Um unsere Heimat steht es immer schlechter: Besorgt schaut der deutsche Bürger allmorgendlich in den Spiegel, um erste Armutsflecken zu entdecken. Jeden Tag diffuse Ängste im Gehirn, das schlaucht und muss doch irgendwo Spuren hinterlassen, denkt er bei sich, niedergeschlagen seine Perspektiven auslotend. Die Zukunft stellt er sich düster vor. Am Hungertuch nagend sieht er sich bereits in einer Turnhalle sitzen, während der Flüchtling draußen feixend in nigelnagelneuen Turnschuhen ausschließlich in der ET-Branche tätig ist und, na klar, nach Hause telefoniert.

Kein Wunder, dass einige schon ganz wirr im Kopp werden, ein Ventil für diesen Druck suchen und immer nur noch rumballern wollen. Kamerad Oettinger fängt schon an, sehr unwahrscheinliche eheliche Beziehungen zu jüngeren Politikerinnen zu halluzinieren und suizidale Gedanken zu entwickeln. Die wiederum haben zwar den Schuss nicht gehört, wollen aber den kleinen Grenzverkehr schlimmsten- und ebenfalls mit der Knarre interrumpieren. Da brat mir einer einen Storch!

Apropos Grenze: Auch in unserer Heimatstadt leiden zahlreiche junge Frauen seit einiger Zeit bereits an jener Armut, weil sie ihr ganzes Geld in Pfefferspray investieren. Junge Männer wollen längst nicht mehr zur Feuer-, sondern zur Bürgerwehr.

Dabei brennt gerade auch in Leipzigs Haushalt der Kittel oft an allen Ecken und Enden: In der jüngsten Vergangenheit musste ständig irgendeine Institution ins Sprungtuch hüpfen. An der Uni standen wechselnde Fakultäten wie die der Theaterwissenschaft und der Archäologie auf der Streichliste, das Polnische Institut taumelte am Abgrund und das Naturkundemuseum … na, Sie ahnen es schon. Jetzt muss auch noch die Grube-Halle für unzählige Euronen wiederhergestellt werden – nun, da der Flüchtling dort auch noch schneller wieder abgezogen wurde, als zu befürchten war.

Es könnte alles so einfach sein. Also: mitmachen, umdenken, flexibel sein! Foto: Ulrike Gastmann
Es könnte alles so einfach sein. Also: mitmachen, umdenken, flexibel sein! Foto: Ulrike Gastmann

Dabei wäre Hilfe so einfach. Es müssen nur alle an einem Strang ziehen, nur eben nicht an dem, der einem gerade um den Hals gelegt wird. Vielleicht ist aber der Teller vieler noch zu voll, als dass man schon drüber gucken könnte.

Vom Fußball zu lernen zum Beispiel, heißt siegen lernen. Wenn nämlich fast 80 % aller deutschen Fußball-Stadien bereits nach Sponsoren benannt worden sind und so anheimelnd-anmutige Namen wie Mercedes-Benz- oder Allianz-Arena oder RheinEnergieStadion tragen dürfen, sollten andere städtische Institutionen nicht mehr zaudern.

So klagen Kirchen beispielsweise oft über Mitgliederschwund, obwohl dies nicht sein müsste, gäben sie sich ein wenig zeitgemäßer und stünden auch für sterbende Zweige der Bildung oder die hinsiechende Museumslandschaft ein.

Was soll also unser falscher Stolz über Namen wie Thomaskirche, liebe Leipziger?

Geht doch ohnehin alles den Bach runter! Warum also nicht das Vorzeigeschiff der Stadt in Tommy-Hilfiger-Gebetshaus umwandeln und die Schuluniformen der Thomasschüler entsprechend ausrichten? Und was die beliebteste Turnhalle der Stadt angeht, wie wäre es mal mit etwas weniger Ernst? Rüdiger-Grube-Halle klingt doch auch nicht schlecht. Die Deutsche Bahn kümmert sich doch bereits wirklich recht beispielgebend um Integration. Da wäre dies doch eine wegweisende Geste! Und wir wären endlich einmal wieder wirklicher städtischer Trendsetter.

Auch andere Städte folgten diesmal nicht dem Bitterfelder, sondern dem Leipziger Weg: In Dresden könnte die Frauenkirche der Always-Ultra-Gemeinde eine Heimat bieten und auf diese Weise die ortsansässige Musikalische Komödie vorm Ruin retten und die Kirche der Barmherzigen Brüder zu Trier wäre ohne großen Aufwand in der Lage, sich für eine Krankenkasse stark zu machen.

Es könnte alles so einfach sein. Also: mitmachen, umdenken, flexibel sein! Denn bedenke: An allem Unrecht, das geschieht, sind nicht etwa dessen Verursacher schuld, sondern auch jene, die bockig auf ihren westlichen Werten beharren, ohne einmal klar zu benennen, was unter diesen Priorität besitzt. Kommerzielle Gesellschaften retten sich nun einmal am besten durch noch mehr Kommerz. Ein bisschen noch jedenfalls.

Alles andere sind doch nur Bremser und gehen bitte aus der Schusslinie.

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