Im Landkreis Leipzig kämpfen aktuell zwei Naturschutzallianzen verzweifelt um den Erhalt wertvoller Naturräume. Neben dem Holzberg-Konflikt, dessen Problematik mittlerweile im Sächsischen Landtag verhandelt wird, bereitet das Erholungsgebiet „Östlich Grunaer Bucht“ am Störmthaler See lokalen Naturschützern und sächsischen Umweltverbänden zunehmend Sorge. Hier sind ein naturschutzrechtlich geschütztes Biotop und weitere wertvolle Biotopmosaike mit seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten durch bauliche Erschließungsmaßnahmen gefährdet.

Die planerisch zuständige Gemeinde Großpösna hatte im Sommer den Bebauungsplanvorentwurf „Östlich Grunaer Bucht“ zur Auslegung gebracht. Dieser orientiert sich in der vorliegenden Variante an den vermeintlichen Bedarfen der beiden Hauptakteure, dem Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe Leipzig (SEB) und der Universität Leipzig.

In Begleitung zum B-Planverfahren wurde zum Ausgleich aller Interessen extra ein Projektbeirat einberufen. Dieser Beirat schaffte es jedoch aufgrund seiner Zusammensetzung nicht, den lokalen naturschutzfachlichen Besonderheiten „Östlich Grunaer Bucht“ gerecht zu werden.

Das ist zumindest die Ansicht der lokalen Naturschutzallianz, denn Fachvertreter der Naturschutzverbände waren in dem Projektbeirat erst gar nicht vertreten und auch die Ergebnisse der Artenerfassung standen dem Projektbeirat bis kurz vor Auslegung des B-Planvorentwurfes nicht zur Verfügung.

Da war es dann auch kaum verwunderlich, dass die Landesverbände von NABU und BUND letztendlich in Kenntnis der Ergebnisse der artenschutzfachlichen Kartierung den B-Planvorentwurf „Östlich Grunaer Bucht“ kritisch und ablehnend beurteilten

. Der NABU kam aufgrund der Fülle der wertgebenden Arten, der naturschutzrechtlich geschützten Biotopstrukturen und der Funktionen im regionalen Biotopverbund sogar zu der Einschätzung, das Areal sei in großen Teilen würdig, als Naturschutzgebiet ausgewiesen zu werden.

Zwei Offene Briefe mit unterschiedlichen Reaktionen aus Leipzig

Deshalb adressierte die Naturschutzallianz vom Störmthaler See im Sommer 2022 nach Bekanntwerden des B-Planvorentwurfes „Östlich Grunaer Bucht“ zwei Offene Briefe. Ein Brief richtete sich an den Leipziger Stadtrat und OBM Jung als Aufsichtsorgane des SEB, welcher als Hauptakteur einen inklusiven Campingplatz mit Strandbad und inklusivem Dienstleitungsbetrieb im Plangebiet aufbauen möchte.

Der zweite Offene Brief ging an die Universität Leipzig, die ein neues Wassersportzentrum für Ausbildungszwecke und den Hochschulsport am Störmthaler See plant. In den Offenen Briefen konfrontierte die Naturschutzallianz den Leipziger Stadtrat und die Universität mit den konkreten naturschutzfachlichen Konfliktpotentialen ihrer Vorhaben.

Das Rektorat der Universität stellte in seiner ersten Stellungnahme im Juni 2022 erstmal klar, der Sächsische Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement (SIB) sei verantwortlich für Standortwahl und bauplanerische Aspekte des neuen Wassersportzentrums und eben nicht die Universität selbst. Dennoch waren die studentischen Nachhaltigkeitsinitiativen und die Fakultät für Lebenswissenschaften von dem Offenen Brief aus Großpösna sensibilisiert.

So folgte dem Antwortbrief der Rektorin, die zunächst rein formal die Verantwortlichkeit beim SIB und dem öffentlichen Beteiligungsverfahren der Gemeinde Großpösna verortete, auch eine weitere interne Auseinandersetzung mit der Sachlage.

Dabei wurden neben den rein rechtlich-administrativen Aspekten auch die Glaubwürdigkeit eigener Forschungserkenntnisse und eigener Nachhaltigkeitsforderungen an dem vorgelegten B-Planvorentwurf bemessen.

