Für FreikäuferWomöglich ist es eine Frage der Logik: Warum ist Sachsens CDU bei der Bundestagswahl im September derart abgeschmiert, dass sie nur noch die Nr. 2 hinter der AfD wurde? Variante 1 der Interpretation: Weil sie nicht scharf genug auf Fremdenfeindlichkeit gesetzt hat? Interpretation 2: Weil sie mit ihrer Fremdenfeindlichkeit den Fremdenfeinden von rechts erst recht den Boden bereitet hat? Eine Frage, die Michael Kretschmer beantworten sollte, bevor er mit der SPD regieren will.

Seit ein paar Wochen versucht der Generalsekretär der sächsischen CDU, der seinen Wahlkreis in Görlitz am 24. September an einen AfD-Konkurrenten verlor, sich als neuer Parteivorsitzender in CDU-Kreisverbänden zu profilieren. Er fordert auch so etwas wie eine Aufarbeitung des Wahlergebnisses, was ja sichtlich in der sächsischen CDU nicht passiert. Zumindest nicht so, dass es greifbar wird. Denn die sächsische CDU ist schon lange keine diskussionsfreudige Partei mehr. Sie war 27 Jahre lang ein Ministerpräsidentenwahlverein und egal, welchen Kreisverband man nimmt, die Ratlosigkeit über das Aufkommen und die Erfolge der AfD ist unübersehbar.

Und das Fehlen alternativer Denkansätze ebenso.

Deswegen ist es reiner Opportunismus, wenn Michael Kretschmer nun via FAZ fordert, seine Partei solle endlich eine Fehleranalyse vornehmen. Das tut er selbst nicht. Deutlich sagt er, dass er eigentlich von einer sachlichen Analyse gar nichts hält. Er ist ein Getriebener, kein Gestalter.

Das wird spätestens deutlich, wenn er sagt: „Wenn Leute sagen, dass sie sich vor Überfremdung sorgen oder nicht wollen, dass so viele Ausländer ins Land kommen, dann wäre es falsch, zu sagen: ‚Das ist eine rechte Position, darüber reden wir nicht.‘ Denk- und Sprechverbote bringen uns nicht weiter, im Gegenteil: Sie haben uns womöglich erst in diese Lage gebracht.“

Scheinbar gibt ihm der am Dienstag, 28. November, veröffentlichte neue „Sachsen-Monitor“ Recht. 56 Prozent der befragten Sachsen finden, „dass die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet ist“.

Dass Kretschmer den Topos aufgreift, zeigt: Er ist ein unbelesener Mensch. Er hat nicht einmal das kleine Büchlein „Wörterbuch des besorgten Bürgers“ gelesen, in dem die Autoren sich auch mit dem rechtsradikalen Begriff Überfremdung (Fremdsein/fremd) beschäftigen. Klüger als Kretschmer. Denn was dahintersteckt, sind nicht die von ihm behaupteten „Fehler in der Asylpolitik“. Sondern es sind irrationale Ängste vor dem Anderen, Unbekannten, Unvertrauten. Mit dem sich Sachsens CDU seit dem Heiligen Kurt nicht beschäftigen wollte. Sie hat das ganze Land in Watte gepackt und die Landespolitik mit „Sachsenstolz“ zugesülzt.

Weil Leute wie Kurt Biedenkopf glaubten, man könne mit dem „Stolz auf das Erreichte“ (87 Prozent der Sachsen sagten hier im „Sachsen-Monitor“ ja) die Schmerzen der Transformation zukleistern. Und die Schmerzen der ersten Jahre waren wirklich groß. Sachsen ist in den ersten Nachwendejahren durch ein richtiges Tal der Tränen gegangen. Und stets hing als glitzernde Mohrrübe das Versprechen im Raum: Irgendwann blühen die Landschaften, erreicht das „Auserwählte Volk“ die Zeiten, in denen Milch und Honig fließen. Dann werden alle belohnt und endlich ist das Ziel der Reise erreicht.

Das Dumme daran ist: Die Menschheitsgeschichte kennt keine dauernden Zustände. Alles verändert sich.

Aber wie kommt Kretschmer aus seiner Wortfalle?

Gar nicht. Er weicht aus.

„Wir alle, Bürger wie Politiker, sollten Argumenten, auch wenn wir sie ablehnen, mit Respekt begegnen. Das ist in den vergangenen Jahren in Deutschland und Sachsen nicht gut gelungen. Deshalb ist die Lage so verhärtet, was Populisten in die Hände spielt.“

Man sieht den respektvoll lauschenden Politiker regelrecht vor sich, der nickt und akzeptiert, dass „die Leute“ sagen: „Die meisten hier lebenden Muslime akzeptieren nicht unsere Werte“ (62 Prozent) oder „Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“ (49 Prozent) oder „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ (38 Prozent). Das alles ist gepflegter Rassismus und Fremdenhass, verquickt mit Verachtung für Langzeitarbeitslose und Homosexuelle.

Nein, Sachsens CDU hat keine Fehler in der Asylpolitik gemacht, sondern in der Bildungspolitik und in der Kommunikation. Erstaunlich, dass Kretschmer tatsächlich den NSU als Zeichen dieses Versagens nennt. Aber die „Law-and-Order“-Politik will er vor allem gegen Asylsuchende anwenden. Das ist noch immer das alte, verdrehte Denken einer Partei, die glaubt, sich den guten Willen der Wähler erkaufen zu können, indem sie deren gefühligem Gemunkel nachgibt.

