Wir stehen vor einem Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in einem kleinen Dorf unweit von Leipzig. „Unbesiegt und unvergessen“ ist in tiefschwarzen Lettern vordergründig zu lesen. Erst der zweite Blick fokussiert die vierzehn Namen derer, denen gedacht werden soll, weil sie nicht heimkehrten.

„Unbesiegt und unvergessen“. Letzteres ist sicher unstrittig in Bezug auf die verlorenen Söhne des Ortes. Albin fiel bereits kurz nach Kriegsbeginn im September 1914, ihm folgten Emil, Willy, Albin, Karl (1915), Artur (1916), Alfred, Edwin (1917), Oswald, Emil, Alfred und nochmal Alfred (1918). Otto verstarb später im Jahr 1927, wenn auch offensichtlich an den Folgen des Krieges. Auch ihm wird auf diesem Gedenkstein noch gedacht.

Der genaue Standort des Denkmals spielt für das Geschehene keine Rolle, heute wohnen hier etwa genauso viele Rechts-, Links-, Anders- und Nichtwähler wie anderswo in der ländlichen sächsischen Durchschnittslandschaft. Denkmäler mit derartigen Inschriften sind in ganz Deutschland weithin verbreitet, jedoch ist der Umgang damit bisher wenig öffentlich thematisiert.

Wem ist das „Unbesiegt“ so wichtig, dass man einen Straftatbestand riskiert?

Bei der Sanierung des Denksteines entschloss man sich im Jahr 2019, die Namen der Gefallenen in einem Braunton zu kolorieren, ein Schwert bekam eine goldene Klinge mit grauem Griff. Die Gravur „Unbesiegt und unvergessen“ wurde bewusst unkoloriert belassen.

Es dauerte nicht lange, bis jemand die eingeschlagenen Lettern mit schwarzer Lackfarbe akzentuierte. Über Monate dominierte der tiefschwarze Schriftzug „Unbesiegt und unvergessen“ das Denkmal. Erst im Spätsommer 2020 wurde auf Druck durch die Anwohnerschaft die Kolorierung entfernt.

Danach begannen mehrere Durchläufe von offizieller Säuberung und nächtlicher Akzentuierung des Schriftzuges. Der oder die Nachzeichnenden blieben bisher unerkannt. Im Ergebnis ist der Gedenkstein die überwiegende Zeit mit der kritischen Aussage akzentuiert belastet, wie auch jetzt zum Jahresbeginn 2023, da bis zur Säuberung jeweils Monate vergehen.

Was sich hier vielleicht für manche wie eine Bagatelle anhört, erfüllt nach §304 Strafgesetzbuch „Gemeinschädliche Sachbeschädigung“ einen Straftatbestand. Dem Verursacher drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe mit bis zu drei Jahren. Und auch die Duldung dieses Straftatbestandes ist wiederum kritisch einzuordnen.

Verschwörungstheorie „Dolchstoßlegende“ – auch 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges noch präsent

Die in völkischen Kreisen in der Weimarer Repu­blik populäre Theorie behauptet, das deutsche Heer sei im Ersten Weltkrieg „im Felde“ unbesiegt. Erst durch „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat, durch Sozialdemokraten, Kommunisten und das „internationale Judentum“ hätte es einen „Dolchstoß von hinten“ bekommen.

Es gab immer mal wieder einzelne kritische Auseinandersetzungen mit derartigen Denkmälern. So titelte die Mainpost 2010 über ein Erste-Weltkriegs-Denkmal im unterfränkischen Mainbernheim: „Dieses Denkmal ist ein Ärgernis. Es ist die Stein gewordene Dolchstoßlegende, ‚garniert‘ mit einer kräftigen Portion Antisemitismus“.

Zuletzt war es die TAZ, die 2020 über eine Auseinandersetzung mit einem Kriegerdenkmal in Berlin-Biesdorf und dessen Bezugnahme auf die Dolchstoßlegende berichtete. Weitere Beispiele kritischer Auseinandersetzung mit Weltkriegsdenkmalen gab es zwischenzeitlich auch in Hamburg und Münster, so die Autoren der TAZ. Eine deutschlandweite Auseinandersetzung und Empfehlung zum Umgang mit nationalistisch-völkischem Gedankengut auf Denkmälern fehlt jedoch.

Eine Lösung wäre, Denkmäler für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs in Mahnmale gegen Krieg, Vertreibung und Völkermord zu wandeln. Jedem dieser Mahnmale könne eine Schautafel an die Seite gestellt werden „zur kritischen Einordnung in den historischen Kontext“, die „gegen kriegsverherrlichende Heldendenkmale“ argumentiert, so die Autoren der TAZ zu den Überlegungen in Berlin.

