So schreibt man den Abschied eines Ministers herbei, wie es die FAZ am Freitag, 18. September tat. Auch wenn es sich wie eine Verteidigung für den ruhigen Verwaltungsfachmann Thomas de Maizére las: "Rücktritt des BAMF-Präsidenten - Männer in Not". Dabei geht es gar nicht um einen glücklosen Innenminister, auch wenn er nun seit Wochen im Dauerfeuer der Opposition steht.

“Zu behaupten, Thomas de Maizière habe im Moment keine Glückssträhne, würde wohl den Tatbestand der fahrlässigen Untertreibung erfüllen”, schreibt die FAZ. Und: “Als dann die Praxis immer übermächtiger wurde und theoretische Erwägungen immer mehr unter Alltagsaufgaben verschwanden, da hätte de Maizière rasch seinen Ruf als Praktiker des Krisenmanagement aufpolieren können. Doch das ist ihm bislang nicht geglückt.”

Wer den Artikel liest, merkt: Es ist doch wieder eher ein Kommentar, ein Versuch, das glücklose Agieren von Thomas de Maizière einzuordnen, obwohl man eigentlich auch in Frankfurt weiß, dass die Dramen des Jahres 2015 ihre lange Vorgeschichte haben. Genauso wie die im Text erwähnten Bewohner der Stadt Dresden. Man kann auch Meißen nehmen, die Stadt, in der Thomas de Maizière bei der letzten Bundestagswahl wieder sein Direktmandat geholt hat. Und wo Lenz Jacobsen von der “Zeit” mal auf Spurensuche war, warum in Sachsen so vieles schräg läuft, die sächsische CDU auch nach den Vorfällen in Schneeberg, Heidenau usw. immer noch am rechten Rand fischt, obwohl das vor allem der AfD und NPD nutzt.

Aber genau da hat der seltsame Eiertanz, den de Maizière nun seit Monaten tanzt, seine Wurzeln. Im FAZ-Artikel heißt es beiläufig: “De Maizière sprach viel über das Thema, meistens mit dem Tenor, dass man der Sache schon deswegen Herr werden müsse, weil die Integrationsbereitschaft in Deutschland sonst nicht dauerhaft erhalten werde.”

Das ist die Klemme, in die sich die CDU gebracht hat, gleich nach dem, was wir so flapsig “Wende” nennen. Die Stichworte heißen Rostock (1992) und Hoyerswerda (1991). An Rostock erinnern sich die großen Medien in der Regel immer sehr schnell, an Hoyerswerda eher nicht, obwohl es früher kam und zum Modellfall für Rostock wurde. Auch in Hoyerswerda waren es Rechtsextremisten, die den Angriff auf die Vertragsarbeiter aus Mocambique starteten und dann schnell Zulauf bekamen, als sie auch noch die Unterkunft angriffen. Und die sächsische Polizei – noch mitten in ihrem Umstrukturierungsprozess begriffen, reagierte hilflos und überfordert. Und die Landesregierung wiegelte ab. Was Ministerpräsident Kurt Biedenkopf im Jahr 2000 sagte – Sachsen habe kein Problem mit dem Rechtsextremismus – das war schon seit 1990 Politik gewesen, sächsische CDU-Politik: Die Sachsen lobpreisten ihren Fleiß, aber duckten sich weg, wenn Rechtsextremisten zündelten, ganze Gemeinden terrorisierten. Legendär ist das sächsische Wegducken beim Thema Skinheads Sächsische Schweiz. 2005 zog dann die NPD in den Sächsischen Landtag ein. Und die CDU schaute immer noch weg, tat so, als könne man die Truppe einfach ignorieren.

Rechtsextremisten-Szene ignoriert

Ignoriert wurde auch die ganze Rechtsextremisten-Szene um “Blood and Honour” im Raum Chemnitz, die ab 1998 zum Unterstützernetzwerk für das NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe wurde, das unbehelligt in Sachsen untertauchen konnte.

Die “Soko Rex” hatte man just in dem Moment aufgelöst, als der Rechtsextremismus sich in Sachsen – und in Ostsachsen besonders erfolgreich – ausbreitete und verwurzelte. Doch alle Proteste der Opposition wiegelte man ab, erklärte sie über Jahre zu einem Problem der Linken.

Stattdessen schürte man das Misstrauen gegen Links systematisch. Mit Verfassungsschutzberichten, die die Gewalttaten der Rechtsextremen gleichsetzten mit zusammengesammelten Demo-Vorfällen, die die sächsischen Schlapphüte gleich mal als “Linksextremismus” einstuften. Das hat sich bis heute nicht geändert und hat dazu beigetragen, Fremdenfeindlichkeit in Sachsen zu einer akzeptierten Grundhaltung zu machen.

Was den Korrespondenten von “Zeit” & Co. heute in Meißen, Freital, Heidenau usw. begegnet, hat nichts mit einer normalen Angst der Bürger vor Zuwanderung zu tun. Bei all den Aktionen mischen immer wieder NPD und Rechtsextreme mit, tun so, als seien sie ganz normale Bürger und schüren die Stimmung gegen demokratische Parteien, das “System”, die “Lügenpresse”, die Asylsuchenden sowieso.

Und Hoyerswerda und Rostock stehen für das Einknicken der Union vor den Rechtsextremen in Deutschland. Statt die Gelegenheit zu nutzen, ein modernes Einwanderungsrecht für die Bundesrepublik zu schaffen, hat man seither das durch das Grundgesetz gewährleistete Asylrecht immer weiter eingeschränkt und verschärft. Und zwar so verschärft, dass nicht nur die Rechten im Land das wohlige Gefühl bekommen konnten, dass Asylsuche in Deutschland etwas Unverschämtes ist, eine völlig unberechtigte Einforderung eines Gnadenrechtes. Und vor allem: dass es Menschen gibt, die überhaupt kein Recht haben, nach Deutschland zu kommen.

In Sachsen war diese Haltung des Schönredens und Harte-Kante-Zeigen besonders ausgeprägt. Für die frühen Jahre kann man de Maiziére das nicht anlasten. Auch nicht für die Rolle des Bundesinnenministers – vor ihm haben da ganz andere Amtsinhaber mit harschen Worten gezündelt. In Sachsen und im Bund.

Abschottungspolitik ist eine Sackgasse

Doch diese Abschottungspolitik – und nichts anderes steckt dahinter – ist eine Sackgasse. Und hat das Land auch in eine Sackgase geführt, denn die Strukturen, mit denen Asylbewerber erfasst und versorgt werden, wurden seit den 1990er Jahren drastisch zurückgebaut. Die Zahl der Sachbearbeiter im BAMF sank von 5.100 auf 3.000. Vor 20 Jahren kam die Behörde noch problemlos mit Flüchtlingszahlen zurecht, die eine ähnliche Dimension hatten wie die jetzigen.

Aber auch die von CDU und SPD beantragte Landtagsdebatte „Nationale Aufgabe Asyl gemeinsam bewältigen – europäische Migrationsagenda voranbringen“  am 16. September machte wieder deutlich, dass Sachsens CDU regelrecht festgefahren ist in ihren Argumentationsmustern.

Deutlich genug war, was Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, erklärte: “Ja, auch wir in Sachsen haben ein Problem mit rechts- und linksextremistischen Rändern. Wir dulden keine Form von Extremismus und auch keine Form von Rassismus. Gewalt, egal von wem sie ausgeht, lehnen wir konsequent ab.”

Das ist das alte, sinnlose Schema. Das Land leidet unter rechtsextremistischen Übergriffen – und man holt gleich wieder gegen den “Linksextremismus” aus. Und erklärt dann, dass man vollstes Verständnis für die “besorgten Bürger” habe: “Nicht jede von Bürgern artikulierte Frage und Sorge darf gleich unter dem Rassismusvorwurf abgewürgt werden. Wir brauchen den ernsthaften Diskurs in unserem Freistaat und dazu gehört es auch, uns mit den offenen Fragen unserer Bevölkerung auseinanderzusetzen. Das bedeutet aber auch, dass gepflegte Vorurteile, Hetze, Hass und Gewalt keine Gesprächsgrundlage bilden und keinesfalls zu tolerieren sind.” Fertig? Nein. Der Eiertanz geht weiter: Hartmann ist sich sicher, „der Fokus darf sich nicht nur auf den Rechtsextremismus versteifen, sondern gleichermaßen den Linksextremismus betrachten.“

So wird der unübersehbare Rechtsextremismus verharmlost.

Er betonte auch, dass man gemeinsam erreichen müsse, dass Rechts- wie auch Linksextremen keine Perspektiven haben.

Das ist die sächsische CDU. Windelweich gegen rechts – und immer gleich noch einen linksextremen Popanz malen.

Die anderen sind schuld

Und regelrecht wie eine Ausflucht wirkt jetzt ausgerechnet der CDU-Appell, die Flüchtlingsproblematik solle nun auf europäischer Ebene gelöst werden. Immer nach demselben Schema: Die anderen sind schuld.

Das sprach denn auch die Grünen-Abgeordnete Petra Zais an: “Zu den aktuellen Forderungen von CDU und SPD nach einer solidarischen Flüchtlingspolitik in Europa möchte ich deutlich sagen: Wir sollten nicht vergessen, welche Rolle Deutschland bei den Dublin-III-Verhandlungen Mitte 2013 eingenommen hat. Alle Forderungen des Europaparlaments und der Kommission nach einem Solidaritätsmechanismus wurden von Deutschland abgeblockt. Deutschland war bisher der Profiteur von Dublin, die Hauptlast trugen lange vor allem Malta, Griechenland, Italien und Ungarn.”

Es war die CDU, die geglaubt hat, sie könnte die Flüchtlingsprobleme einfach auf die Randstaaten Europas abwälzen und Deutschland könne sich abschotten. “Die Dublin-III-Verordnung ist ein unsolidarisches, untaugliches und menschenfeindliches Instrument der Regulierung von Flucht. Die Abschaffung der Dublin-Verordnung ist daher für uns Grüne die Voraussetzung für eine wirklich solidarische und humane Flüchtlingspolitik in Europa. Dazu habe ich leider von CDU und SPD kein Wort gehört”, sagte Zais.

Und genau deshalb ist der Bundesinnenminister so ratlos: Weil sich jetzt die Politik seiner eigenen Partei als Nonsens erweist, als völlig untaugliches Mittel, mit den Problemen der Zeit umzugehen.

Das Einzige, was man geschafft hat, ist, das Thema Einwanderungsgesetz für die Bundesrepublik um 24 Jahre zu vertagen. Obwohl selbst der letzte Statistiker weiß, dass Deutschland ohne Einwanderung einfach vergreist und wirtschaftlich in die Knie geht.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar