Fast etwas düster ging die Podiumsreihe „Kulturkollaps“ am vergangenen Donnerstag im Felsenkeller vorerst zu Ende. Beim vierten Gespräch, erneut unter der Moderation von Prof. Michael Kaufmann, Kulturmanager und jahrelanger Leiter renommierter Kulturinstitutionen und Veranstaltungshäuser, nahmen drei Gäste auf der Bühne Platz. Eingeladen waren der Intendant des Theaters in Rudolstadt, Steffen Mensching, der Journalist Andreas Rosenfelder sowie Peter Matzke, Geschäftsführer des Krystallpalast Varietés und Mitinitiator der Podiumsreihe.

„Die Gefahr eines Kollapses ist ernsthaft“

Dass im Gestern keine Antwort auf die Frage des Morgens liege – darüber waren sich alle Gäste einig. Dass es im Morgen keinesfalls „nur“ um die Zukunft der Kultur gehe, sondern um die Gesellschaft im Allgemeinen, brachte Steffen Mensching unverblümt in seinem Vortrag auf den Punkt: „Wir denken hier und heute über Strukturen nach, die es künftig so nicht mehr geben wird, weil das System, wie es jetzt existiert, möglicherweise bald nicht mehr existiert.“

Konkret legte er den Finger auf die Wunden der zahlreichen Krisen, insbesondere des Krieges in der Ukraine und seinen Folgen. Krieg stelle die brutalste Antikultur dar, Krisen führten zu Rückbau, warnte Mensching und mahnte an, dass dieses schmerzhafte Thema in den bisherigen Debatten nur marginal aufgetaucht war.

Stand in den vorangegangenen Diskussionen noch die Frage im Raum, ob der Kuchen der Finanzmittel für Kulturbetriebe nicht vielleicht sogar vergrößert werden könnte, wollte sich Mensching über eine derartige Wunschvorstellung keine Illusionen machen: „In Zukunft wird es keine höheren Budgets geben, wir werden das Niveau, das wir uns angewöhnt haben, nicht halten können. Die Gefahr eines Kollapses ist ernsthaft.“

Die Bedrohungen seien vielfältig: Zuerst Corona, dann der Krieg und die damit einhergehende Energiekrise, die Inflation, die die Forderung nach Tarifsteigerungen nach sich zieht, ebenso die Veränderung des Unterhaltungsangebots im digitalen Zeitalter.

Gesellschaft vor dem Kollaps?

Viel optimistischer klangen auch die Worte seines Gesprächspartners Andreas Rosenfelder nicht. „Kultur steht vielleicht symptomatisch für eine tiefere Krise der Gesellschaft“, so der Ressortleiter Feuilleton bei der Welt und der Welt am Sonntag. Er manifestierte anhand dreier Thesen, welchen störenden Einflüssen die Kultur ausgesetzt ist. Dies seien zum einen eine generelle Müdigkeit, ein Zurückziehen vieler Menschen in den Kokon der sozialen Abschottung.

Daraus ergebe sich – These zwei – die Veränderung der (bürgerlichen) Öffentlichkeit, die mehr und mehr von der Präsenz ins Digitale abwandert. So würden Diskussionen erschwert und der Zerfall der Gesellschaft in Parallelwelten befördert. Als dritten Grund führte der Journalist das mangelnde Vertrauen der Menschen in Verantwortung tragende Institutionen ins Feld.

Auch im kulturellen Bereich gebe es eine sogenannte Elite, so Rosenfelder, die sich neu orientieren und aus der Abschottung finden müsse. Denn wenn auf den Bühnen nicht die Sprache gesprochen wird, die von allen verstanden wird, besteht auch die Gefahr, dass immer Weniger Freude am Zuhören haben.

Die Konsequenzen, welche der Abbau der Kultur für die gesellschaftliche Entwicklung haben könnte, sind lediglich zu vermuten. Gerade außerhalb der Städte, wo das Angebot oftmals auf einige wenige begrenzt ist, übernehmen kulturelle Einrichtungen wichtige Funktionen in puncto Demokratiebildung.

Dies war auch der Tenor der bisherigen Diskussionsrunden gewesen. Den Stellenwert der Kultur und die Notwendigkeit, sie verstärkt in das Bildungssystem zu integrieren, hatten schon der Autor Fabian Burstein und der Kulturpolitikwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Matthias Theodor Vogt auf der Bühne des Neuen Schauspiels betont.

Ungerechte Teilhabe für alle

Die aktuelle Entwicklung jedoch, so zumindest aus Sicht der Podiumsgäste im Felsenkeller, steuert eher auf das gegenteilige Ziel, die Verkleinerung des Finanz-Kuchens, zu. Peter Matzke, der in der Leipziger Kulturszene ein „alter Hase“ ist, sah dabei auch das Problem in der Verteilung der Mittel und der damit nur unzureichend einhergehenden Teilhabe der Menschen. Wieder einmal wurde die Oper als Symbol der institutionell geförderten Kultur aufs Podium gehoben.

Immerhin erhalte die Leipziger Oper, so Matzke, 54 Millionen Euro aus dem Kulturetat der Stadt, der insgesamt 130 Millionen Euro umfasst. Das Gewandhaus sahne immerhin 22 Millionen Euro ab. Nach weiteren Anteilen für die städtischen Museen, Musikschulen etc. blieben für die Freie Szene fünf Prozent der Fördergelder im Topf. Diese allerdings ziehe 85 Prozent der Menschen an. „Nicht eingerechnet dabei sind noch nicht die Menschen, die ins Kino oder in den Club gehen.“

Warum also würden Tickets für die Oper subventioniert, sodass sie zu erschwinglichen Preisen angeboten werden können, während Karten für Popkonzerte – man einigte sich hier auf Eric Clapton als repräsentatives Beispiel – immer teurer und für immer weniger Menschen zugänglich wären?

„Wenn ich einmal mit meiner Familie ins ‚Weiße Rössl am Wolfgangsee‘ gehe, gibt der Staat über 900 Euro für unsere Karten dazu. Ist es also das, was unter allen Umständen zu erhalten ist?“ Heißt das im Schluss, dass Institutionen die Richtung der kulturellen Teilhabe vorschreiben?

Wie in allen Bereichen kann mal wieder nicht in schwarzweiß auf das Thema geschaut werden. In kleineren Orten und Gemeinden kommt institutionell geförderten Kultureinrichtungen, wie beispielsweise Stadttheatern, eine andere Bedeutung bei, als vielleicht in der großen Stadt. Oft, weil sie die einzigen ihrer Art in der Gegend sind. „Geförderte Kulturbetriebe haben in den Gemeinden eine konsolidierende, demokratiebildende Arbeit und wichtige sozialisierende Rolle – will man die abschaffen?“, betonte Steffen Mensching in der Diskussion.

Und würde eine Umverteilung der Gelder eventuell auch die Freie Szene beschneiden in ihrer Programmauswahl? Für Mensching war die entscheidende Frage vielmehr: „Wie schafft man Strukturen, auch für die Freie Szene, in welchen die Künstler/-innen Auftrittsmöglichkeiten haben und das Publikum in die Häuser kommt und diese ihre Leute bezahlen können?“

Eine Antwort auf diese Frage konnte leider auch das vierte Podium nicht bieten. Umso wichtiger scheint es, die Diskussion fortzuführen, alle Akteur/-innen an einen Tisch zu bringen und kollektiv an Lösungen zu arbeiten.

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