Wirkungslose Befreiungsversuche der Zivilgesellschaft

Anwohner initiierten mehrfach kleinere Protestaktionen gegen die Duldung der „Unbesiegt“-Akzentuierung am beschriebenen sächsischen Denkmal. Dies löste zumindest eine Debatte aus, nach welcher der Ortschaftsrat die Berliner Lösung einer Erklärungstafel aufnahm, sich jedoch hinsichtlich der Einfärbung des kritischen Schriftzuges ambivalent erklärte:

„Aus der Diskussion des Ortschaftsrates entstanden folgende Gedanken. Es geht nur im zweiten Schritt um das Hervorheben einer Schrift oder das Entfernen dieser Schrift. Im Ernstfall kann dies ein permanenter Wettlauf werden. Es geht eher um einen scheinbar sehr notwendigen Austausch und geschichtliche Aufklärung zu historisch belegten Hintergründen UND es geht um Haltung und Werte in der Zeit, in der wir alle heute leben.

Insofern kamen wir, der Ortschaftsrat, zur Entscheidung, die Schrift so zu belassen, wie sie aktuell ist. Auch das ist Teil der Geschichte. Dies erfolgt jedoch nicht unkommentiert. Das Denkmal soll eine Erläuterungstafel erhalten. Der Wunsch ist, dass diese unter Mitwirkung von Einwohnern und der Einbindung des Denkmalschutzes hier im Dorf entsteht“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Rates.

Infolgedessen setzten sich Schüler in einem Schulprojekt mit dem Thema Kriegsdenkmäler auseinander. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Projektwochenpräsentation in der Schule vorgestellt, leider fehlte ein öffentlichkeitswirksamer Ergebnistransfer in die Einwohnerschaft. Allein ein Text zum Denkmal, auf Papier in Klarsichthülle, erläutert nunmehr die Projektergebnisse mit einer Einordnung des kritischen Schriftzuges. Doch auch eine nochmalige Säuberung des Schriftzuges konnte auf Druck der Anwohnerschaft erwirkt werden.

Wehret den Anfängen – nur wie denn nun?

Es wurde also so einiges unternommen. Mehrmalige Säuberungen, Protestaktionen am Denkmal, die Debatte im Ortschaftsrat, ein Schulprojekt, ein Erklärungspapier, sogar in der Dorfgruppe erregte das Thema über Social Media einige Zeit die Gemüter. Nur genützt hat dies alles nichts: Es protzte wieder „Unbesiegt“ in neuer Schwärze.

Der Zusammenhang zu dem Tag, welcher von einigen Historikern auch gern als deutscher Schicksalstag bezeichnet wird, impliziert sehr deutlich, wie bewusst hier agiert wird. Auf den 9. November fallen eine Reihe von Ereignissen, die immer wieder Anlass für rechtsideologische Aktionen geben, so beispielsweise der Beginn der Novemberpogrome 1938 und der Hitlerputsch 1923. Anfang Dezember erschüttern die Umsturzpläne eines „Reichsbürger“-Netzwerks ganz Deutschland.

UN-Generalsekretär António Guterres nahm am 19. Dezember in einer Rede diese Putschpläne zum Anlass, um vor rechtem Terror weltweit zu warnen. „Es hat sich gezeigt, dass heutzutage die größte terroristische Gefahr in westlichen Nationen von extremen Rechten ausgeht“, sagte Guterres in New York. Jeglicher Form von Neonazismus müsse entschieden begegnet werden. „Das ist eindeutig eine Bedrohung, und wir müssen diese Bedrohung mit großer Entschlossenheit bekämpfen“, sagte Guterres weiter.

Auch wenn der kleine Schriftzug am Dorfdenkmal unbedeutend erscheint, sind es nicht genau jene konsequenten Reaktionen auf Lokalebene, derer es bedarf, um der Verharmlosung und dem erneuten Aufkeimen von Nationalismus entgegenzutreten?

Nach drei Jahren wiederholter, nationalistisch motivierter Straftaten stellten nun erstmals die Anwohner zum Jahresende 2022 eine Anzeige gegen Unbekannt. Dies mit der Hoffnung, dass sich die sächsische Justiz an der Erarbeitung einer substantiellen Lösung beteiligt, um diese offene und andauernde Verbreitung nationalistisch-völkischen Gedankengutes in der Öffentlichkeit zu unterbinden.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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Es gibt 2 Kommentare

@Thomas, der Beitrag ‚Unbesiegt‘ entstand im Rahmen des Projektes ‚Bürgerjournalismus als sächsische Beteiligungsoption‘ (Förderrichtlinie Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen). Das Projekt gibt Bürgern die Möglichkeit, über eigene Beteiligungserfahrungen in Sachsen zu berichten. Der erste Teil Ihres Kommentares unterstreicht das Potenzial, welches im Ansatz Bürgerjournalismus mit einer Berichterstattung aus erster Hand liegen könnte – danke dafür.
Ihr Einwand adressiert den führenden Journalisten für sozial-ökologische Tagespublikationen in Sachsen – Wozu? unberechtigt, unnötig – schade! Selberschreiben… im Projekt Bürgerjournalismus :).

Endlich mal wieder ein Artikel, der ein Ereignis/Gegenstand umfassend beschreibt, Haltung zeigt, aber nicht zum Kommentar verkommt. Gratulation, Herr Beutner! Vielleicht schaut sich Herr Julke etwas ab und findet zu alter Qualität zurück?

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