Jüngst haben wir hier die Studie des Leipziger Soziologen Holger Lengfeld vorgestellt, in der vor allem die Motive zur Wahl der AfD untersucht wurden. Das Ergebnis klang dann irgendwie deprimierend, weil der Leipziger Soziologe meinte, auch „die Lage der sozial Schwächsten in unserem Land zu verbessern“ sei kein erfolgversprechendes Mittel, die Wahlerfolge der AfD zu schmälern. Eben weil Flüchtlingszuwanderung und Kritik an der Demokratie die wichtigsten Wahlmotive für AfD-Wähler seien. Und irgendetwas störte da in dieser Logik. Da klang was falsch.

Ist es auch. Was jetzt eine neue Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung deutlich macht: „Völkische Feindbilder“. Verfasst von Everhard Holtmann, Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung der Universität Halle-Wittenberg, der sich darin mit „Ursprüngen und Erscheinungsformen des Rechtspopulismus in Deutschland“ beschäftigt. Und natürlich über die nicht zu übersehenden Parallelen zum Aufstieg der NSDAP stolpert. Oder vielmehr: Er stolpert ja nicht. Er sieht die Kontinuitäten, die ja nicht dadurch verschwinden, dass man den ganzen rechtsradikalen Bembel verbietet. So frei nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. Was man nicht mehr wahrnimmt, ist nicht mehr da.

Obwohl die vielen eindrucksvollen „Mitte“-Studien der Leipziger Soziologen gezeigt haben, dass es nie weg war, dass bis zu einem Drittel der deutschen Bevölkerung rechtsradikale Einstellungen vertritt, einige mehr, die meisten weniger.

Und es war da schon nicht rational zu erklären. Weil es mit Ratio nichts zu tun hat. Das wusste schon Victor Klemperer, der den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten intensiver und gründlicher beobachtete als alle seine Zeitgenossen. Das 1947 erschienene Buch „LTI“ untersucht – aus philologischer Sicht – sehr eindrucksvoll, wie die „Sprache des Dritten Reiches“ funktionierte. Und warum sie so funktionierte. Denn dass Hitler und Goebbels augenscheinlich die Massen aufwühlen konnten, ist ja belegt.

Und heute würden einige Maschinenmeister der Neuen Rechten ja nur zu gern auf dieselben Rezepte zurückgreifen, weshalb der Hinweis der jungen AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber überhaupt nicht abwegig ist: dass nämlich der Mastermind der Neuen Rechten in Deutschland, Götz Kubitschek, mit einem der AfD-Prominenten eifrigst Goebbels-Reden sezierte, um die Methoden, die der Propagandachef Hitlers anwandte, für die Gegenwart nutzbar zu machen.

Denn: Wörter wirken

Was wir fast vergessen haben, weil es kaum noch geschulte Rhetoriker gibt. Die meisten Politiker können es nicht. Sie hören sich an wie Bürokraten, wie Funktionsträger, die die öffentliche Äußerung vor allem als öffentliche Nicht-Äußerung betrachten und die Medien mit farblosen Worthülsen und Versatzstücken abspeisen. Da zündet nichts.

Was Gründe hat. Und einer davon spielt natürlich den Rechtsradikalen in die Hände.

Margarethe Gallersdörfer schreibt zu Holtmanns Publikation: „Holtmann will in diesem Buch das Wort ‚Rechtspopulismus‘ nicht als Kampfbegriff verstehen, sondern als ‚politisches Stilmittel, das heißt eine Technik politischer Ansprache‘. Rechtpopulismus appelliere an Gefühle und Vorurteile, nicht an die Vernunft. Er arbeite mit Feindbildern: ‚Die da oben‘ halten ‚uns da unten‘ zum Narren. Externe, oft (aber nicht nur!) ausländische Kräfte hegen finstere Absichten. Das erklärt, warum Verschwörungstheorien im rechtspopulistischen Diskurs einen großen Stellenwert einnehmen.“

Genau das also, was Hitler und Friends ebenfalls gemacht haben: Sie haben Gefühle mobilisiert. Immer wieder. Und zwar keine kleinen Gefühle, sondern große. Jede Rede war gespickt mit emotionsgeladenen Bildern und Phrasen. Sie nutzten ein regelrecht religiös aufgeladenes Welt-Bild, um die scheinbar unbegreiflich gewordene Gegenwart zu kritisieren und ihr etwas (scheinbar) Heiles und Geheiligtes entgegenzusetzen.

Ihre Erfolge feierten sie nicht ohne Grund in Zeiten tiefster Verunsicherung.

Die Ideologie der Völkischen ist ganz simpel. Sie wirkt wie aus einem Guss. Und sie assoziiert eine heile, weil überschaubare, einfache Welt, wo alle gleich sind. Eine Flucht- und Sehnsuchts-Welt voller sentimental überladener Bilder. Aber das wirkt, weil Menschen gerade in Zeiten der Überforderung genau solche Sehnsüchte haben, sich Einfachheit und Überschaubarkeit wünschen.

Eine Sehnsucht, die seit Beginn der Industrialisierung und Globalisierung da ist und sich in immer neuen Wellen sichtbar macht. Die erste Welle war die Spätromantik (auf die sich ja ausgerechnet Leipzigs Promi-Maler Neo Rauch bezieht, wenn er denn schon mal über die Motive seines Malens spricht). Und die Nationalsozialisten sind ja genau das Produkt einer so in eine – als ideal imaginierten – frühere Zeit gekehrten Sehnsucht. Genau das sprachen sie an bei ihren Wählern – auch wenn sie selbst das Produkt einer als nicht mehr begreifbar erscheinenden Moderne waren.

„Der Rechtspopulismus ist ein ständig wiederkehrendes Krisen-Reaktions-Muster der Moderne“, interpretiert Margarethe Gallersdörfer in der „Frankfurter Rundschau“ die zentrale These von Everhard Holtmann. „Das erklärt auch, warum es auch in Deutschland nach einer kurzen Schampause unvermeidlich war, dass er wieder Aufwind erhält.“

Das mit der „Schampause“ muss so nicht stimmen. Denn das passt nicht dazu, dass es dieselben rechtspopulistischen Tendenzen auch in anderen Ländern so massiv gibt. Es stimmt wohl eher etwas anderes: Die moderne Gesellschaft ist wieder extrem unübersichtlich geworden, zu kompliziert, voller Informationen, die den Einzelnen überfordern. Die politischen Parteien scheinen nicht mehr steuern zu können. Die gigantische Wirtschaftsmaschine dahinter läuft und scheint auch jegliche demokratische Mitwirkungsrechte auszuhebeln. Was übrigens ein Grund dafür ist, warum so viele Politiker unfähig sind zu einer klaren und offenen Sprache.

Es ist ja nun einmal so. Überall dominieren Wirtschaftsinteressen. Selbst die Politik scheint die ganze Zeit in Angst, den mächtigen Konzernbossen nur ja nicht auf die Füße treten zu wollen.

Übrigens ein Thema, mit dem sich auch ganz andere Bewegungen wie die Degrowth-Bewegung beschäftigen. In Malmö hatte die gerade wieder einen ihrer Kongresse. Und in diesem Zusammenhang zitiert die „Frankfurter Rundschau“ den Politikwissenschaftler Ulrich Brand: „Die Menschen sollen selbst entscheiden, wie sie leben wollen. Im Moment zählen nur Wirtschaftsinteressen, und unter dem Vorwand der Entwicklung werden Mensch und Natur ungebremst ausgebeutet.“

Es ist ja nicht so, dass die Gefühle all der Menschen, die rechtspopulistische Parteien wählen, falsch sind. Die Verunsicherung und Beängstigung ist ja überall mit Händen zu greifen. Aber solche weitreichenden Gefühle der Verunsicherung holt man natürlich leichter ab, indem man Gefühle anspricht. Populistisches Sprechen profitiert davon, dass die herrschende Politik nicht mehr klar und deutlich zu sprechen vermag, keine Visionen mehr hat. Und nur noch vom Schreibtisch aus verwaltet, aber nicht mehr gestaltet. Es gibt ja in der deutschen Regierungspolitik schlicht keine Zukunftsvision. Als wäre da nichts.

Ein riesiges Loch, das die neu auftrumpfenden Rechtspopulisten wieder mit den alten Bildern füllen. Wo Menschen in Scharen um ihre „zukünftigen Lebenschancen“ bangen, wirken die alten Heimat-Volk-Heile-Welt-Bilder wieder wie hübsche kleine Wärmeillusionen von Kaminfeuern, digital erzeugt. Aber egal: Hauptsache gemütlich.

Was ja schon einmal die erste Botschaft in sich trägt: Wenn seriöse Politiker nicht wieder lernen, die Wähler emotional anzusprechen, werden sie die zu Recht Verängstigten nicht mehr erreichen.

Und die zweite Botschaft ist natürlich genau die, die auch auf den Degrowth-Konferenzen debattiert wird: Wie repariert man ein System, dem augenscheinlich selbst die amtierenden Politiker ratlos und machtlos gegenüberstehen? Und das den Menschen, die in diesem System rennen müssen wie die Ratten, tatsächlich Angst macht, weil sämtliche Lebenssicherheiten in den vergangenen neoliberalen Jahren weggespart wurden. Was die Spezis des Neoliberalismus ja dann immer „Effizienz“ nennen.

Frage mich jetzt einer, wo ich diesen nicht unwichtigen Gedanken aufgeschnappt habe, aber er muss irgendwo gestanden haben: Die meisten Menschen in dieser auf Effizienz getrimmten Gesellschaft (Stichwort: Ökonomisierung) sind derart eingespannt ins permanente Funktionieren, dass sie überhaupt nicht mehr zum Nachdenken kommen. Klaus Staeck war es – glaube ich. Wer immer nur funktionieren muss und ständig in Angst lebt, dass alles verloren geht, wenn er nicht mehr mithalten kann, der hat keine Zeit und keine Ruhe mehr, über Lösungen nachzudenken. Also wenigstens gedanklich mal aus dem Rattenrennen auszusteigen und die Sache mit überlegter Distanz zu betrachten.

Die „besorgten Bürger“ da in Ostsachsen wirken zwar alle irgendwie gemütlich. Aber wie dünn die Schale ist, die sie vorm völligen Austicken bewahrt, hat ja just dieser Mann mit dem Deutschlandhütchen gezeigt, als er meinte, dem Drehteam von „Frontal 21“ eine Straftat anhängen zu können. Er war ganz sichtlich echauffiert. Außer sich. So wie immer mehr überforderte Zeitgenossen, die ihre Angst in Wut und Verzweiflung verwandeln und dann irgendwen dafür angehen wollen.

In Chemnitz erklang er erst am gestrigen Montag wieder, der einfache Schlachtruf: “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus”, als sich ein 2.000-Menschen-Pulk durch die Stadt bewegte.

Was aber eben auch heißt: Wer diese Angst nicht aus der Gesellschaft nimmt, wird’s ebenso vergeigen.

Das heißt: Ohne solide soziale Sicherungen für alle, wirklich alle, wird es keine stabile Demokratie geben. Man kann keine Gesellschaft permanent ins Rattenrennen schicken und die Ängste der Menschen immerfort schüren, sie würden beim kleinsten Versagen ins Bodenlose stürzen (oder wie stehen unsere Politiker zu den Sanktionen in Hartz IV? Wollen sie immer noch nicht drüber nachdenken?). Denn Ängste sind 1.) sehr wirksam und 2.) völlig irrational. Und deshalb leicht aufzurufen und zu missbrauchen.

