Der 20. März 2017 ist ein besonderer Tag: Wir begehen nicht nur den 805. Gründungstag der THOMANA, der Trias von Thomaskirche, Thomanerchor und Thomasschule. An diesem 20. März 2017 werden der Neubau der Grundschule und der Umbau des alten Gemeindehauses der Lutherkirche zum Hort auf dem Bildungscampus forum thomanum offiziell eingeweiht. Damit ist der musikalische Bildungscampus forum thomanum um ein ganz wesentliches Modul erweitert worden. Nun kann von der BBW-Kita forum thomanum bis zum Gymnasium, die Thomasschule, das Motto des Jubiläumsjahres „800 Jahre THOMANA“ im Jahr 2012 gelebt werden: „glauben, singen, lernen“.

In diesem Dreiklang ist das miteinander verbunden, was für die Entwicklung eines Menschen, aber auch für ein einigermaßen sinnvolles und friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft unerlässlich ist: eine in der Tradition verankerte musikalisch-kulturelle Bildung.

Der Weg dahin war nicht einfach – nicht nur weil die Vision forum thomanum zunächst nur von Wenigen als notwendig und von noch Wenigeren als realisierbar angesehen wurde. 2010 wurde die Grundschule forum thomanum auf Anregung der Stadt Leipzig in privater Trägerschaft eröffnet, damals mit sieben Schülerinnen und Schülern. Danach sah sich der forum thomanum Leipzig e.V. leider einer unangenehmen, letztlich fruchtlosen, aber sehr teuren Auseinandersetzung ausgeliefert: Vonseiten der Stadt Leipzig wollte man – entgegen den Absprachen – die Nachwuchsarbeit für den Thomanerchor, dem die Grundschule forum thomanum auch dienen sollte, einer öffentlich-rechtlichen Grundschule übertragen.

Gott sei Dank konnte in dem veritablen Streit 2013/14 ein Kompromiss gefunden werden. Allerdings ist es immer noch so, dass nicht wenige unter den Leipziger Stadträten Bildungseinrichtungen in privater Trägerschaft sehr skeptisch sehen. Dabei sind diese in den Grundrechtsartikeln unserer Verfassung ausdrücklich vorgesehen. Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes regelt, dass das „Recht zur Errichtung von privaten Schulen … gewährleistet (wird)“. Natürlich stehen auch diese Schulen unter staatlicher Aufsicht.

Schulen in privater Trägerschaft sind grundsätzlich weder besser noch schlechter als öffentlich-rechtliche Einrichtungen. Was ihr Vorteil ist: Sie verbinden private, besser: bürgerschaftliche Initiative, mit einem öffentlichen Auftrag, nämlich der Schulpflicht von Kindern und Jugendlichen zu genügen. Sie vermögen das zu tun, was grundsätzlich jede andere Schule auch kann: die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen und den Bildungskanon entsprechend zu erweitern und zu profilieren – nicht nur Wissensvermittlung, sondern Verstehen lernen, Zusammenhänge erkennen, sich eine ethische Grundorientierung aneignen, Traditionen erfahren.

Genau das geschieht an der Grundschule forum thomanum mit ihren drei Profilen: Musik, Sprache (Englisch, Italienisch), Religion. Mehr noch: Durch die räumliche und personale Verbindung von Schule und Hort, die rechtlich gesehen getrennte Einrichtungen sind, ist die Grundschule forum thomanum faktisch eine Ganztagseinrichtung. Lehrer/innen und Erzieher/innen werden von den Kindern als ihre Lehrer wahrgenommen; Schul- und Hortalltag sind aufeinander bezogen.

Dass wir die Grundschule forum thomanum im Jubiläumsjahr der Reformation einweihen können, unterstreicht die besondere Errungenschaft der Reformation: die Verbindung von Glauben und Bildung. Philipp Melanchthon (1497-1560), Freund Martin Luthers und der erste Bildungspolitiker der Neuzeit, verdanken wir drei wunderbare Einsichten:

Denn wessen ist die Schuld, dass es jetzt in allen Städten so dünn sieht von geschickten Leuten, wenn nicht der Obrigkeit, die das junge Volk hat lassen aufwachsen, wie das Holz im Wald wächst, und nicht zugesehen, wie man ´s lehre und ziehe?

