Warum einfach, wenn es kompliziert geht? Das gilt in Deutschland nach wie vor. Da wird jahrelang an einzelnen Paragraphen im Sozialgesetzbuch herumgedoktert, um alle gedanklichen Purzelbäume von Politikern zu berücksichtigen. Und am Ende schießt die Bürokratie ins Kraut. Selbst bei einem simplen Thema wie der Krankenversorgung für Asylbewerber.

Dazu hatten die Grünen einen Antrag im Landtag gestellt: der Freistaat Sachsen möge bitte mit den Krankenkassen einen Vertrag schließen, damit sächsische Asylbewerber eine Gesundheitskarte bekommen. Damit wäre die jetzt installierte Ämter- und Instanzenlauferei beendet. Das Ganze könnte deutlich preiswerter werden.

Aber die sächsische Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) hat kurz ins Sozialgesetzbuch geschaut, wo in § 264 steht, dass das nicht geht. Nur die Hilfeträger könnten solche Verträge abschließen, und das seien nun einmal die Kommunen, die die Asylsuchenden aufgenommen haben.

So schön kann Bürokratie sein.

Womit der Ball nun wieder im Leipziger Spielfeld liegt. Denn Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) hat einem Vorstoß der Leipziger Grünen schon schriftlich zugestimmt, aber betont, er müsse erst einmal abwarten, wie sich die Staatsregierung positioniert.

Das hat nun die zuständige Sozialministerin getan. Obwohl Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, die Auskunft von Barbara Klepsch mehr als diskutabel findet.

“Die ablehnende Haltung der Ministerin und damit der CDU/SPD-Koalition ist für mich absolut unverständlich und angesichts der auf der Hand liegenden Vorteile der Gesundheitskarte in keinster Weise nachvollziehbar”, sagt Petra Zais, nachdem sie die 3-Seiten-Stellungnahme der Ministerin gelesen hat. Eigentlich ist sie sogar richtig sauer, weil die Ministerin auch noch die bestehenden gesetzlichen Regelungen, die Asylbewerbern nur eine deutlich geringere Krankenbehandlung zugestehen als normalen Kassenpatienten, einfach festschreiben möchte. “Zum einen wird der von uns vorgeschlagene Weg abgelehnt, sich für eine entsprechende landesweite Vereinbarung zwischen den Kommunen und Krankenkassen einzusetzen. Gleichzeitig behauptet die Ministerin, sich für ein erleichtertes Verwaltungsverfahren für den Zugang zu medizinisch erforderlichen Leistungen engagieren zu wollen. Was konkret passieren soll, scheint sie selbst nicht zu wissen.”

Und dann noch der bürokratische Graben, der Asylsuchende einfach mal zu Menschen mit geringerem Behandlungsbedarf erklärt: Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährt Asylsuchenden zu Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland nur eine medizinische Notversorgung (akute Erkrankung und Schmerzzustände). Diese wird – das kritisieren die Grünen besonders – im Freistaat Sachsen über ein aufwendiges, bürokratisches und diskriminierendes Verfahren sichergestellt: Asylsuchende müssen, bevor sie zur Ärztin oder zum Arzt gehen, beim Sozialamt einen ‘Krankenschein’ beantragen. Sozialämter gibt es aber nur in größeren Orten. Die Entscheidung über die Bewilligung des Krankenscheines trifft in aller Regel eine Person, die nicht über medizinische Fachkenntnisse verfügt.

Aber genau hinter dieser bürokratisch formulierten Ungleichbehandlung hat sich Barbara Klepsch verbarrikadiert: “Da sich der Leistungsanspruch von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach den §§ 4,6 AsylbLG grundsätzlich nur auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt, weicht der Anspruch von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern von der in § 264 Absatz 1 genannten ‘Krankenbehandlung’ ab.”

Sie sind also per Gesetz schlechter gestellt, also stünde ihnen eine Gesundheitskarte, die einen normalen Leistungsumfang sichert, eben nicht zu.

Nennt man das noch bürokratisch oder doch besser perfide? Erst recht vor dem Hintergrund, dass viele Asylsuchende traumatisiert sind und eigentlich dringend psychologische Hilfe bräuchten?

Gemäß den von Barabara Klepsch zitierten Paragrafen 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt sich der Leistungsanspruch von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern grundsätzlich nur auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Ziel der Therapie ist dabei nicht die Heilung, sondern lediglich die Linderung der Symptome. Wohl nach dem Motto: Wenn der Schmerz gelindert ist, ist das Gastland seiner Fürsorgepflicht enthoben. Was ist das für eine Gastfreundschaft?

In Bremen geht man aus gutem Grund längst einen anderen Weg.

Die Sozialbehörde der Freien Hansestadt Bremen hat schon 2005 zusammen mit der AOK ein patientenfreundlicheres Verfahren eingeführt, in dem sie an Asylbewerberinnen und Asylbewerber eine digitale Krankenkassenkarte ausgibt, welche den Bezug von Leistungen einer zumindest eingeschränkten Grundversorgung ermöglicht. Die Hürde einer vorherigen Antragstellung beim Sozialamt wurde damit abgeschafft. Dadurch gibt sie den Betroffenen und dem medizinischen Personal Sicherheit über die Kostenübernahme. Außerdem wird das Personal in den Sozialämtern erheblich entlastet. Die Rechtsgrundlage dafür bildet Paragraf 264 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V). 2012 wurde ein ähnliches Verfahren auch in Hamburg eingeführt. Vorteil: Es sind Stadtstaaten und damit auch Träger der Asylunterbringung.

Wenn Sachsens Regierung keinen Anlass sieht, überhaupt tätig zu werden, bleiben nur die Kommunen, die solche Verträge mit den Kassen abschließen können. Die alte Handhabe jedenfalls ist bei steigenden Asylbewerberzahlen erst recht ein Unding.

“Der hohe bürokratische Aufwand für medizinische Leistungen ist nicht länger hinnehmbar. Die derzeitige Praxis erschwert die notwendige medizinische Versorgung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, beansprucht unnötig Ressourcen in den Sozialämtern, die sicher besser eingesetzt werden können und sorgt für eine höchst unterschiedliche Gewährungspraxis im Freistaat”, benennt Petra Zais den jetzt schon in Sachsen bestehenden Flickenteppich, den zu vereinheitlichen die sächsische Regierung augenscheinlich keinen Anlass sieht. “Ich hoffe, dass die Ministerin durch die Sachverständigenanhörung am 18. Mai zum Antrag ihre ablehnende Haltung aufgibt. Bremen und Hamburg zeigen seit Jahren, dass die Gesundheitsversorgung für Asylsuchende menschlicher gestaltet werden kann.”

Und ganz so unmöglich ist der Weg zu einer landeseinheitlichen Gesundheitskarte nicht. Erst Ende November 2014 haben sich die Länder im Bundesrat geeinigt, dass die Bundesländer die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen können. Aber da war Sachsens Regierung augenscheinlich völlig mit der Rettung der Kohlekraftwerke beschäftigt und man hatte gar keinen Sinn für so einen sinnvollen Vorstoß.

“Eine weitere Forderung unseres Antrags ist, Asylbewerberinnen und Asylbewerbern einen unbeschränkten Zugang zum deutschen Gesundheitssystem zu ermöglichen. Auch davon will die Ministerin nichts wissen”, zieht Petra Zais die Summe dessen, was sie aus der Antwort der Sozialministerin herausgelesen hat.

Stellungnahme der Sozialministerin zum Grünen-Antrag. (PDF)

Das Leistungspaket der Gesundheitskarte in Bremen. (PDF)

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar