Als sich neulich ein Freund einmal unter vier Augen darüber beklagte, er habe das Gefühl, die jungen Dinger pfiffen ihm nicht mehr so hinterdrein wie früher, obwohl im das nichts ausmache, weil es diesen irgendwie an Erotik fehle, habe ich erst einmal herzlich gelacht und ihm zu diesem köstlichen Scherz gratuliert.

Da er aber offensichtlich bekümmert blieb, kramte ich ein wenig in meinem Wissen über junge Mädchen und legte ihm daraufhin das Folgende ans Herz: Gräme dich nicht zu sehr, wenn wieder einmal nicht gepfiffen werden sollte. Pfeiferei ist überhaupt nicht im Verhaltensrepertoire des Jungmädchens angelegt. Der Druck im Jungmädchen-Vergnügungszentrum wird nicht durch das spontane Abgeben von Pfeiflauten gemildert, sondern die Zauberformel heißt Kichern, Quietschen und Glucksen. Dies funktioniert aber nur in der Gesellschaft weiterer Jungmädchen.

Alleinsein heißt für sie nicht selten schlichtweg Druck auszuhalten, Selbstzweifel mit schnippischem Gucken zu übertünchen, wie ferngesteuert das Handy-Display im Visier zu haben und von gutgewachsenen Leinwand-Vampiren (öffentlich) und vom Sportlehrer (heimlich) tagzuträumen. Man erkennt schnell: Vielleicht befinden sich die jungen Dinger einfach nicht in der passenden Lebensphase für Erotik.

Möchte man als Erwachsener eigentlich selbst noch einmal eine solche Phase mitmachen müssen? Und noch einmal ernsthaft glauben, dass es die nächtliche Szene der Heimatstadt nicht überleben würde, schlüge man dort nicht regelmäßig jedes Wochenende 22 Minuten nach Mitternacht auf? Möchte man die eigene Mutter nachts um vier unwürdig hinter der Gardine lauern wissen, ob man eventuell vom überregional berüchtigten Zuhälter nach Hause geleitet wird? Erotisch war auch das nicht gerade, oder?

Will man sich tatsächlich noch einmal zu seiner besten Freundin sagen hören: „Ja, ich weiß, der Franky ist nicht der hellste, aber haste mal seine Oberarme gesehen?“ Und möchte man wirklich noch einmal auf dem Rücksitz eines Motorrades – angeklammert an irgendein pickliges Bürschchen – erhaben seine Todesangst weglächeln müssen? Und am Abend immer in Eile sein, weil irgendwann der elterliche Zapfenstreich angesetzt war, um dann mit dem Bio- oder Geschichtsbuch im Bett zu verschwinden, weil am nächsten Tag in der zweiten Stunde eine „LK“ anstand?

Erotik geht tatsächlich anders, nicht?

Man irrt, wenn man glaubt, die jungen Dinger von heute hätten es nur einen Deut besser. Im Gegenteil: Die Kindheit ist zusammengeschrumpft. Die Mädchen müssen manchmal schon Jahre vor der ersten Nutzung sogenannter Damenhygiene-Artikel entscheiden, ob sie lieber eine Bulimie- oder Anorexie-Karriere einschlagen wollen, sich in Hüfthosen zwängen, sommers wie winters ihre Todesstreifen offenbaren, um sich dann nicht selten von November bis April einer schweren Antibiotika-Therapie zu unterwerfen, der chronischen Nierenbeckenentzündung wegen.

Möchte man das wirklich mitmachen müssen? Und sich mit spätestens 13 ständig bei YouPorn informieren müssen, wie geiler Sex mit den tollsten Hengsten geht, obwohl man sich eigentlich nur sehnlichst ein eigenes Pferd wünscht? Erotisch kling auch das nicht, hm?