Konflikt um Wassersportzentrum ist beispielhaft in der universitäre Nachhaltigkeitsdebatte

Und hier trifft der Naturschutz-Konflikt des geplanten Wassersportzentrums in eine sensible Phase der universitären Nachhaltigkeitsdebatte. Denn erst im Mai 2022 wurde das Audimax der Universität durch Aktivist/-innen der „Letzten Generation“ besetzt, im Juli 2022 folgten dann konkrete Forderungen des Student/-innenRat der Universität, um die Klimakrise zu bekämpfen. 

Die Forderungen der studentischen Nachhaltigkeitsinitiativen fanden dann auch kürzlich in dem Leipziger Wissenschaftsfestival GLOBE22 ihre Berechtigung. Wissenschaftler aus der ganzen Welt debattierten eine Woche lang über die drängendsten Gesellschaftsfragen unserer Zeit: Wie bewältigen wir die Klimakrise? Wem gehört die Natur? Wer trägt welche Verantwortung? Und viele mehr.

Dabei thematisierte Prof. Matthias Middell, Prorektor für Campusentwicklung und Direktor des Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe) in seiner Eröffnungsrede auch ganz offen die Problematik des neuen Wassersportzentrums am Störmthaler See: „In dem hier erwähnten Fall war der Match nicht ideal. Denn die Gemeinde Großpösna plant etwas, was unseren Bedarf nur zum Anlass nimmt, aber weit darüber hinausgeht. Öffentlich entstand allerdings der Eindruck, die Universität würde wertvollen Schilfbestand beseitigen und dem Blaukehlchen das Habitat bestreiten wollen.“

Ausschnitt aus der Rede von Prof. Middell bei der Eröffnungsveranstaltung:

Prof. Middell bei der Eröffnungsveranstaltung vom 10.10.2022. Foto: Screen Uni-Videostream

 „Wir haben daraufhin mit Hilfe der Expertise am iDiv, am Zentrum für Biodiversitätsforschung und hier gebührt Prof. Wirth besonderer Dank, der sich auf Fahrrad gesetzt und den Streitort in Augenschein genommen hat, klargestellt, was eigentlich unser Bedarf ist und, dass wir keineswegs die Urheber von Betonträumen sind, die den Protest ausgelöst haben. Im Ergebnis wird nun nach dieser Intervention, eine deutlich umweltverträglichere Lösung für unser Wassersportzentrum gesucht. Ausgang derzeit noch offen, aber von vielen Seiten mit dem festen Willen, für eine gute Koexistenz von Ruderern und Blaukehlchen zusammenzuwirken.“

Erhebliche Diskrepanzen zwischen universitärem Bedarf und B-Planvorentwurf

Und zu Recht verweist die Universität in ihrer Korrespondenz mit dem SIB und dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) auf einen ganz wesentlichen Punkt. „In der Prüfung der Unterlagen gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen den uns bisher vorgestellten Planungen vom Büro Knoblich aus dem Jahr 2020 und des veröffentlichten B-Plans vom März 2022.“

Und weiter: „Insgesamt wird aus Sicht der Universität eingeschätzt, dass der Planungsstand aus 2020 sowohl den funktionalen Bedarfsanforderungen des Natursportzentrums als auch den Naturschutzbelangen am ehesten entspricht, sodass diese Planung weiterverfolgt werden sollte. Im Gegensatz dazu erfüllen die aktuell veröffentlichen Planungen die funktionalen Anforderungen des Natursportzentrums nicht und lassen Zweifel aufkommen, ob die naturschutzrechtlichen Belange berücksichtigt werden.“

Die Universität bat daraufhin bereits im August 2022 den SIB, auf eine Nachbesserung im B-Planverfahren hinzuwirken.

