Die im ersten Jahresmonat etwas gedrechselt wirkende, bilinguale Überschrift sollte dennoch nach meinem Dafürhalten ein Ziel, ein Motto für das bereits im Rollen befindliche 2025 sein. Meine Gespräche zum Jahreswechsel waren mehr als nachdenklich, oftmals auch von Befürchtungen getragen. Der (Kugel-)Bombenstimmung zu Silvester sollte es dennoch keinen Abbruch getan haben, so als würde man sich über alle Sorgen hinwegsetzen und stattdessen umso ausgelassener (und lebensgefährlicher) feuerwerkeln wollen.
Aber Sie wissen es genauso gut wie ich. Die Zukunft der verbleibenden reichlichen 11 Monate (und darüber hinaus) verlangt von uns viel größere Aufmerksamkeit für Politik, gesellschaftliches Miteinander und Suchen nach friedlichen Lösungen. Die Menschen setzen die Demokratie zwar gerne theoretisch auf den großen Jahreswunschzettel, wenn es um die beste aller Staats- und Sozialformen geht, praktisch fällt der Glauben an die Wirksamkeit, die gesellschaftlichen Fliehkräfte zu bändigen, eher bescheiden aus.
Immer weniger glauben an die durch die wahlversprechenden Parteien ausgegebenen Ziele, dass diese dann im Koalitionshader auch wirksam und vor allem sozial gerecht umgesetzt werden. Und das ist nicht eine Entwicklung, die sich erst in dem letzten turbulenten Herbst des vergangenen Jahres zeigte. Bereits seit zwei Jahrzehnten verstärkten sich kontinuierlich Tendenzen des staatlichen Rückzugs und des Abbaus sozialer Rechte, oft zusammengefasst unter dem Begriff des Neoliberalismus.
Unsere Gesellschaft ist zunehmend diverser und individualisierter geworden, ja einerseits. Die Wahlmöglichkeiten eines individuellen Lebensentwurfs haben zugenommen. Gleichzeitig fühlen sich mehr und mehr Menschen einsam, wenig verbunden mit einem gesamtgesellschaftlichen Wertekonzept, das sie gewissermaßen aufhebt in ihrem täglichen Ringen um den Erhalt ihrer Existenz. So als hätten wir es mit 83 Millionen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern zu tun. Demokratie muss praktisch mit Inhalt gefüllt werden, muss selbstloses Handeln belohnen, auch in materieller Form.
Außer salbungsvollen Sonntagsreden ist auch nach den „Balkonklatschorgien“ – wir erinnern uns an die „Corona-Zeiten“ – nicht übriggeblieben. Wer sich für Menschen einsetzt, sei es in Erziehung, Pflege und Betreuung, muss nach wie vor zusehen, wie etwas vom erwirtschafteten „Wachstum“ übrigbleibt, damit es in seinem Arbeitssektor nicht zum Stillstand oder gar Rückbau kommt.
Zweifel an der Redlichkeit der wieder jüngst verkündeten und an Lichtmasten befestigten Wahlversprechen werden auch dann laut, wenn sie mit den kriegerischen Vorgängen außerhalb des Landes „begründet“ werden.
Die Chancen der Entfaltung einer friedlichen und kooperativen Außenpolitik auch fernab von einseitiger transatlantischer Orientierung wurden ebenfalls seit mehreren Jahren nicht nur konsequent nicht genutzt, vielmehr die Abhängigkeiten mit Blick auf die viel beschworene Freundschaft zur bestfunktionierenden (?) Demokratie des Westens scheinbar ohne Alternative kontinuierlich verstärkt. Wenn sich dann Regierungszeiten unberechenbarer, erratischer Abenteurer wiederholen, werden hierzulande grundsätzliche Weichenstellungen nicht etwa überprüft oder gar korrigiert.
Stattdessen beschwört man die angeblich so glanzvolle Zeit der Biden/Harris-Kurzepoche, ohne darauf zu verweisen, dass diese nichts, aber auch gar nichts von den großen Versprechungen einer friedlichen und sozial gerechten nationalen und internationalen Zukunft umsetzen konnte.
Was im Moment die wahrgenommene Stimmung vieler Menschen in meiner Umgebung beherrscht, ist ein ambivalentes Gefühl aus politischer Heimatlosigkeit und der Befürchtung, ob es im März nach den nächsten kurz anberaumten Wahlen denn nicht noch schlimmer kommen könnte. Verfolgt man das politische Geschehen in Berlin mit Blick auf die mit breiter Brust vorgetragenen, liberalkonservativen Zukunftsversprechen, sind Riesenzweifel tatsächlich angebracht, waren doch deren Protagonisten vor Jahren auch kräftig mit dabei, als die „Zeitenwende“ ausgerufen und damit das Ampelende eingeläutet wurde.
Die „Alternative“ dazu ist nicht wirklich eine. Es sei denn, man glaubt tatsächlich in vollkommener Geschichtsverwirrung daran, dass Hitler und Konsorten 12 Jahre lang der wahre Sozialismus am Herzen lag. Kein Wunder allerdings bei dem Klima einer Geschichtsklitterung und eines historischen Revisionismus der letzten Jahrzehnte, welcher die westlichen Demokratien von der geschichtlichen Verantwortung des Naziaufstiegs freisprach und gleichzeitig den Faschismus auf eine Stufe mit fehlgeschlagenen staatssozialistischen Experimenten stellte.
Kein Wunder: Irgendwann sieht man eben überhaupt nicht mehr durch, wer die „Guten“ und wer die „Bösen“ sind und hört auf nachzudenken. Und glaubt alles, was nach Protest, scheinbarem Systemwechsel und der Beseitigung neoliberaler Flurschäden aussieht oder in den Ohren klingt. Dieses Problem soll und kann an dieser Stelle gar nicht gelöst werden. Sichtbar und spürbar ist aber die Eintrübung, Vernebelung, Verdunklung des gesellschaftlichen Klimas. Auch wenn „Zuversicht“ auf so manchem Wahlplakat zu lesen ist, beherrscht die Atmosphäre eine Luft der Verunsicherung, des Vertrauensverlustes in gestaltende Politik.
Dies lässt sich herunterbrechen auf den Umgang der Menschen untereinander. Dort wird es immer schwerer, glaubhaft zu versichern, dass man aufrichtig an der Entwicklung humanistischer Persönlichkeiten interessiert und weniger an deren fachlichen und sozialen Schwächen und Potenzialen interessiert ist.
„Durch Herz zum Kopf“ – formulierte ein Klassiker des Humanismus und der Aufklärung vor langer Zeit. Sprechen wir wieder Menschen als solche an, sehen sie weniger als funktionierende Atome in maschinell optimierten Körpern. Dazu braucht es keinen Regierungs- oder gar Systemwechsel. Nur ein Stück mehr Menschlichkeit. Lassen wir letztere wieder groß werden. Das können wir alle täglich beeinflussen.
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