Es überrascht also nicht, dass in einer Umgebung der politischen Sprach- und Visionslosigkeit die simplen Gefühlsbilder der Rechtspopulisten wieder wirksam werden. Und dass man die Menschen, die dafür empfänglich sind, mit rationalen Argumenten nicht (mehr) erreicht. Egal, wie klug sie sind.

Das war der Punkt, den Holger Lengfeld nicht so richtig gepackt hat. Denn ein paar „soziale Wohltaten“ helfen in diesem Dilemma tatsächlich nicht. Sie werden kaum wahrgenommen, weil sie die eigentlichen Ängste nicht mildern. Aber trotzdem müsste eigentlich genau hier etwas geschehen, damit die Panik eingegrenzt wird und all die von Panik Getriebenen wieder zum Nachdenken kommen. Was natürlich Zeit, Ruhe und eine gewisse Sicherheit braucht.

Das werfe ich jetzt einfach mal als Stein ins Wasser.

Wäre ja schön, wen es nicht nur „Blubb!“ macht.

Die Serie „Nachdenken über ..“

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 58 ist da: Ein Mann mit dem Deutschlandhütchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918

Ein Mann mit dem Deutschlandhütchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918

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Es gibt 6 Kommentare

Angst wird gemacht. Da stimme ich zu. Man denke nur an dieses Video einer Alice Weidel zum Thema Sexual-Tötungsdelikt vermutlich durch einen Migranten. Soviel Hass, wie der aus dem Maul troff, soviel Angst wie die vor dem “schwarzen Mann” aufgebaut hat, ist es kein Wunder, dass die dafür empfänglichen Menschen darauf hereinfallen. Dass ähnliche Delikte, von Einheimischen begangen, geflissentlich von ihr ausgeblendet werden, die Opfer erst recht, interessiert schon keinen mehr.
Aber die Angst wird fleißig weiter geschürt. Jede Tat wird massenhaft verbreitet, oft aufgebauscht und immer triefend vor geheucheltem Mitleid mit dem Opfer kommentiert, wochenlang durch alle Medien und vor allem Talkshows getrieben. Bis zur nächsten Tat. Und nie wird vergessen, Frau Merkel zu danken und ihre angebliche (Mit)Schuld an jeder einzelnen Tat zu betonen.

Lieber Leolo, nur kurz, vielleicht später mehr dazu, aber folgendes, sehr wichtiges möchte ich doch sagen, weil Sie es gänzlich ausblenden:

Angst kann auch gemacht werden.

Angst kann auch gezielt verstärkt werden.

Angst kann auch gesteuert werden.

Und mithilfe von Angst kann man Menschen auch bestens manipulieren!

Kurz aus dem Internet herausgesucht… Montag wurde in Euskirchen eine Frau von einem Mädchen mit einem Messer bedroht… am Dienstag hat eine 19jährige Escortdame einen Düsseldorfer mit einem Messer überfallen und verletzt…Dienstag Nacht wurde ein türkischstämmiger Mann in Düsseldorf schwer verletzt durch einen Messerangriff… am Dienstag hat ein 17jähriger aus Bremen in Delmenhorst einen Kiosk mit Messer überfallen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Interessiert: keinen.

Es laufen anscheinend anno 2018 sehr viele Menschen in Deutschland mit Messern umher (ich denke ja, das war nie anders), aber interessant sind in der Öffentlichkeit NUR die Flüchtlinge und vor allem werden auch nur diese (ja! bedauerlichen!) Fälle instrumentalisiert.

Wer sich und seine Ängste benutzen lässt, sich beliebig steuern lässt für rechtsradikale Aufmärsche, was soll man zu dem sagen?

Und alle machen mit. Und die Spirale dreht sich immer weiter. Es ist absehbar, wohin die Entwicklung geht, was angesteuert wird. Aber die Menschen lassen sich weiter steuern, steigen in die Dynamik ein und lassen sich treiben. Ich habe oft das Gefühl, sie haben auch noch Spaß dran. Es ekelt mich alles ein wenig.

