„Es geht nur mit einer Anti-Hymne“, schrieb uns ein Leser. Und die gäbe es natürlich, nämlich von Bertolt Brecht die „Kinderhymne“. In der vergangenen Woche hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow für eine neue Nationalhymne plädiert. Er ist nicht der Einzige, der mit dem Restbestand aus dem „Lied der Deutschen“ so herzlich unzufrieden ist. „Die Diskussion ist überfällig, und der Anstoß von Bodo Ramelow kommt zur rechten Zeit“, meinte auch Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag.

„30 Jahre nach dem Mauerfall holt uns die unaufgearbeitete Vergangenheit der Folgen eines Beitritts ein, der eben keine Vereinigung auf Augenhöhe gewesen ist“, benennt er die psychologischen Folgen einer Vereinigung, in der eben doch nicht zusammenwuchs, was zusammengehört, wie Willy Brandt damals meinte. Möglich, dass es der Sozialdemokat besser gemacht hätte, dass er diesen durchaus schwierigen Prozess nicht einfach nur ausgesessen, sondern gestaltet hätte und vielleicht auch frühzeitig gemerkt hätte, dass es das Land im Wirklichkeit zerreißt, wenn die Neubürger die ganze Zeit das Gefühl haben, nur am Katzentisch zu sitzen. Es ist nur ein Gefühl. Aber es ist mit konkreten Vorgängen besetzt, wie Gebhardt betont: „Stichwort Treuhand-Unrecht, aber auch die Missachtung gegenüber eigenen sozialen und kulturellen Perspektiven der Menschen in Ostdeutschland, die zur Entfremdung bis heute führt.“

Diese Entfremdung hat auch – gern ausgeblendet – mit dem Gefühl zu tun, diesen Prozess niemals selbst gestaltet zu, sondern regelrecht übergestülpt bekommen zu haben – samt den neuen Eliten aus westdeutschen Hochschulen und Verwaltungen.

Emotionen muss man in der Politik ernst nehmen. Und selbst solche einfachen Dinge wie die Diskussion über eine wirklich gemeinsame Nationalhymne hätte hierher gehört. Mal ganz davon abgesehen, dass 1990 eindeutig die Nationalhymne der DDR die modernere und passendere war – samt „Deutschland, einig Vaterland“.

Nur: einig ist dieses Vaterland bis heute nicht. Und die dritte Strophe des „Liedes der Deutschen“ wird eher gequält und notgedrungen mitgesungen, auch von den maßgeblichen Politikerinnen und Politikern im Land. Es ist eine Nationalhymne, die kaum jemand wirklich mit Herz und Begeisterung singen kann.

Wolf Biermann singt die Kinderhymne

 

Und auch Gebhardt findet, dass man doch lieber ein Lied von Bertolt Brecht zur neuen Nationalhymne machen sollte – übrigens ein Lied, das auch Wolf Biermann (siehe oben) mit Gefühl intoniert. Eben weil es dem üblichen martialischen Staatsgeschepper so schön widerspricht und ein anderes, wirklich friedliebendes Deutschland in den Mittelpunkt stellt.

„Ich persönlich bin für die Kinderhymne von Bertolt Brecht. Der Text ist von schlichter Schönheit und entspricht einem aufgeklärten Heimatverständnis, das keinen Platz für Nationalismus und übersteigerten Patriotismus lässt. Der Vorschlag, sie als neue Hymne eines vereinigten Deutschland zu nehmen, wurde leider wie so viele gute Ideen aus dem Osten in jener Zeit vom Tisch gewischt. Der Vorschlag gehört wieder auf den Tisch“, sagt Gebhardt. Und betont auch: „Persönlich singe ich die aktuelle Hymne nicht mit. Ich respektiere es, dass Menschen die 3. Strophe des Liedes bei offiziellen Anlässen mitsingen, aber ich selbst tue es nicht und werde es nicht tun. Das ‚Lied der Deutschen‘ ist nun mal unwiderruflich in der Nazi-Zeit missbraucht worden, und die Hilfskonstruktion, sich auf die dritte Strophe zu beschränken, ist nur Ausdruck von Hilflosigkeit und mangelndem Mut, gemeinsam etwas Neues zu wagen.“

Auch die dritte Strophe ist falsches Pathos mit juristischer Hintertür

Auch die dritte Strophe ist falsches Pathos mit juristischer Hintertür

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Ich finde den Text sehr schön:

1. Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

2. Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

3. Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

4. Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das Liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Bertolt Brecht: Kinderhymne (1950)(1*)

Nun und der Text passt sowohl auf die Melodie von Hanns Eisler(2*):
East Germany GDR-DDR Anthem (Old Instrumental Version) mit Bildern aus Leipzig:
youtube.com/watch?v=3AhIJB9jpWQ

als auch, wer es lieber ‘bombastisch’ mag, bei Staatsempfängen und so, auf die Haydn-Melodie:
Kinderhymne – Bertolt Brecht, Triviatas – 1. Kölner Schwulenchor singt Bertolt Brechts Kinderhymne von 1949 (Live 09.11.1992):
https://www.youtube.com/watch?v=9aHHLfHCkZY

Vor allem gefällt mir persönlich an dem Brechtschen Text, dass von Deutschland als dem guten Land gesprochen wird.
Nicht von ‘Vaterland’, wie (auch) in Johannes R. Bechers “Auferstanden aus Ruinen”.

Vaterland, dass heißt,. das Land der Väter und deren Väter, also eine quasi männliche Abstammungslinie qua Geburt.
Damit schließt man alle aus, deren Väter nicht in Deutschland geboren sind.
Und die Frau wird auf ihre Rolle als Mutter als quasi ‘Zeugungsgefäß’ des deutschen Mannes beschränkt.

Nun und auch diesen rückwärtsgewandten ‘Brückenschlag’ in die Geschichte, welche Zeiträume auch immer überspringend und damit ausblendend, halte ich für gefährlich verklärend und in der Konsequenz auch rassistisch ausgrenzend.

Und eine Hymne muss für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, gültig und zustimmungsfähig sein, aber vor allem auch für alle deutschen Staatsbürger.

Deshalb wäre eine gleichzeitige Diskussion über den Begriff ‘Deutschland als Vaterland’ wichtig und auch der heutigen Zeit angemessen.

Rammstein hat da ja schon mal angefangen, hier mal eine, aus meine Sicht ausgewogene Einordnung dazu:
#funk, MrWissen2go Geschichte,31.03.2019
Rammstein – Deutschland: Historische Analyse + Meinung | Geschichte
https://www.youtube.com/watch?v=dYF-LWTvxdA
Der Link zum Original-Video findet sich auch dort.
(Wo man auch ganz am Ende sieht, dass die Überlebenden auch heute noch und wieder bedroht sind..)

Auch damit nie wieder ein Kaspar Hauser (Die Weltbühne, 02.06.1931, Nr. 22, S. 815) einen solchen Text schreiben muss:
“Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen. Sie hatten sich damit begnügt – bitte, stirb noch nicht, ich möchte dir das noch schnell erklären, zu helfen ist dir ohnehin nicht mehr – sie hatten sich damit begnügt, bestenfalls einen allgemeinen, gemäßigten Protest gegen den Krieg loszulassen; niemals aber gegen den, den ihr sogenanntes Vaterland geführt hat, grade führt, führen wird. Man hatte sie auf der Schule und in der Kirche, und, was noch wichtiger war, in den Kinos, auf den Universitäten und durch die Presse national vergiftet, so vergiftet, wie du heute liegst: hoffnungslos. Sie sahen nichts mehr. Sie glaubten ehrlich an diese stumpfsinnige Religion der Vaterländer, und sie wußten entweder gar nicht, wie ihr eignes Land aufrüstete: geheim oder offen, je nach den Umständen; oder aber sie wußten es, und dann fanden sies sehr schön. Sehr schön fanden sie das. Deswegen liegst du, junger Mann.”
textlog.de/tucholsky-brennende-lampe.html

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1*)
Fritz Stavenhagen: Gesprochene Deutsche Lyrik, Lyrik für alle – Neue Lust auf Lyrik
deutschelyrik.de/kinderhymne-1950.html

2*)
neue musikzeitung, Ausgabe: 10/1999 – 48. Jahrgang
Auferstanden aus Ruinen, Hanns Eisler – ein Schicksal zwischen Ost und West
nmz.de/artikel/auferstanden-aus-ruinen

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