Nach etlichen Tagen des seltenen und doch so notwendigen heilsamen "Wenig-Pflichten-Habens" wird das Weihnachtsfest 2015 so langsam abgepfiffen. Die Nation liegt im Sessel in einem Zustand zwischen Burnout vom Sodbrennen und der wichtigen Frage: Süßes oder Saures? Die animalischen Triebe wurden zum Fest ausgiebig zwischen Helene Fischer im Ledermini und der Weihnachtsgans ausgelebt, vielleicht hat sogar der eine oder andere mal wieder in der Mutti nach dem Glück gesucht. Traditionen wollen schließlich gelebt werden.

Auch der Bundespräsident ist seinen Pflichten nachgekommen und hat eine diskrete und gute  Ansprache gehalten – erstaunlicherweise ganz ohne die übliche verschwiemelte Mut- und Freiheits-Metaphorik. Wer wollte, konnte sogar ein bisschen Unsicherheit darüber heraushören, ob wir denn tatsächlich noch in einer guten Zeit, an einem guten Ort mit guten Problemen leben.

Nachdenken über so etwas kann man prima in jener illustren Zeit, die nun folgt: die Tage “zwischen den Jahren”. Zwischen den Jahren – wo man laut alter Volksweisheit bestimmte Dinge nicht tun sollte. Wäschewaschen zum Beispiel oder auf einem Bein hüpfen, oder Dinge essen, die Vor- und Nachnamen tragen usw. Das erscheint unproblematisch, ich kriege das auch mitten im Jahr ganz gut hin.

Trotzdem ist mir dieses Festtagsnachspiel immer sehr lieb. Das Restjahr plätschert so behäbig-gemütlich dahin und man hat so viel Zeit für Albernheiten und Gedanken, bis man wirklich mit den Hufen scharrt, die Packung mit der Aufschrift 2016 aufzureißen. In diesem Jahr ist es selbst draußen überaus erträglich, sogar Amsel, Drossel, Fink und Star lärmen ob der milden Witterung schon wieder in der kahlen Rabatte.

Und obwohl es noch immer um vier Uhr nachmittags dunkel zu werden droht und bei manch einem die Rettungsringe am Körperstamm noch ein bisschen auf Baumkuchen stehen, erscheint es einem fast schon wieder denkbar, dass es irgendwann auch einmal wieder Mittsommerabende geben wird, an denen kurzberockte Frauen um halb zehn am Abend noch deutlich auf dem Beifahrersitz irgendeines Autos mit weit geöffnetem Schiebedach zu erkennen sind. Neben sich einen guten Mann habend, einen Mann mit einem guten Profil, dem sie eine Rolle saure Drops aus einer chaotischen Handtasche kramend mit einem Streichholz die Zigarette anzünden, weil das Feuerzeug leer ist, während dieser ihr beiläufig, aber wiederholt ans Knie fasst und irgendwas von Frankreich oder dem Schah von Persien erzählt und draußen eine Landschaft vorbeifährt, die aussieht als hätte eine Equipe an Impressionisten einen Workshop gehabt. Da ist der Akku des Lebensfreude-Tanks doch schon fast wieder voll.

Vielleicht sollte man die Zeit “zwischen den Jahren” aber auch noch einmal für höchstgradige Unvernunft nutzen. Einfach die “Flasche für gut” aus dem hinteren Winkel des Kühlschranks nehmen, die dort seit Monaten zwischen dem Netz Rosenkohl und dem Stevia-Ketchup herumkullert.

Die, die sich jung und bereit genug fühlen für so was, können sich das Zeugs ja in die Haare kippen, bis es an Brust und Rücken runterläuft und dann irgendwie verwerten. Den Alkohol, nicht den Ketchup, wohlgemerkt!

Gemäßigtere Temperamente könnten die Flasche aber auch in einen Koffer packen und sie – so leise wie man ausgelassen eben über einen Samtteppich schleichen kann – über den Flur in ein kronleuchterschwangeres Jugendstil-Hotel schmuggeln und dann mit Zahnputzbechern anstoßen, und mit dem Rest, einer Decke und ein paar geteilten Kopfhörern dem nicht minder vollen Mond zuprosten.

Es gibt unzählige Möglichkeiten, diese Zeit zwischen den Jahren noch einmal etwas ordentlich aufzurollen, was Krankenkasse, Beichtvater, Schwiegermutter, Apple-Watch, Gender-Kommissare oder Über-Ich so richtig den Kopf schütteln ließe. Etwas, das nicht berechnet, das nicht gewogen, gemessen, evaluiert werden kann. Etwas, das zu nichts führt außer zu exklusivem Wohlgefühl. Es ergibt schließlich nicht den allerkleinsten Sinn, beim Studieren der Sicherheitsvorschriften vom Blitz getroffen zu werden. Oder vom Airbag erdrückt.

Keine Sorge, die Welt wartet erfahrungsgemäß geduldig, bis sie ab Januar wieder von den Menschen durch vernunftgeleitetes Handeln gerettet werden wird.

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