2019 könnte Deutschland endlich ein richtiges Einwanderungsgesetz bekommen. Oder zumindest den zaghaften Anfang dafür. So zaghaft, wie es die aufgeregte Stimmung im Land zulässt. Denn wer seiner Bevölkerung jahrzehntelang einredet, dass Zuwanderung des Teufels ist, dem fällt das Umsteuern schwer. Selbst dann, wenn die Zukunft des Landes davon abhängt.

Die Bundesregierung will mit dem neuen Einwanderungsgesetz mehr Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland holen. Am Mittwoch, 19. Dezember, hat das Kabinett das neue Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, auf das sich die große Koalition nach jahrelangem Hin und Her geeinigt hat. Das Gesetz regelt in erster Linie den Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten außerhalb der EU und soll die Arbeitsmarktintegration von bereits in Deutschland lebenden Geflüchteten vereinfachen.

Die Bundesrepublik gibt damit auch offiziell zu, was seit 1990 und den damaligen rassistischen Vorfällen fast immer wie ein Tabu behandelt wurde: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und schon heute würde der Wirtschaftsstandort nicht mehr funktionieren, gäbe es keine Zuwanderung.

Und das wird sich in Zukunft noch mehr verschärfen

Deutschland ist auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, stellt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zum vorgelegten Gesetzentwurf fest. Und kann auch benennen, warum es ohne qualifizierte Einwanderung nicht mehr geht: „Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer gehen allmählich in Rente und die Gesellschaft altert. Das belastet die Sozialsysteme und führt zu einem Mangel an Fachkräften. Obwohl so viele Menschen arbeiten wie noch nie, waren Mitte 2018 über 1,2 Millionen Stellen in Deutschland unbesetzt. Gerade im Bereich Pflege und Gesundheit, aber auch unter Mathematikern, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern sowie im Handwerk fehlt schon heute oft der Nachwuchs.“

Es betrifft mittlerweile so gut wie alle Branchen und Qualifizierungsstufen.

Die Bahn findet nicht mehr genug Lokführer, die LVB suchen Straßenbahnfahrer in Spanien, in Krankenhäusern und Landarztpraxen fehlen die Ärzte, Gaststätten machen dicht, weil Servierpersonal fehlt, in Pflegeheimen fehlen die Pfleger, in Handwerksbetrieben der Nachwuchs, Kindertagesstätten schließen, weil das Personal aus Überlastung krank ist …

Von der staatlichen Blindheit, die Schulen rechtzeitig mit genug Lehrer/-innen und die Polizei mit genug Polist/-innen auszustatten, ganz zu schweigen.

Das neue Gesetz soll die bereits existierenden Möglichkeiten der Erwerbszuwanderung erweitern und vereinfachen. So dürfen künftig alle Personen aus Drittstaaten in Deutschland arbeiten, die einen Arbeitsvertrag vorweisen können und deren Qualifikation anerkannt wurde.

Auch die Gruppe derjenigen, die ohne einen Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen können, um hier für sechs Monate nach einer Stelle zu suchen, wird ausgeweitet. Neben Akademikern betrifft dies nun auch Personen mit anerkannter Berufsausbildung und junge Schulabsolventen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz.

Bewerber, deren Berufsqualifikation nur teilweise anerkannt wurde, können künftig für bis zu zwei Jahre ins Land kommen um zu arbeiten und in dieser Zeit die fehlenden Qualifikationen nachholen. Schließlich soll der Arbeitsmarktzugang von bereits hier lebenden, geduldeten Geflüchteten vereinfacht werden. Neben der Ausbildungsduldung wird es auch eine zweijährige Beschäftigungsduldung geben, sodass gut integrierte Geduldete, die eine Arbeit haben, unter bestimmten Bedingungen zunächst bleiben können.

Man merkt dem Gesetz an, dass die Autoren nach wie vor nicht den Mumm haben, den Deutschen zu erklären, wie viel qualifizierte und auch noch nicht qualifizierte Zuwanderung Deutschland wirklich braucht. Man bleibt lieber in dem alten Geschwurbel von Duldung und Abschiebung, als könne Deutschland sich einfach die Rosinen herauspicken und den „Rest“ für ungewollt erklären.

Die Bundesregierung setzt mit dem neuen Gesetz einige Maßnahmen um, die das Berlin-Institut bereits vor drei Jahren in der Studie „Internationale Arbeitskräfte einstellen“ vorgeschlagen hat, betont dieses Institut nun. Und macht deutlich, wie langsam Politik tatsächlich ist beim Anpacken der drängendsten Probleme.

„Das neue Gesetz ist unzweifelhaft ein Schritt in die richtige Richtung“, betont das Institut. „Ob es die gewünschte Wirkung entfaltet – den Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten deutlich zu steigern – wird maßgeblich von der Umsetzung begleitender Maßnahmen abhängen, wie sie die Bundesregierung im Oktober im Eckpunktepapier zur Fachkräftegewinnung angekündigt hat.“

„Wenn Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland kommen sollen, muss die Regierung die Zugangswege in den Herkunftsländern der Migranten konsequent bewerben und transparent machen“, fordert Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. „Auch sind Unternehmen bei der Rekrutierung im Ausland zu unterstützen.“

Zudem sollten die bürokratischen Verfahren unkompliziert sein.

„Es ist wenig hilfreich, wenn potenzielle Fachkräfte teilweise erst nach Monaten einen Termin in einer deutschen Botschaft bekommen um ein Visum zu beantragen und im Anschluss noch einmal lange Zeit auf die Anerkennung ihrer Qualifikation warten müssen“, kritisiert das Institut die hohen bürokratischen Mauern.

„Die Ankündigung, Fachkräfte schon im Ausland im Anerkennungsverfahren zu unterstützen, sollte konsequent umgesetzt werden. Da in der Regel bereits vor einer Einreise gute Deutschkenntnisse erforderlich sind, müssen auch im Ausland ausreichend deutsche Sprachkurse angeboten werden. Nicht zuletzt ist eine bundesweit einheitliche Umsetzung der Regelungen für Geduldete notwendig. Sowohl für Geflüchtete wie auch für Unternehmen ist eine Rechtssicherheit unerlässlich.“

An manchen Stellen wäre mehr Mut bei der Formulierung des Gesetzes wünschenswert gewesen, betont das Berlin Institut, etwa eine Ausdehnung der Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche von sechs auf zwölf Monate. „Ein halbes Jahr ist nicht viel Zeit, um in einem neuen Land einen neuen Job zu finden. Auch wäre eine Stärkung der Rechtssicherheit für Geflüchtete mit befristeten Aufenthaltstiteln und Geduldete, die noch keine Arbeit haben, erstrebenswert gewesen, denn ohne eine gesicherte Bleibeperspektive ist es für diese Personengruppen schwierig, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“

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