Für die Naturschutzallianz am Störmthaler See stellt sich nunmehr jedoch die Frage, wie es zu dieser Diskrepanz überhaupt kam. Diesem Punkt möchte Matthias Vialon, Grüner Gemeinderat in Großpösna, nun nachgehen:

„Es ist im Moment unklar, wer zu welchem Zeitpunkt die Bedarfe der Universität definiert und verhandelt hat. Noch unklarer ist, wie nach den jetzt vorliegenden Aussagen der Universität ein derartiger B-Planvorentwurf entstehen konnte, der sowohl den funktionalen Anforderungen der Universität als auch mit großer Wahrscheinlichkeit den naturschutzrechtlichen Anforderungen widerspricht.“

Wissenschaft und das moralische Fundament für Biotop- und Artenschutz

Das parallele Agieren der studentischen Nachhaltigkeitsgremien und des iDiv sowie die sequentielle Aktivierung des Rektorates zeigt, dass sich die Universität in einer über den gesetzlichen Naturschutz hinausgehenden moralischen Verpflichtung sieht, bei dem momentanen Planungsstand die Notbremse zu ziehen.

Denn diese Botschaft ist bedeutend: Hier sieht eine dem Artenschutz verpflichtete Institution sich geradezu gezwungen, einzuschreiten, obwohl vielleicht in einer vorhabengetriebenen Auslegung des Naturschutzrechtes der B-Plan-Entwurf irgendwie standhalten würde.

Denn im Kern geht es ja häufig um dieses Dilemma, dass man sich fortwährend auf geltendes Naturschutzrecht beruft, selbst in dem Wissen, dieses ist nicht ausreichend, um das Artensterben zu stoppen. Mit dem Verhalten der Universität stellt mithin Wissenschaft das geltende Naturschutzrecht in seiner Funktionalität infrage.

Middells Beitrag in diesem internationalen Symposium zeigt wohl recht deutlich, welche Bedeutung gerade jenen ‚kleinen‘ Beispielen innerhalb der großen Nachhaltigkeitsdebatte beigemessen werden muss. Denn nur wenn es im lokalen Einzelfall und in der breiten Fläche gelingt, menschliches Handeln in unmittelbaren Bezug zu den natürlichen Ressourcen zu setzen, werden wir den voranschreitenden Lebensraumverlust und die Artenkrise stoppen können.

„Umweltbelange mobilisieren viele Zuständigkeiten und Betroffenheiten und es besteht ironisch gesprochen eine gute Chance, dass man sich dabei verheddert. Rechtsweg und Shitstorm sind Instrumente, um Gordische Knoten zu durchschlagen und wo sie notwendig sind, scheinen sie mir auch angemessen“, resümiert Prof. Middell zur Sachlage Wassersportzentrum beim GLOBE22 und schlägt den Bogen wieder zum großen Ganzen.

„Davor, und das zeigt das Beispiel ziemlich gut, wäre oder ist es gut, erst einmal zu eruieren, ob es überhaupt gegensätzliche Interessen gibt. Konstruktive Gespräche mit möglichst breiter fachlicher Fundierung und die Suche nach pragmatischem Ausgleich scheinbar unvereinbarer Ausgangslagen sind zumindest in der Wissenschaft vertraute und bewährte Modi des Umganges mit Unterschieden. Und Universitäten können diese Qualitäten vielleicht in besonderer Weise in die Nachhaltigkeitsdebatte einbringen.“

Nach dieser beispielhaften Positionierung bleibt abzuwarten, ob und mit welcher Intention der SEB oder die Stadt Leipzig zum Offenen Brief der Naturschutzallianz von Störmthaler See noch Stellung bezieht und bereit ist, die eigene Vorhabenplanung anzupassen. Bisher ließ allein die Grüne Fraktion im Stadtrat durch ihre Redebeiträge und das Abstimmungsverhalten erkennen, die naturschutzfachlichen Konfliktsituation in Zusammenhang mit dem SEB-Vorhaben auflösen zu wollen.

*Bettina Achilles ist Bürgervertreterin im Projektbeirat ‚Östlich Grunaer Bucht‘ und Sprecherin der Naturschutzallianz für die NABU Ortsgruppe Störmthaler See

Frank Beutner war Bürgervertreter in der Lenkungsgruppe zum Bürgerbeteiligungsprojekt „Magdeborner Halbinsel‘ und ist Sprecher der Naturschutzallianz für Uferleben Störmthaler See e. V.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar