Bis zum Zerfall des Ostblocks war Kuba ein sozialistischer Bruderstaat der DDR, die DDR-Medien berichteten regelmäßig über den Inselstaat. Doch mit den Veränderungen in der politischen Welt um 1990 rückte das Land immer weiter aus dem deutschen Fokus. Mittlerweile sind es vor allem Klischees, mit denen sich viele ihr Bild von Kuba zusammengebaut haben.

Christine Müller von der evangelischen Landeskirche reist seit 1994 in dieses Land, das in gewissen Punkten ganz anders ist, als viele denken, das aber auch Gefahr läuft, wieder so zu werden …

Die Arbeitsstelle Eine Welt der evangelischen Landeskirche Sachsen steht außerhalb des medialen Fokus, der sich beim Thema Kirche und Glauben in den letzten Jahren sowieso immer weiter verengt hat. Dabei wird in dieser Arbeitsstelle durchaus wegweisende Arbeit verrichtet. “Die Arbeitsstelle ist eine Fach- und Service-Stelle der Landeskirche für die Themen der weltweiten Gerechtigkeit und der christlichen Weltverantwortung. Das Ziel der Arbeit ist es, sowohl in Kirchgemeinden und Gruppen als auch in kirchlichen Institutionen bis hin zu Entscheidungsgremien der Landeskirche das Bewusstsein für die weltweite Gerechtigkeit zu schärfen”, heißt es auf der Internetseite.

Christine Müller ist momentan quasi diese Arbeitsstelle Eine Welt, beschäftigt sich mit verschiedenen Ländern, politischen und wirtschaftlichen Systemen. Kuba hat es ihr besonders angetan, seit 1994 reist sie regelmäßig zu Bildungszwecken nach Lateinamerika, kennt die Verhältnisse in Kuba also seit einer Zeit, in der sich die wenigsten Menschen aus der ehemaligen DDR noch für dieses Land interessierten. Mit dem Kapitalismus riss die deutsche Verbindung zu Kuba ab, was dem Land der Zigarren deutlich mehr wehtat als Deutschland. Mittlerweile ist das deutsche Bild von Kuba vielfach nur noch ein Bündel von Klischees. Ist an denen überhaupt etwas Wahres dran und wie sind die Verhältnisse in diesem Land überhaupt? Christine Müller war jetzt im März wieder dort und ließ L-IZ.de an ihren Erfahrungen und Gedanken teilhaben.Frau Müller, seit mittlerweile 18 Jahren reisen Sie regelmäßig nach Kuba. Woher rührt dieses Verlangen?

Kuba hat mein Interesse schon vor langer Zeit geweckt. Mich interessiert vor allem, wie dieses System funktioniert. Mein Interesse galt schon immer alternativen Gesellschaftsformen. Ich bin Sympathisantin der Attac-Bewegung, die behauptet, “eine andere Welt ist möglich”. In Kuba wird eine Alternative versucht und ich finde es spannend, das zu verfolgen. Ein Blick auf Kuba hilft, die Gedanken darüber kreisen zu lassen, wie wir leben wollen. Mich interessiert natürlich auch, welche Rolle die Kirche in diesem Land spielt. Ich kenne das Konzept der Kirche im Sozialismus aus der DDR, aber wie definiert sich Kirche in Kuba?

Kennen Sie mittlerweile die Antwort?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass der protestantischen Kirche nur acht bis zehn Prozent der Bevölkerung angehören. Das ist eine kleine Minderheit, die keine bedeutende Rolle spielt. Ein Teil dieser Minderheit ist allerdings der Überzeugung, dass eine Alternative zum Kapitalismus geschaffen werden muss.

Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hatte Kontakte zu Kirchenräten in sozialistischen Ländern, wie z.B. Vietnam, Mocambique und eben auch Kuba. Die EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) wollte diesen Kontakt nach der Wende zunächst nicht weiterführen. Es gab zahlreiche Initiativen, die ihn wieder aufnahmen.Wie ist die Lage der Katholiken in Kuba?

Nach offiziellen Zahlen gehören ca. 50 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an, die lange auf Konfrontationskurs mit dem Regime gewesen ist. Doch diese Prozentzahl ist aus meiner Sicht deutlich überhöht, denn viele der angeblichen Katholiken praktizieren auch die afroamerikanische Religion Santeria. Der Besuch von Papst Johannes Paul II. im März brachte eine weitere Annäherung zwischen katholischer Kirche und Staat, mittlerweile heißt es, der Staat brauche die katholische Kirche.

Inwiefern?

Einige Alters- und Pflegeheime sind in katholischer Trägerschaft und die braucht der Staat anscheinend, um die sozialen Leistungen abzufedern.

In Deutschland sind seit der Wende sozialistische Staaten nicht die populärsten. Das Interesse an Kuba ist abgeflaut. Wie geht es den Menschen in Kuba heute?

Seit meiner ersten Reise 1994 hat sich Vieles verändert, Gebäude konnten restauriert werden, durch die Öffnung der Wirtschaft gibt es seit einiger Zeit auch zahlreiche Privatgeschäfte. Es hat die größte Landverteilung in der Geschichte Kubas stattgefunden, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Wir konnten das auf den Märkten sehen. Doch durch die Öffnung sind wieder Klassen entstanden, denn seitdem gibt es in Kuba nicht nur die kubanischen Pesos, sondern auch sogenannte CUCs, eine Art Forumschecks. Der kubanische Peso ist als Währung auf dem Weltmarkt nicht anerkannt. Die CUCs sind eine Möglichkeit für den kubanischen Staat, konvertierbare Währungen wie den Dollar oder Euro ins Land zu holen und sie sofort zur Verfügung zu haben, um internationale Geschäfte abwickeln zu können. Wer Zugang zu CUCs hat, führt derzeit ein angenehmeres Leben.

Bisher waren die Menschen in Kuba relativ gut sozial abgesichert, Bildungs- und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Die Lebenserwartung ist mittlerweile so hoch wie im Westen. Darauf ist man zu Recht stolz. Der Staat hat immer noch den Anspruch, die Sozialstandards zu halten. Aber es fehlt das Geld. So sucht der kubanische Staat nach Möglichkeiten, die Lücken im sozialen Netz zu schließen. So werden auch Hoffnungen in die Kirchen gesetzt. Kein Wunder also, dass der Papst so positiv von Kuba empfangen wurde. Man sucht den Schulterschluss und das ist sicher nicht ungefährlich.Warum?

Es wird vermutlich Folgen für die Familienplanungen im Land haben. Kubanische Frauen sind auf dem westlichen Bildungsniveau, sie bekommen so viele Kinder wie deutsche Frauen, also durchschnittlich 1,4. Das ist in Lateinamerika und den sogenannten Entwicklungsländern eine absolute Leistung. Bei einem engen Schulterschluss fürchte ich, dass Schwangerschaftsunterbrechungen verboten werden und Verhütungsmittel nicht mehr kostenlos sind. In Nicaragua, wo es diesen Schulterschluss gab, ist genau dies eingetreten.

Kuba bedeutet vor allem: die Castros. Sind Nachfolger für die betagten Herren in Sicht?

Momentan nicht. Auch wenn Fidel, der mittlerweile 85 ist, nicht mehr öffentlich auftritt, so beeinflusst er die öffentliche Meinung weiter durch Artikel in der größten Zeitung des Landes namens “Granma”. Er scheint die komplette Öffnung Kubas derzeit zu verhindern. Und er hat sehr, sehr viele Anhänger. Sein Bruder Rául leitet die Amtsgeschäfte, er ist aber auch schon 80 Jahre alt. Über einen Nachfolger für die beiden wird öffentlich nicht geredet.

Im März sind Sie mit acht Frauen nach Kuba gereist. Was haben Sie erlebt?

Es war wirklich eine Bildungsreise für Frauen. Wir haben uns die Lebenswelt der kubanischen Frauen genauer angesehen und waren sehr beeindruckt, wie wichtig der internationale Frauentag in Kuba noch ist. Schon am Tag wurde allen Frauen gratuliert, uns natürlich auch. In Havanna wurde auf öffentlichen Plätzen gefeiert. Gesetzlich sind die Frauen seit einigen Jahrzehnten mit den Männern gleichgestellt und fast so wie in der DDR sind die allermeisten auch im Berufsleben. Die Doppelbelastung von Familie und Beruf nehmen viele auf sich, wobei man aber auch sagen muss, dass es doch einen Unterschied zwischen dem gibt, was das Gesetz regelt und wie es den Frauen geht. Das sind die Mühen der Ebene. Vor allem im privaten Bereich muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das ist wie bei uns auch.

Wie wurden Sie als Deutsche in Kuba wahrgenommen?

Interessanterweise hat die Transformation in der ehemaligen DDR in den Diskussionen mit den Kubanern in den letzten zwanzig Jahren keine Rolle gespielt. Erst auf dieser Reise wurden wir vermehrt darauf angesprochen und zu unseren Wende-Erfahrungen befragt. Davon zu erzählen, hatten wir die letzten Jahre bereits aufgegeben. Mittlerweile wird auch schon von der Transformation der kubanischen Gesellschaft gesprochen. Wohin die Reise gehen wird, bleibt abzuwarten. Unsere Partner sind optimistisch. Sie sehen in der Öffnung der Gesellschaft Chancen für mehr Beteiligungsmöglichkeiten, eine gerechte Gesellschaft zu gestalten. Unseren Pessimismus, der aus den vertanen Chancen in der Wendezeit resultiert, teilen sie nicht.

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