Jeden Morgen zu früher Stunde fahre ich durch die Leipziger Innenstadt. Ich genieße das meistens, die Straßen und Plätze noch jungfräulich von der Nacht, nur ein paar einsame Müllautos ziehen unschuldig ihre Duftspur hinter sich her. Seit Anfang November aber ist das anders: Des Deutschen liebste Festspiele werden emsig vorbereitet. Letztes Jahr stand der Baum auf dem Markt am Martinstag, diesmal sogar eine Woche früher. Vielleicht könnte man ihn einfach ganzjährig...?

Doch zurück zu den Fakten: Täglich kommen neue Buden, Bauten, Karusselle und riesige Pyramiden hinzu, auf denen Nussknacker, die so groß wirken wie die Freiheitsstatue, eine Miene machen wie Horst Seehofer, wenn er an Deutschland in der Nacht denkt.

In wenigen Tagen wird es zünftig vom Kräppelchen-Stand her wabern, Glühwein-Tassen klirren und Zimbel-Zupfer auf dem Mittelalter-Markt Töne produzieren, die an einen Imker-Unfall erinnern. Eine irgendwie trotzig wirkende Vanille-Kipferl-Mobilmachung in diesem Ausmaß. Fasten the Jingle Bells!

Ich weiß: Man muss vorsichtig sein mit solcherlei Aussagen. Schnell wird der Bedenkenträger, selbst wenn er nur mit einer ganz kleinen Tasche unterwegs ist, des schwarzsehenden Spielverderbertums bezichtigt. „Wo bleibt das Positive?“, wird schließlich schon seit Kästners Zeiten gefragt.

Das aber wirkt umso verwunderlicher, machte sich doch in den vergangenen Monaten hierzulande der geradezu gegenläufige Trend bemerkbar: Man könnte diesen in etwa als Optimisten-Verhöhnung bezeichnen.

Alle, aber auch alle, die ansatzweise einen positiven oder immerhin gelassenen Blick in die Zukunft dieses Land wagten und dies auch noch offen kundtaten, sahen sich binnen Sekunden von einer Welle der Empörung überrollt oder vom Eis der kalten Beschimpfung ver-bo-frostet. Wir müssen hier gar nicht das Wörtchen Asyl- … mit irgendeinem anderen kreuzen. Kreuz(ig)ungen dieser Art fanden in jedweder Netzwerkskantine statt.

Denn die Zukunft wird so aussehen: Mit jeder Menge Asylsuchenden, – findenden, – berechtigten, – erschleichenden … Wer sagte „Wir schaffen irgendwas mit dieser Situation“, der wurde angeguckt, als habe er soeben von seinen Stagediving-Plänen beim Rolf-Zuckowski-Konzert gesprochen. Das kann er aushalten, dieser unverbesserliche Optimist, dieser Scheiß-Optimist, der Kreuzworträtsel wahrscheinlich auch noch immer gleich mit Kugelschreiber ausfüllt, aber wundern wird er sich vielleicht doch ein bisschen: Dass eine Welt, die in den vergangen 25 oder 30 Jahren jeden Motivations-Fredi bereitwillig beklatscht hat, der in großen Hallen oder auf firmen-internen Seminaren irgendetwas im Modus von „Tschaka, du schaffst alles, was du dir vornimmst. Du musst es nur wollen!“ krakeelt, aber nur eine banale Anhäufung von Kapital als Ziel gemeint hat, muss zumindest befremdlich wirken.
Jetzt, wo es nicht so sehr um monetären Gewinn geht, sondern nur um den Menschen, der urplötzlich aus der globalisierten Welt kommt, die doch bis dato immer so hipp und wünschenswert war.

Ein großer Mist ist das, dass der auch noch so zahlreich auf der Bildfläche erscheint, nicht? „Wer soll diese Scheiße bezahlen?“, wird da öffentlich mittlerweile wortwörtlich gefragt. Die Antwort lautet: Wir. Und jetzt könnt ihr meinetwegen das Licht, das manche versuchen tagtäglich anzuzünden, und das es vielleicht gar nicht gibt – wie immer – versuchen auszublasen!

In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar