Bereits 1949 entwarf Erich Kästner mit seiner KONFERENZ der TIERE eine Utopie, in der Tiere aller Arten sich zusammenschließen und aufgrund des politischen Scheiterns der Menschen eine internationale Konferenz einberufen, um den Weltfrieden wiederherzustellen.

Aktuell läuft die KONFERENZ der TIERE unter der Regie von Anja Michaelis im Theater der Jungen Welt. Doch nicht nur in der großen Stadt wird konferiert. Nein, ganz real in einem Leipziger Vorgarten gibt es Grund für eine Konferenz der Vögel.

Wie Strandlust und Funsport ein Vogelparadies am Störmthaler See bedrängen

Es kam, dass an einem Sonnentag im Spätsommer sich die Beutelmeisen, die Blaukehlchen und die Schwarzkehlchen in den Süden verabschiedeten. Eine lange Reise über hunderte, ja gar tausende Kilometer stand ihnen aus dem Störmthaler Schilfland zum Mittelmeer bevor.

„Wusstest ihr, dass wir bald von unserem Zuhause vertrieben werden sollen? Ich habe es gehört, drüben im hohen Schilf zetern die Rohrsänger seit Tagen, langsam entsteht eine ganz schöne Unruhe. Offenbar möchten diese Menschen hier einiges verändern, während wir im Süden überwintern. Nichts soll bleiben, wie es hier im Schilfland ist. Die Menschen bereiten einen sogenannten ‚Bebauungsplan‘ vor. Die Lämmer haben es mit eigenen Augen im großen Haupthorst eingesehen.“

„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ (Erich Kästner)

„Dabei haben diese Menschen doch schon dort drüben auf der anderen Seite, was sie Magdeborner Halbinsel nennen, ihre Höhlen gebaut. Und ihre harten Schneisen und Lichtungen in die Natur geschlagen, auf denen die Krallen kratzen, die Hitze drückt und auf denen ihre komischen, laut-stinkenden Vehikel rollen.  Sie haben damals vielen Freunden von uns Ersatz für ihre Nester und Futterplätze versprochen. Doch das waren alles nur leere Versprechungen, denn seit über zehn Jahren haben sie nichts mehr dafür getan.“

„Warum wollen sie unser Schilfland, unsere Bäume, Büsche und Wiesen hier auch noch haben?“

„Sie wollen nicht unser Schilf und unsere Bäume. Die Menschen brauchen nicht die Pflanzen, sie brauchen noch mehr Platz. All diese Weiden, Birken, unser Schilf, die Wiesen und sogar der ganze Boden sollen weg und durch feinen Sand oder Rasen ersetzt werden. Die Menschen brauchen das zum Liegen. Es heißt, sie beteten so die Sonne an. Und sie müssten ihren Jungen beibringen, sich im Wasser zu bewegen auf diesen Gefährten, die der Wind antreibt. Versteht ihr, was das soll?“

„Nein, aber das wird zumindest gerade von Nest zu Nest gezwitschert. Die Waldohreule ist sich sicher, unser Schilf darf nicht weg, weil es geschützt ist. Diese Menschen haben dafür aufgeschriebene Regeln – das nennen sie Gesetz. Da hast du Blaukehlchen Glück mit deinem Schilf, dass es gesetzlich geschützt ist.

Wir Beutelmeisen wohnen in den Weiden und wir Schwarzkehlchen gleich nebenan in der Wiese mit den Hagebutten und Weißdornsträuchern. Die sind aber nicht geschützt und trotzdem brauchen wir sie, um hier leben zu können.

Doch auch dazu hat die Waldohreule etwas gelesen. Ein schlauer und gewichtiger Mensch, ein Professor, hat in seinen viel beachteten Schriften geschrieben, dass dieser Menschbau auch die Revieransprüche für seltene Tierarten berücksichtigen soll. Und schaut mal in die neueste Mahnliste, liebe Beutelmeise, gilt deine Art in Deutschland mittlerweile als vom Aussterben bedroht. Und da seid ihr nicht allein gefährdet, mehrere unserer Zwitscherfreunde stehen ebenfalls in diesem Werk.

Nach den eigenen Regeln der Menschen sind unsere Nester und Reviere eigentlich geschützt. Nun schaut aber zurück in die Vergangenheit. Immer wieder erfinden die Menschen irgendwelche Gründe, Ausreden und Ausnahmeregelungen, damit sie eben doch ihre eigenen Gesetze umgehen können.“

„Stellt euch vor, dafür, dass hier dann alles verschwindet, soll es auf der anderen Seite des Wassers Ersatz für uns geben. Wir sind schon einmal über die Stellen geflogen, erinnert ihr euch? Dort gibt es nur dürftig Schilf neben undurchdringlichem Sanddorn so weit das Auge reicht oder Steinufer und Asphalt, zumindest keine Wiese mit uns nützlichen Sträuchern. Das ist wieder kein fairer Ersatz, keiner von uns kann mit diesem Ausgleich etwas anfangen.“

Die Zerstörung von Natur, die gerade erst wieder in ‚Ordnung‘ kommt

„Hier haben wir unsere Reviere gefunden und unsere Nester gebaut. Hier gibt es für uns die besten Insekten und Spinnen. Hier gibt es den Raum und die Ruhe für ungestörte Entwicklung ganz vieler Arten. Hier kommt die vormals zerstörte Natur wieder halbwegs in ‚Ordnung‘, weil der Mensch hier weniger ist. Hier wollen wir bleiben, hier sind wir zu Hause.

Und schaut, gleich dort drüben, wo sie mit ihren Höhlen begonnen haben, gibt es noch so viel Platz. Warum bringen die Menschen ihrer Brut nicht dort das Schwimmen bei? Und ihr belustigendes Bewegen auf dem Wasser mit den Windgefährten? Und das Anbeten der Sonne?“

„Tja, soweit ich es zwitschern gehört habe, geht es um dieses Geld. Wisst ihr, das, wovon die Menschen ständig sprechen? Diese glänzenden harten Scheiben, die sie manchmal auch hier im Sand liegen lassen. Irgendwie bekommen sie von irgendjemandem ganz viel davon geschenkt und damit müssen sie dann hier was bauen – neue Nester, Schneisen und Lichtungen für Menschen und deren komische Vehikeleien.“

„Heißt das, wir sollen unser Zuhause verlassen, weil Menschen die Sonne anbeten, ihren Jungen das Schwimmen auf Windbrettern beibringen wollen und weil jemand dafür auch noch Geld verschenkt? Können Menschen ihr vieles Geld denn nicht sinnvoller einsetzen?“

„Jetzt bleibt uns keine Zeit, denn es wird kalt und wir müssen in den Süden. Doch lasst uns im nächsten Sommer alle Freunde zusammenrufen, wir machen eine Konferenz der Tiere am Störmthaler See.“

Und bis dahin läuft noch bis zum 8. Januar 2023 für alle Interessierten die KONFERENZ der TIERE im Theater der Jungen der Welt.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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