt. Überwachungsvideos sind verschwunden. Ein Feuerzeug, dass nach Ermittlungen der Polizei den Brand verursacht haben soll, tauchte erst am dritten Tag der Untersuchungen auf. “Es war aber nur angeschmort. Bei den Temperaturen hätte es aber explodieren müssen”, zweifelt Mouctar Bah. “Da sitzen drei oder vier Leute oben, die das alles dirigieren”, ist er sicher.
“Das ist das wahre Gesicht von Deutschland. Ich weiß jetzt, wie hier alles funktioniert. Nicht anders als in China oder Sierra Leone. Nur dass Vorfälle hier besser gedeckt sind.” In seiner Stimme ist kein Groll, keine Wut. Vielmehr spricht die Fassungslosigkeit aus seinem Gesicht und eine gewisse Ohnmacht. “Wir haben die Botschaften von Guinea und Sierra Leone um Hilfe gebeten. Sie haben gesagt, dass sie sich da nicht einmischen wollen.” Der Kontakt zu einem Reporter, der für ein bekanntes Leitmedium den Fall intensiv recherchierte, brach ab. “Er sagte, die Geschichte wäre ihm doch zu heiß”, erinnert sich Mouctar Bah.

Jetzt ist er skeptisch, wie das Landesgericht Magdeburg den Fall verhandeln wird. Auch den Richter kann er nicht einschätzen. Dafür sei es noch zu früh. Vor Ort verfolgen sieben internationale Prozessbeobachter die Verhandlungstage. Mouctar Bahs Hoffnung liegt nun bei dem Polizisten, der im ersten Prozess freigesprochen worden ist. “Denn dieser kann jetzt als Zeuge in Magdeburg aussagen, weil er nicht mehr der Schweigepflicht untersteht”.

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