Nein, der Fremdenhass, die Angst vor dem Fremden, war nie weg. Die Angst vor dem Anderssein hat sich gehalten bis heute. Auch bei denen, die mal in einer Partei waren, die sich Frieden, Völkerfreundschaft und Solidarität auf die Fahnen geschrieben hat. Wo ich mich voll Entsetzen frage, ob ich diese Personen je wirklich gekannt habe? Woher diese Angst kommt, gerade hier in den neuen Bundesländern?
Liegt es vielleicht daran, dass mancher von uns zwar ausländische Kollegen hatte, diese aber isoliert in Wohnheimen lebten und nach ein paar Jahren wieder heim mussten, ohne kaum ein Wort der deutschen Sprache zu kennen? Denn die sollten sich ja nicht integrieren. Woran liegt es, dass die Frieden-Völkerfreundschaft-Solidarität-Rufer von damals heute ein buntes Hütchen aufhaben und Ausländer raus! schreien?

Mitte? Welche Mitte der Gesellschaft soll denn sich selbst aufhalten? Hat nicht gerade die Mitte die größte Angst vor dem Verlust all der Statussymbole, für die sie so geschuftet hat im Hamsterrad des neoliberalen Kapitals? Denn den Reichen ist es egal, woher sie ihre Rendite bekommen, die ist eh längst international. Und die Armen haben kaum was zu verlieren außer ihrer nackten Existenz. Rechtsaußen ist doch schon längst in der Mitte angekommen. War wohl auch nie sehr weit weg.

Nachtrag: Das alles waren und sind nur Gedanken, die zur Diskussion anregen sollen. Sie sind nicht zu Ende gedacht, gewiss, aber ich wollte den Stein nicht einfach nur “Blubb” machen lassen…