Jede Bildungseinrichtung in privater Trägerschaft ist eine Mahnung an Stadt und Land, mehr zu tun für eine umfassende Bildung von Kindern und Jugendlichen. Mehr noch: Wer die neuen Räumlichkeiten der Grundschule und des Hortes auf dem Campus forum thomanum in Augenschein nimmt, wer sich den Schulalltag betrachtet, der wird sehr schnell spüren: Die phantasievolle Sorgfalt der Raumgestaltung und das Schulkonzept haben wenig zu tun mit privat oder öffentlich-rechtlich. Sie haben etwas zu tun mit den Vorgaben, den Erwartungen und Erfordernissen.

Grundsätzlich kann an jeder Grundschule viel gesungen, Musik zur Persönlichkeitsentwicklung eingesetzt werden, können Schule und Hort eng aufeinander bezogen sein, können Neubauten und Renovierungen innovativ gestaltet werden. Es gibt nur eine Voraussetzung: Es bedarf Menschen, die davon überzeugt sind und die es machen – Menschen, die mutig genug sind, der Idee mehr zuzutrauen als Paragraphen.

Der zweite Gedanke von Philipp Melanchthon stammt aus dem Jahr 1528:

Es sollen auch die Prediger die Leute vermahnen, ihre Kinder zur Schule zu tun, damit man Leute aufziehe, geschickt zu lehren in der Kirche und sonst zu regieren.

Hier wird der Zusammenhang von Bildung und einem guten Regiment aufgezeigt – höchst aktuell. Als ich vor ein paar Jahren von Thomanern gefragt wurde, warum ich mich für den Aufbau des Bildungscampus forum thomanum einsetze, habe ich ihnen zwei Antworten gegeben:

  • Wir benötigen dringend mehr musikalisch und kulturelle gebildete, religiös gebundene, sozial kompetente und demokratisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger, die in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen.
  • In ein paar Jahren möchte ich von vernünftigen Menschen regiert und gepflegt werden.

Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit. Denn Beteiligung und Teilhabe können nur gelingen, wenn Menschen sich umfassend bilden. Der Dreiklang „glauben, singen, lernen“ zeigt auf, wie wichtig es ist, dass wir durch die Bildung die Anknüpfungspunkte für unser Leben immer wieder freilegen, von denen aus wir Orientierung erfahren: „ad fontes“, zurück zu den Quellen. Dieser Ruf der Humanisten und Reformatoren sollte nicht unerhört verhallen, wollen wir als Gesellschaft nicht verblöden.

Wem das zu viel „Religion“ ist, der sei auf den dritten Gedanken Melanchthons hingewiesen:

Denn etliche (Kinder) lernen gar nichts aus der Heiligen Schrift. Etliche lernen die Kinder gar nichts außer der Heiligen Schrift. Beides ist nicht zu dulden.

Sich in der Glaubenstradition zu beheimaten und umfassend zu bilden, sind keine Gegensätze. Kriterium für beides ist, ob es der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen dient, ob junge Menschen durch Musik, durch das Singen, durch Sprache, durch das Kennenlernen der biblischen Botschaft in ihrem Verantwortungsbewusstsein und in ihrem Ich gestärkt werden und so Verantwortung für den Nächsten übernehmen können, ob sie in der Lage sind, sich frei und (selbst-)kritisch in der Gesellschaft zu bewegen.

Dass die Grundschule und der Hort nun auf dem Campus angesiedelt sind, ist Anlass zu großer Freude und zum Dank an alle, die daran mitgewirkt haben: viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, der forum thomanum Leipzig e.V., die Kirchgemeinde St. Thomas, die Stadt Leipzig. Es ist aber auch eine Verpflichtung, der großen Tradition der THOMANA gerecht zu werden.

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