Weltpolitisch war dies erneut eine aufrüttelnde Woche. Besonders in Leipzig ist etwas Epochales passiert. Der Bürgermeister, genauer gesagt sein Fahrer, hatte auf einem Gehweg geparkt und wurde vom Ordnungsamt zur Räson gerufen. Man kann sich vorstellen, dass solch ein Jahrhundertereignis natürlich in die Zeitung musste, mit Bürgermeistern darf man nämlich nicht zu zaudernd umgehen. Da achten wir drauf!

Laut einer Umfrage des Magazins CRISMON würden zum Beispiel 34 % der Deutschen einen Bürgermeister anzeigen, der bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat. Noch etwas mehr – nämlich 38 % – würden melden, wenn ein Autofahrer einen Behindertenparkplatz blockiert.

Unklarheit besteht noch dahingehend, wie viele einen Bürgermeister büßen lassen möchten, besetzte dieser einen Behindertenparkplatz, schriebe dort eventuell gar Doktorarbeiten ab!

Auch bleibt weiterhin im Dunkeln, wie man damit umginge, wenn der Bürgermeister behindert wäre oder ob man auch einen Behinderten anzeigen würde, der sich die Freiheit genommen hätte, auf einem Bürgermeisterparkplatz Denunziationsanrufe zu tätigen, die auf dem Plagiatsverdacht der Doktorarbeit des eigentlichen Parkplatz-Inhabers basieren.

Wie diese Resultate auch immer aussähen: Mir scheint, der Deutsche, er kann einfach nicht anders: Seine Lieblingsbeschäftigung bleibt nun einmal das Zum-Rapport-Schreiten.

Das stimmt natürlich nicht ganz, denn die allerliebste Beschäftigung der Deutschen ist nun einmal der Sport bzw. das Zuschauen, wenn andere miteinander um bestmögliche Ergebnisse ringen. Das allerdings scheint mir um einiges bedenklicher.

“Sportwettkämpfe halten die Leute bereit für den Krieg”

Vor einiger Zeit hatte ich eine belebende Begegnung mit ein paar Theaterleuten in Altenburg, die am dortigen Hause tätig waren. Munter hüpfte das Gespräch vom Thema zu Assoziation, von Assoziation zum philosophischen Gemeinplatz, vom Gemeinplatz zum persönlichen Naturgesetz. Kurzum: Es war nach meinem Geschmack. Mittendrin sagte einer: “Ich hasse Sport. Sportwettkämpfe halten die Leute bereit für den Krieg.” Die Stille, die danach folgte, war fast so tief, als hätte Heribert Faßbender diesen Satz ausgesprochen.

Ich fing an, ein bisschen halbherzig zu widersprechen, führte alles an, was sich bot: Dass man seit der griechischen Antike doch eher vom Gegenteil ausgehe, dass man sich doch auch erzieherischen Wert von derlei Treiben erhoffe, ein bisschen Fairness hier, ein bisschen Disziplin da, aber er ließ sich dadurch selbstverständlich nicht von seiner Meinung abbringen. Ich nahm den Satz in der Regionalbahn mit nach Hause. Und fand ihn zumindest so, wie man als Schüler hilflos über ein nicht verstandenes Stückchen Literatur zum Lehrer sagte: “Der Text regt zum Nachdenken an.”

Vorab: Ich bin für Bewegung. Sehr sogar. Drei Tage ohne Leibesertüchtigung und ich werde über das Normalmaß hinaus unerträglich. Aber wann immer ich Menschen bei der Leibesertüchtigung um Siege ringen sehe, speziell im Hochleistungssport, habe ich das latente Gefühl, die werden seit längerem künstlich aggressiv gehalten, dass sie über sich hinauswachsen, aus ihrem Körper das letzte rausholen, ihn schinden, den Gegner ausboten, abhängen, schlagen. Dass zahlreiche olympische Disziplinen mit ihrem Stöcke-Werfen, Objekte unterschiedlichen Gewichts und unterschiedlicher Beschaffenheit von sich zu schleudern oder –  für mich das Unvorstellbarste überhaupt – mit einer Mütze bekleidet auf Skiern herumzuhasten und im Schnee auf Ziele zu schießen, lässt zumindest ansatzweise an Überreste veralteter Kriegstechniken denken.

Tatsächlich drängt sich doch die Frage auf: Wo um alles in der Welt liegt der Sinn des Hypes um Leistungssport und Wettkämpfe?

Gesund kann man es nicht nennen, wenn Turnerinnen nicht selten ihre Volljährigkeit mit einem kaum mehr funktionierendem Knie und einem desaströsen Rückenleiden feiern? Die positiven Effekte sportlichen Hochleistungstreibens werden fahrlässig verharmlost, solange der Sportler etwas leistet und sei es mittels noch fragwürdiger Bewegungsabfolgen. Vielleicht werden auch deswegen erfolgreiche Sportler meist realitätsverklärend dargestellt. Man verstehe mich nicht falsch: Es ist hervorragend, wenn jemand durch große Disziplin und Anstrengung zu einer Leistung gelangt, die dem Normalsterblichen auf seiner Couch blasser als den erwachsenen Michael Jackson aussehen lässt.

Sportler nähren unseren Traum, wir könnten über uns hinauswachsen, alles erreichen, wenn wir nur genügend übten, trainierten, endlich hart wären. Dass dann doch auch eine sehr individuelle körperliche Beschaffenheit letztlich zur Höchstleistung führt, lassen wir dabei lässig außer Acht. Mit Verlaub: Ich will Fred Delmare nicht posthum unrecht tun, aber als Basketballer hätte er vermutlich nur eine kleine Karriere gemacht.

Für all das den Spitzensportlern jedoch eine darüber hinausgehende Rolle des Helden, der Allround-Vorbildfigur überzustülpen, die sie wie jeder andere Mensch auch nur selten hinreichend ausfüllen können, ist großer Unsinn. Das weiß man spätestens ab dem Zeitpunkt, als David Beckham das erste Mal zu Wortbeiträgen animiert wurde.

In einigen Fällen ist es sogar ein wenig traurig, was aus Menschen werden kann, die schlichtweg zu viel Tennis gespielt oder zu oft auf dem Rad gesessen haben. Aber im Grunde sind es ja nicht die Sportler, die den Spitzensport ausmachen.

Es sind die Sportfunktionäre, die sich in manch Sportart nicht selber sicher sein können, welches Adjektiv sie besser beschriebe: selbstgerecht oder korrupt. Und wenn zur Stunde der deutsche Kaiser lachend angibt, es haben Zeiten gegeben, da habe er einfach alles unterschrieben, auch blanko, dann erklärt das vielleicht das Zustandekommen seiner dritten Ehe, aber noch lange nicht alles.

Es hilft nichts, the final results are: Mit Sportereignissen verhält es sich wie mit dem Falschparken: Beides ist verzeihlicher Unfug. Bestraft wird aber nur der ohne Parkplatz.

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