Ich glaube wirklich, wir sollten etwas sehr Altmodisches tun und nachsichtiger sein mit den  jungen Dingern! Kaum sind die Räder ihres Puppenwagens kalt, müssen sie schon die BRAVO hinter sich gelassen und deren Weisheiten komplett verinnerlicht haben.

Ich weiß, wovon ich rede. Mein Nachbar Rüdiger erschleicht sich nämlich als Lehrer sein Gehalt. Von ihm weiß ich: Durch einfaches Konfiszieren sämtlicher Druckerzeugnisse, welche die Schüler unter der Bank lesen, können sich Lehrpersonen zahlreiche gemütliche Schmöker-Stunden im Lehrerzimmer organisieren. Böse Zungen behaupten zuweilen, dies sei der einzig triftige Grund für ein Lehramtsstudium.

Selbstverständlich hatte auch er einmal eine BRAVO beschlagnahmt und sich zunächst – wie sollte es anders sein –  um die Dr. Sommer-Seiten gekümmert. Er hoffte auf Erheiterung durch die üblichen niedlichen Fragen vom Schlage: „Toby (11): Mein Wellensittich guckt in letzter Zeit immer so komisch, wenn ich mich abends in meinem Zimmer ausziehe. Ist er schwul?“ Es dauerte exakt 30 Sekunden bis Rüdiger sich hochroten Kopfes, entsetzt zurückweichend und scheu um sich blickend, die Gazette wieder zuschlug.

Zu Absurdes hatte sich ihm dort offenbart.

Aufschlag rechts, Überschrift in Riesenlettern: Scheide und Co. – hier gibt’s alle wichtigen Fakten. Perplex schluckend blätterte ich zur nächsten Seite. Jede Vulva ist anders las er weiter und konnte sofort den couragierten Beweis dieser These in Augenschein nehmen: eine Bildergalerie, in der 22 (!) verschiedenste weibliche Geschlechtsteile abgebildet waren, alle kaum älter als 16 – zusammen, wohlgemerkt.

Was aber am erstaunlichsten schien, waren die gebetsmühlenartig wiederholten Kommentare des Dr. Sommer-Teams, mit denen den jungen Dingern geradezu beschwörend gepredigt wurde, auf gar keinen Fall zu glauben, ihre Vulven seien in irgendeiner Form deviant, also von der Norm abweichend –  alle Vulven, aber auch wirklich ALLE Vulven seien in Ordnung!

Abgesehen davon, dass dies grober Unsinn ist – eine Vulva in Form und Farbe eines in den 80er Jahren sehr populären Zauberwürfels zum Beispiel wäre doch berechtigter Anlass für leise aufkeimenden Selbstzweifel – schienen diese Probleme unsanft an den Schamhaaren herbeigezogen sein. Man war wohl schlichtweg noch etwas davor zurückgeschreckt, die explizite Fotostrecke so gänzlich ohne Text daherkommen zu lassen.

Mit sachter Wehmut erinnerten wir uns des Dr. Sommer-Teams des Ostens, das im Grunde aus einer One-Woman-Show bestand: Damals hatte in der Mittwochsausgabe der Jungen Welt  die Journalistin Jutta Resch-Treuwerth in der Rubrik „Unter vier Augen“ wöchentlich eine einzige Frage zu den Themen Liebe, Partnerschaft und mit etwas Glück auch aus dem  Bereich Sexualität beantwortet. Auch hierbei – das muss fairerweise gesagt werden – handelte es sich um alles andere als Erotik, aber vielleicht schärfte das subtile Weglassen manch drastischer Gegebenheiten doch die Antennen der jungen Dinger von damals ein Quäntchen behutsamer, um irgendwann einmal zu ahnen, was Erotik sein könnte. Um ehrlich zu sein – ich kenne den Königsweg auch nicht. Ich weiß nur, dass es längst Zeit ist, einmal Danke zu sagen – und das nicht nur unter vier Augen, sondern in aller Öffentlichkeit:

Danke, Jutta Resch-Treuwerth!

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