Dass der Mai „alles neu“ mache, ist ein alter Hut. In vielen Fällen steht aber die sonnenumflutete Blütenpracht für die Hoffnung auf bessere und (sozial?) wärmere Tage, die, wie es zuletzt der „Linken“-Parteitag titelte, „organisiert“ werden müssen. Klingt gut und tatsächlich hoffnungsvoll. Allemal besser, als sich verdüstert-fatalistisch in einen Biedermeier x.0 zu begeben, sich im verzweifelt-achselzuckenden Resignieren und der bürgerlichen „Komfortzone“ bequem zu machen. „Die Demokratie braucht dich!“
Denn: Nie wieder ist jetzt! Alles richtig. Bleibt nur zu hoffen, Wunsch und Wirklichkeit sich miteinander verbinden lassen. „Hoffnung“ nennt sich auch ein Gedicht des einen berühmten Namensgebers meines Kolumnen-Dauertitels. Friedrich Schiller. Der schrieb dieses Gedicht an der (Zeitenwende-) Schwelle des neuen Jahrhunderts. Ins 19. ging es damals.
Nach der Hoffnung der französisch-bürgerlichen Emanzipation im revolutionären Kampfgewand endete diese gewaltige Umwälzung (Danton 1789: „Beim Bau einer neuen Welt müssen schon ein paar Köpfe rollen.“) im Fiasko des Bürgerkrieges – mit dem Bürgergeneral Napoléon als diktatorische Schlusspointe, salopp formuliert. Die Menschen der „Straße“, die ohne (sans) adlige Kniehosen (culottes) herumliefen, die einfachen Arbeiter, sahen sich instrumentalisiert für ein Bürgertum, das eher verdienen als dem Volk dienen wollte.
Auch Frauen waren erstmal dabei, riskierten ihr Leben für die bürgerlich-formale Gleichberechtigung wie Olympe de Gouges oder Théroigne de Mericourt, nur zwei Beispiele für die Universalität der Menschen- und Bürgerrechte, um die in der Revolution 1789 gerungen wurde. Die Hoffnung auf eine gerechtere Welt, ohne Privilegien für Superreiche, die sich per Gottesgnadentum einbildeten, die besseren Menschen zu sein. Die sich vor langer Zeit einmal die „Edlen“ nannten.
Später wurden Adlige daraus. Ein Wort war zur Waffe geworden. Ebenso wie die Revolution und ihre zunächst progressiven Kräfte. „Ich kann seit 14 Tagen keine französische Zeitung mehr lesen, so ekeln diese Schindersknechte mich an.“ Schrieb der entsetzte Schiller drei Wochen nach der Hinrichtung des sechzehnten Ludwig an seinen Freund Christian Gottfried Körner. Der revolutionäre Furor hatte längst die einfachen Bürgerinnen und Bürger gepackt, sie hielten etwas Neues für Volksherrschaft und später dann auch Demokratie.
Was bedeutete, dass neben der Umkehr der Besitzverhältnisse – am 4. August 1789 waren die Adelsprivilegien und die Leibeigenschaft der ärmeren Landbevölkerung einschließlich ausstehender Schulden abgeschafft worden – nun endlich „die da unten“ die Macht innehaben. Irrtum. Zwar zeigte sich die Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen. (Marx lässt grüßen.) Aber die Sieger von gestern waren gleichsam die Verlierer von morgen. Chance vertan. Sie musste vertan, die Freiheit vom „unempfänglichen Geschlecht“ (Schiller 1793) missbraucht werden.
In der historischen Distanz völlig logisch, die Entwicklung von einem mehrheitlich empfundenen Unrechtsbewusstsein mit natürlichem Recht hin zu einer Entwicklung mit unmenschlicher Raserei, angefeuert von den radikal-aufklärerischen Propagandaformeln und Losungen der jeweils Herrschenden im Konvent, der französischen „Volksvertretung“. Was folgte, klang dann nur noch bedingt revolutionär, verbindet man dieses Attribut mit fortschrittlichen Gedanken.
„Die Aristokraten an die Laterne!“, hallte es zwei, drei Jahre nach diesem zunächst befreienden Paukenschlag der Geschichte, dem Sturm auf die Bastille 1789, durch die Pariser Straßen und Gassen, bis hin zu den Gefängnissen, in denen Menschen furchtbar zugerichtet und getötet wurden. Ein Bürgerkrieg war entbrannt – und in wessen Interesse?
Die „da unten“ hatten ihr Feindbild – aber wer waren die Profiteure? Sansculotten, Handwerker, Frühproletarier – sie kehrten blutverschmiert nach Hause zurück, hungerten weiter. Sie hatten – im wahren Sinne des Wortes – die Drecksarbeit für andere gemacht. Die Anderen, die kein Interesse an einer wirklichen Volksdemokratie (der Pleonasmus sei mir an dieser Stelle gestattet) hatten.
Längst war das Land in den Strudel europäischer Machtkämpfe geraten, die umliegenden Feudalmächte fürchteten zum einen das „revolutionäre Vorbild“, aber viel mehr noch die Übertragung der politischen Macht an das expansive, französische Handelsbürgertum, das die Vorherrschaft in Europa erlangen wollte. Alle exekutiven „Wegmarken“, von den gemäßigten über die radikalen Republikaner, bis hin zu den regierungsunfähigen Erben der Jakobinerdiktatur, wurden von der Geschichte beiseite gefegt.
Nein, nicht „von der Geschichte“ weggefegt, sondern von einem sensationell aufsteigenden Nobody, einem entschlossenen Karrieristen, der die Interessen der französischen Besitzbürgerklasse am skrupellosesten verkörperte, Napoléon Bonaparte. „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit!“ Das waren nur leere Worte, gepinselt an die Straßenwände von Paris, ein mauergroßes Fotoalbum für verträumte Visionäre und Idealisten – 10 Jahre nach Revolutionsausbruch 1799 – wenn diese Sozialutopisten überhaupt noch lebten.
Einer dieser romantischen Träumer – ein gewisser Francois Noel Babeuf – ein „Gleichmacher“ (Likedeeler) wie Klaus Störtebeker, war 1797, als Napoléon erfolgreich die Österreicher bekämpfte, hingerichtet worden.
Beispiel für vergebliche Hoffnung. Bonaparte beendete 1799 dann auch die Revolution, erklärte sie für siegreich, gab „seinem Volk“ das Gefühl, in einer neuen, gerechten (demokratischen?) Gesellschaft zu leben. Napoléon verkörperte die Macht, instrumentalisierte die Medien nach seinem politischen Gutdünken, krönte sich später (1804) dann zum Kaiser und – alle Revolutionäre von gestern, sofern sie die Revolution überlebt hatten, jubelten ihm zu.
Auch die ehemals „Linken“ hatten dem nichts mehr entgegenzusetzen, was selbst den korsischen Militärdiktator verwunderte, als er nach einem der zahlreichen (fehlgeschlagenen) Attentate am Weihnachtstag 1800 die Drahtzieher im Jakobiner-Milieu vermutete. Sein ausgefuchster Polizeiminister Fouché bewies ihm das Gegenteil. Was ihm die prompte Entlassung des wütenden Konsuls Napoléon einbrachte, der sich von niemandem eines Besseren belehren lassen wollte.
Soweit zur revolutionären „Bilanz“ an der Schwelle des neuen bürgerlichen Jahrhunderts. Kant war steinalt, Goethe beinahe im Vorruhestand – an der Tragödie des bürgerlichen Eskapisten Faust bastelnd – und Schiller? Dem ging es auch schon sehr schlecht.
„Hoffnung“ – die blieb dem jüngeren der beiden Weimarer Dichterfürsten, nachdem sich die Menschen „da unten“ unfähig zu Freiheit und aktiver Volksherrschaft (beides war geschickt verhindert worden) gezeigt hatten. Revolutionen werden zwar von einer zunächst homogenen, kritischen Masse gemacht, aber dann setzen sich die Nutznießer der Wut an die Spitze einer Umwälzung, den Menschen das Gefühl gebend, in ihrem Interesse zu handeln.
Dabei wird der Drang vieler Bürgerinnen und Bürger nach einem angenehmen Leben bewusst genutzt, irgendein Aufstiegsversprechen erklärt, die Wahrheit und politische Notwendigkeit hinter Abstrakta wie „Ehre und Nationalgefühl“ (Napoléon) oder wohlklingenden Formeln von „Freiheit und Mitbestimmung“ versteckt. Deswegen muss Hannah Arendts Mahnung, immer kritisch gegenüber Herrschenden und bestehenden sozialen Verhältnissen im Lande zu sein, allgegenwärtig bleiben.
Ansonsten … bleibt einem nur verflossener, revolutionärer Trost und Schillers „Hoffnung“.
Es reden und träumen die Menschen vielÂ
von bessern künftigen Tagen;
nach einem glücklichen, goldenen Ziel
sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,Â
doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
sie umflattert den fröhlichen Knaben,
den Jüngling locket ihr Zauberschein,
sie wird mit dem Greis nicht begraben;
denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.Â
Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,
erzeugt im Gehirne des Toren,
im Herzen kündet es laut sich an:
zu was Besserm sind wir geboren.
Und was die innere Stimme spricht,
das täuscht die hoffende Seele nicht.
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