Das ist Opportunismus, sehr geehrter Herr Kretschmer.

Sachliche Politik wäre, wenn diese unsere geliebte sächsische Politik dazu überginge, die Dinge, die sie tut (oder unterlässt) zu erklären. Das hat sie nämlich 2015 ff. unterlassen. Es waren die lokalen Verwaltungen, denen man das Aus-dem-Boden-Stampfen von Asylunterkünften überließ und die Kommunikation mit den längst aufgeregten und wütenden Bürgern, unter denen die Rechten und Rechtsextremen längst Stimmung machten.

Da standen die Vertreter der örtlichen Verwaltung meist allein und mussten erklären, was getan werden musste und warum es getan werden musste. Und warum die nicht ganz so reichen Sachsen trotzdem gefragt waren, Menschen in der Not zu helfen.

Das hat Sachsens CDU immer unterlassen. Und auch dafür wurde sie abgestraft.

Weil kein denkender Mensch den sächsischen Jammertiraden glaubt, ausgerechnet die alleinige Angela Merkel sei an allem Schuld. Dass auch Angela Merkel beim ersten Gegenwind abtauchte und gar nichts mehr sagte und erklärte, gehört zur Dramatik der Geschichte. Die komplette deutsche CDU ist zum Schallverstärker für die aufkommende Fremdenfeindlichkeit geworden, die nun glaubte, sich austoben zu können, als Deutschland nach Jahrzehnten endlich einmal wieder einen wirklichen Hilfsakt in einer humanitären Katastrophe auf die Beine stellte.

Habe ich solche Worte von einem einzigen CDU-Politiker in Sachsen gehört?

Nein.

Habe ich nicht.

Und da sind wir bei dem, was entsteht, wenn eine Partei derart nicht-kommuniziert, keine Position bezieht, abgesehen von dieser feigen „Law-and-Order“-Politik eines Markus Ulbig, die Michael Kretschmer augenscheinlich fortsetzen will. Die CDU-Granden der Republik wollen ja schon 2018 wieder emsig nach Syrien abschieben. Nach Syrien. In ein total zerbombtes Land. So etwas nenne ich feige und opportunistisch.

Die Angst dieser Partei, klare humanistische Positionen zu beziehen, ist unübersehbar. Wie das Kaninchen starrt sie auf die Schlange AfD, die den fremdenfeindlichen Ton natürlich besser drauf hat und schon seit zwei Jahren so tut, als sei das Volkes Stimme.

Für solche Positionen kann es keinen Respekt geben. Das ist das völlig falsche Wort.

Dass man sie ernst nehmen muss: keine Frage.

Aber da empfehle ich wirklich dieses kleine Wörterbuch, weil die Autoren dort wirklich auf die psychologischen Hintergründe der Ressentiments eingehen. Was Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) deutlich besser und klüger macht als der Rest der Regierung. Denn sie weiß, was hinter Ressentiments steckt. Natürlich ist nicht jeder Bürger, der diese ganzen Phrasen der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ angekreuzt hat, gleich ein Neonazi. Der Nazismus hätte ja nie eine Chance gehabt, wenn nicht feige bürgerliche Politiker diese Phrasen übernommen und verstärkt hätten.

Ohne die Ursachen begreifen zu wollen. Oder vielleicht doch zu begreifen, aber doch lieber nicht lösen zu wollen.

Oder gleich mal Wikipedia zitiert: „Dem Ressentiment liegt regelmäßig das Gefühl dauernder Ohnmacht gegenüber erlittener Ungerechtigkeit und Niederlage oder persönlichen Zurückgesetztseins zugrunde.“

Wenn man die Motive hinter dem Groll versteht, dann hat man die Chance, Lösungen zu finden.

Wer aber die obenauf schwimmenden Phrasen aufnimmt und verstärkt, verstärkt die Ressentiments. Aber er löst nichts.

Und genau das hat die Politik der sächsischen CDU in den vergangenen Jahren geprägt: All die Probleme, die Kretschmer aufzählt, sind durch unterlassene Politik der CDU entstanden – auch der Lehrermangel. Womit wir wieder bei der Watte sind: Man hat lieber versucht, das quengelnde Kind Volk ruhigzustellen mit sächsischen Wohlfühlphrasen, statt die offenkundigen Probleme zu lösen. Und nun quengelt das Kind immer lauter und trotziger und randaliert regelrecht. Und wird wohl die CDU 2019 endgültig aus der Stube jagen, wenn sich nicht auch der Politikstil endlich ändert und sich diese Partei wie ein Erwachsener benimmt und Grenzen setzt. Souverän, sachlich, begründet.

Das aber höre ich auch nicht. Denn Sachsens CDU ist keine erwachsene Partei. Bestenfalls eine heillos zerstrittene und ratlose. Weshalb es ihr einfach nicht gelingen will, einen erwachsenen Menschen zu finden, der das Format eines Ministerpräsidenten hat.

Vielleicht kommt ja Michael Kretschmar vor der Wahl im Landtag noch zur Besinnung und sucht und findet ein paar erwachsene Leute für die zur Disposition stehenden Ministerposten. Aber ich zweifle daran, dass er sie findet. Dazu suchen längst zu viele in dieser Partei die Nähe zur Quengelzone AfD, ohne den Mut, klare Kante zu zeigen und auch in stürmischen Zeiten Menschlichkeit zu verteidigen. Als Grundwert, nicht als Verhandlungssache.

Die Serie „Nachdenken über …“

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