Es stimmt, Wohltaten helfen nur bedingt weiter. Gewiss demonstrieren einige gegen “die” Flüchtlinge, weil sie Angst vor Jobverlust haben, aber mir scheint diese Zahl angesichts des Fachkräftemangels eher überschaubar zu sein. Mehr Leute demonstrieren wohl, weil sie eine einfache Rechnung aufmachen: Wir leben hier und bekommen oft nur das Mindeste bei Arbeit und Rente, während andere – so scheint es – “nur” herkommen müssen, um ganz viel Unterstützung zu erhalten. Und doch taugen die ökonomische Angst und – ja – auch der Neid nur bedingt als Erklärungsmuster. Mit Angst, wie irrational sie auch immer ist (und sie ist es nie komplett), kommt man schon weiter. Einige der Demonstranten in Chemnitz (und anderswo) haben scheinbar Angst vor einer Umwertung ihrer Lebenswelt, haben Angst vor “dem” Islam, fremden Werten und (verrohenden) Sitten.
Gewiss, was sich da an Rechtsradikalen auf den Demos tummelt ist widerlich und zugleich Sinnbild für Sachsens verfehlte Extremismuspolitik. Aber gerade als aufgeklärter oder sich zumindest als aufgeklärt verstehender Mensch muss man sich fragen, ob ein guter Teil der Demonstranten auf “rechter” Seite nicht eigentlich in der Mitte der Gesellschaft steht.
Der sächsischen CDU-Generalsekretär hat heute öffentlich beklagt, die (nicht diese!) Mitte fehle in Sachsen, sie zeige nicht genug Gesicht. Was aber, wenn ein Teil der “rechten” Demonstranten Teil der Mitte sind, wenn sie – durch Einzeltaten(?) – aber aus der Mitte gedrängt werden, nach rechts, wo man sie medial dann umso dingfester macht?
Es ist leicht, diese Menschen zu kritisieren. Und ohne Frage: die ganzen rechten und rechtsextremistischen Strukturen in Sachsen gehören viel stärker aufgearbeitet und zerschlagen, aber die Kritik an den Zuständen muss auch auf linker (eigener) Seite ansetzen, ja, sie muss es besonders da.
Oft wird von Journalisten so getan, als seien die Ängste der Menschen nur eingebildet (als wenn Einbildungen nicht zu den größten historischen Triebkräften gehörten). Aber sind sie das wirklich immer nur? Gibt es nicht reale Bedrohungen, wie klein auch immer? Aber gerade die muss man ernst nehmen, viel mehr, als es die vermeintliche Presse bisher tut. Es gibt nunmal Probleme mit eingen Gruppen von Flüchtlingen, und die müssen benannt werden (dürfen).
Klar, in einer auf Effizienz getrimmten Welt ist oft kaum Raum für Zwischentöne, von links wie von rechts.
Aber sind nicht viele Flüchtline gekommen, um Teil dieser effizienten Welt des Kapitalismus zu sein? Ich weiß es nicht, aber die Frage stellt sich angesichts der Wünsche, die man so liest.
Man kann diese Menschen dafür nicht verurteilen, in keinster Weise, aber welche Werte werden denn hier ins Land gebracht bzw. gefestigt? Es sind doch nicht die von einer humanistisch(er)en, religionskritischen, vielleicht sogar alternativen Kultur? Zumindest scheint mir das so.
Man muss doch nur mal auf die einschlägigen links-alternativen Veranstaltungen gehen, jene, die ganz groß “Refugees welcome” auf ihrer Flyer schreiben – es gibt kaum Flüchtlinge bzw. Migranten da. Das ist nicht die Schuld der Veranstalter, die tun, was sie können. Sind da die kulturellen Unterschiede zu groß? Die Vorbehalte? Die Unkenntnis von dem, was sich da für Möglichkeiten böten?
Aber zurück zum Thema: Es ist traurig, dass anno 2018 Neonazis in aller Öffentlichkeit demonstrieren und dabei den Hitlergruß zeigen, gerade so, als hätten sie nichts zu befürchten, als seien sie im Recht mit dem, was sie da tun. Aber das sind sie nicht.
Und doch, es ist auch traurig – wenn auch auf ganz andere Art und Weise – dass anno 2018 Flüchtlinge mit Messern auf Stadtfesten rumlaufen, dass es Übergriffe gibt wie in Köln oder anderswo. Es ist traurig und beschämend und einer (vermeintlich) aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig, dass es zunehmend Leute gibt, die der Ansicht sind, eine Frau hätte nicht die gleichen Rechte wie ein Mann (worin sich manch Flüchtling mit denen von rechts heimlich die Hand gibt). Aber man muss ja nur mal in die Leipziger Roscherstraße gehen, um zu sehen, wie viele Flüchtlinge die dortige Moschee als eine Art “Heimatort” betrachten, obwohl und zum Teil wohl auch gerade weil dort alles gelehrt wird nur nicht Friede, Tolernanz und Gleichberechtigung. Aber dazu liest man zu selten etwas – nur auf den einschlägigen rechtskonservativen Seiten, aber das ist (mir) zu wenig.
Kurzum: Es ist traurig, dass die Irrationalitäten, der Religionswahn, die Geschichtsvergessenheiten und der Unwillen oder die Unfähigkeit, irgendetwas zu verstehen, dass all diese so stark sind, dass sie nicht nur gewalttätiges Handeln befeuern, sondern zunehmend auch akzeptiert werden, links wie rechts, von “Einheimischen” wie von “Fremden”. Aber es sind nämlich nicht nur die Irrationalitäten und Ängste einiger tausend Sachsen, die demonstrieren, sondern auch jener, die zu uns kommen. Davor die Augen zu verschließen wäre fatal. Die Wertediskussion muss alle betreffen und auch für alle gelten. Immer nur die Neuen Rechten zu kritisieren ist zu wenig, so berechtigt diese Kritik auch ist. Es ist schlichtweg zu billig in diesen aufgeheizten Zeiten, wo jedes Verbrechen die Gemeinschaft teuer zu stehen kommen kann.

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