Protzig stehen sie da, und ein Hauch Romantik umgeistert ihre Zinnen, Tore, Bäume und Parks von Schlössern, Burgen und Herrenhäusern, selbst dann noch, wenn sie längst verlassen sind. Manches Haus zeigt neuen Putz, frische Farbe, ausgebesserte Details an Skulpturen, Fenstern und Fassaden. Glück haben sie gehabt, diese alten Bauten, wenn sich jemand um sie kümmert.

Manche Tore sind verschlossen, Schilder warnen vor wachenden Hunden. Anderswo sind Besucher willkommen und schauen sich um (wie L-IZ.de), staunen oder lassen sogar ihre Fantasie spielen…

Kleine Leute spielen auf einem Burgberg an der Mulde die Hauptrollen, ganz kleine Leute. Zwerge, so klein, wie sie große Geheimnisse um sich machen. Sie sollen durch Schlüssellöcher und Ritzen in den Türen in Säle eines Schlosses eingedrungen sein. Sie wollten feiern! Hochzeit! Reist man nach Eilenburg ist überhaupt nicht garantiert, dass man die Zwerge lebendig und bei der Arbeit zu Gesicht bekommt. Ein Grund mehr, um nach ihnen Ausschau zu halten.

Zwar mischen sich hier die Architekturstile und Materialien, aber das Burgtor ist nicht zu übersehen. Karsten Pietsch
Zwar mischen sich hier die Architekturstile und Materialien, aber das Burgtor ist nicht zu übersehen. Karsten Pietsch

Heute zählt die Stadt an einem der raren Berge in Nordsachsen 16.000 Einwohner, sie wurde zu einem sogenannten Mittelzentrum degradiert. Einst galt der Ort als „die Wiege“ Sachsens, wie es in der Literatur poetisch geschrieben steht. Später hätte man gesagt Boom-Town, Denkfabrik, Think Tank oder Pow Wow an der Mulde!

Es gab also schon früher hier eine Residenz, auf dem hochgelegenen ovalen Plateau von rund 220 mal 150 Metern, einen Zufluchtsort oder gar Militärstützpunkt namens Eilenburg. Als 1089 der sächsische Territorialstaat begründet wurde, hat der Kaiser hier eben jenen Heinrich I., genannt der Ältere, mit der Mark Meißen belehnt. Da war er, geboren um 1070 im Adelsgeschlecht der Wettiner, gestorben 1103, schon acht Jahre Markgraf der Lausitz. Verehelicht war er mit Gertrud der Jüngeren von Braunschweig, der Tochter des Markgrafen Ekbert I von Meißen.

Unter den Porträts des Fürstenzuges in der Dresdner Augustenstraße an der Fassade des Stallhofes finden wir diesen Heinrich leider nicht, denn die Ahnengalerie beginnt bedauerlicherweise erst mit den ab 1127 herrschenden Markgrafen. Als ob es nicht schon früher losgegangen wäre…

Ging es nicht sogar schon früher los? Historiker sahen am hoch über der Mulde gelegenen Sporn einen Graben, der mutmaßlich von Menschen ausgehoben wurde, um die Burg zu schützen. Graben und Wallteile stammen vermutlich aus frühgeschichtlicher slawischer Zeit.

Als ältestes Bauwerk wurde der Sorbenturm angesehen, auch eine Ringmauer aus Backsteinen dürfte so alt sein. Das was man heute da sieht, entstand später. Aber, aha, die Mauer ist immer noch da!

Umleitung an der Via Regia

„Im frühen 10. Jahrhundert gegründete Burg … im Schutz der Burg planmäßige Stadtanlage in Gitterform … an der Via Regia“, heißt es in der Literatur. Denn diese bedeutende Handelsstraße führte von Leipzig auf drei Wegen Richtung Osten, was mit den Überquerungen der Mulde zu tun hat: Grimma, Wurzen und Eilenburg. Dienten diese Varianten vielleicht auch als Stau-Umleitungen oder Entlastungen? Oder boten sie Fluchtmöglichkeiten bei Gefahr von Pest und anderen Seuchen?

Von der besagten Eilenburger Residenz, Schloss und Burg sind seit dem 17. Jahrhundert nur noch einzelne Bauten erhalten. Und sie sind zu unterschiedlichen Zeiten wieder repariert und ergänzt worden. Da müssen wieder andere Heinzelmännchen im Spiel gewesen sein, wie der Eilenburger Burgverein, der sich Erhaltung, Wiederherstellung und Nutzung auf die Fahnen geschrieben hatte. Bei der Herberge für Wanderer zu Fuß und per Rad suchte man schon längst Betreiber und Pächter. Vor ein paar Monaten war der Burgberg noch von Arbeitern mit Baggern und Schaufeln aufgewühlt worden und Archäologen sind den Mauern des alten Schlosses nahe gekommen, die sie nun gern erhalten wollen. Wo sonst sollen die sagenhaften, kleinen Leute denn sonst ihre Hochzeit gefeiert haben…

Suche nach dem alten Schloss und dem Saal der legendären Hochzeitsfeier? Im Sommer 2015 arbeiteten Archäologen und Tiefbauarbeiter an der Fertigstellung der Herberge. Foto: Karsten Pietsch
Suche nach dem alten Schloss und dem Saal der legendären Hochzeitsfeier? Im Sommer 2015 arbeiteten Archäologen und Tiefbauarbeiter an der Fertigstellung der Herberge. Foto: Karsten Pietsch

Hochzeit der Heinzelmännchen

Was da geschah, wissen die Brüder Grimm zu berichten, und ebenso Johann Wolfgang Goethe in seinem „Hochzeitslied“. Ein kleines Volk wollte Hochzeit halten und ein Fest feiern, durfte aber dabei von Menschen nicht beobachtet werden. Mit den Eilenburger Grafen wurde man zwar einig, doch die Neugier der Menschen siegte. Nach der Feier hinterließen die Hochzeitsgäste auch einen Fluch: Es sollten immer nur sechs der Grafen auf der Burg leben. Ehe der siebente geboren wurde, musste erst einer sterben. Ein eigensinniger Weg, Macht und Herrschaft zu begrenzen! Legislaturperioden und Amtszeiten für Geschäftsführer-, Aufsichts- und andere Räte schienen noch nicht erfunden gewesen zu sein.

Freilich gibt es andere Heinzelmännchen-Überlieferungen, gar aus Köln, doch, gottlob, von Heinzelmännchen sollte man an vielen Orten reden können, Geheimnisse der unsichtbaren Welt dürfen Rätsel bleiben!

Johann Wolfgang Goethe war 1765 als Student nach Leipzig gekommen, soll auch mit Eilenburgern zu tun gehabt haben, erzählt Andreas Flegel, der Chef des Museums und des Stadtarchivs. War da was mit einem Brief an einen Pfarrer, womöglich sogar einer besuchten Pfarrerstochter? Andreas Flegel bezieht sich geschickt auf die „örtliche Überlieferung“. Ein Begriff, den Goethe mit seinen „Faust“-Fakten, teuflischen Sachverhalten und Tathergängen nicht besser hätte erfinden können.

Wichte aus der unsichtbaren Welt waren es nicht, die sich 1522 auf dem Burgberg eingefunden hatten um mitzuerleben, was ein Historiker später so beschreibt: „um einer stark besuchten illegalen reformatorischen Predigt“ beizuwohnen. 200 Personen sollen teilgenommen haben, sogar kurfürstliche Beamte!“

15 Jahre Heinzelmännchen-Brunnen

Ein Marktbrunnen sprudelte in Eilenburg seit 1712 mit einer Neptunfigur, 140 Jahre lang bewachte der Meeresgott den Marktplatz in gehöriger Entfernung von der Mulde, doch durchaus mit Erfahrungen von Hochwasser. Schon 1573 führten starke Regengüsse im Vogtland zu Hochwasser in Leipzig und auch in Eilenburg.

Der Heinzelmännchenbrunnen auf dem Markt. Foto: Karsten Pietsch
Der Heinzelmännchenbrunnen auf dem Markt. Foto: Karsten Pietsch

In der Muldenflut von 2002 wurde die Stadt ebenfalls unter Wasser gesetzt. Eilenburgs Hochwasser 2002, die Schäden und die Mühen, die Stadt wieder zu trocknen, hatten damals weniger Medien-Aufmerksamkeit als Bad Schandau, Dresden, Döbeln oder Grimma.

Eilenburgs Heinzelmännchen-Brunnen sprudelt seit Oktober 2000, gestaltet von Michael Weihe aus Brehna. Heinz Elmann als lebendiges, herumlaufendes aber auch im kleinen Format käufliches Maskottchen kam später erst zur Brunnenfigur hinzu.

Einem Mittelalterspektakel mit dem sogenannten Reginenfest lokalen Bezug und historischen Hintergrund zu geben, ist auch als Tat von Heinzelmännchen zu verstehen! War das Fest doch lange vergessen, tat es Not zu erinnern, dass im Dreißigjährigen Krieg Martin Rinckart, Eilenburger Geistlicher und Chronist, zum dreitägigen Fest rief! Denn die Sachsen kämpften, wenigstens eine kurze Zeit der großen Geschichte, mit vereinten Kräften der Schweden von König Gustav II. Adolf gegen die Kaiserlichen Truppen.

Räte der kleinen Leute in großer Wirtschaft

Und was die „kleinen Leute betrifft“, so vermerkt Eilenburgs Stadtgeschichte, dass eben in Eilenburg der Fabrikant Carl Degenkolb die ersten Betriebsräte in Deutschland einführte. Mit Genossenschaften hatte man es nicht nur bei Hermann Schulze-Delitzsch in dem Ort, nach dem er sich benannte, sondern Eilenburgs Arzt Anton Bernhardi und seine Eilenburger Mitstreiter gründeten 1849 mit der Lebensmittelassociation die erste Konsumgenossenschaft und ein Jahr danach den Eilenburger Darlehenskassenverein als Kreditgenossenschaft. Sparsamkeit als Tugend der Sachsen hat Wurzeln und Institutionen an der Mulde in Eilenburg.

Verkehrszeichen

Von Eilenburg nach Taucha drei und eine Viertelstunde, nach Leipzig fünf und eine Viertelstunde, nach Johanngeorgenstadt 31 Stunden, nach Carlsbad 39 Stunden. So steht es an der alten Postdistanzsäule auf dem Leipziger Platz.

1724 hatte Sachsens Regent die Strecken vermessen und diese Art von Routenplaner und Wegweiser aufstellen lassen. So alt ist die Säule in Eilenburg aber gar nicht, denn ein beherztes Extra-Team aus Museumsleuten und Hobby-Historikern sammelte Geld bei älteren Eilenburgern und jungen aufstrebenden Sponsoren.

Zwar gibt es das Leipziger Tor längst nicht mehr, aber heutigen Eilenburger Heinzelmännchen ist es zu verdanken, dass noch einmal eine königlich-sächsische Postdistanzsäule angefertigt wurde. Foto: Karsten Pietsch
Zwar gibt es das Leipziger Tor längst nicht mehr, aber heutigen Eilenburger Heinzelmännchen ist es zu verdanken, dass noch einmal eine königlich-sächsische Postdistanzsäule angefertigt wurde. Foto: Karsten Pietsch

Zur selben Zeit tat man sich in Leipzig noch schwer mit einem Freiheits- und Einheitsdenkmal. In Eilenburg fragte man Handwerker an, suchte in Schwarmintelligenz Archive ab, um die originale Beschriftung zu erfahren. Kaum ein, zwei Jahre vergingen von der Idee über die Geldsammlung, die Handwerksarbeiten bis zur Einweihung. Höchstpersönlich kam Seine Majestät in der Kutsche angereist! Aus sächsischer Sicht hätte der Begriff Willkommenskultur gar nicht neu erfunden werden müssen.

Vorm Eilenburger Stadtmuseum sind, zur besseren Orientierung, die Handelsstraßen-Verläufe ins Straßenpflaster eingepuzzelt worden. So klein ist die Welt, so fand man sich früher zurecht. Wer nicht weiter wusste, fragte den Nächsten. Was müssen die Fuhrleute dereinst geschwatzt haben, wenn sie – im Stau – auf den Straßen der Händler und des Militärs – neben ihren Fuhrwerken nah beieinander waren, vor Brücken und Fähren warteten, oder sich abends in Wirtshaus und Herberge trafen. Da lag vielleicht gerade der Berg aus Leipziger Richtung hinunter nach Eilenburg noch vor ihnen, oder sie hatten ihn gerade bewältigt.

Heute führt zwar eine schöne, große, breite Piste um Eilenburg herum, aber eine Bundesautobahn, gar Handelsweg europäischer Dimension Richtung Görlitz, Breslau, Kiew, Nowgorod ist es – noch – nicht geworden!

Vorsicht!

Eilenburg, heute würde man sagen Eilenburgs City, liegt auf der Muldeninsel. Dort spukt der Teufel! Investigative Bücher- und Zeitungsschreiber meinen zwar, einem Tierbändiger aus Leipzig sei ein Affe entlaufen und habe dann Eilenburger Bürger erschreckt, worauf hin der Affe auch wieder eingefangen wurde. Dieselben Schreiberlinge meinen aber vorsichtshalber: Ein Eichenwäldchen auf eben jener Muldeninsel hieße noch immer „Teufelswinkel“.

Das Heinzelmännchen im Marktbrunnen. Foto: Karsten Pietsch
Das Heinzelmännchen im Marktbrunnen. Foto: Karsten Pietsch

Und noch eine Geschichte! Auf dem Burgberg „zur Abendseite hin“, also westwärts, würde in einem sogenannten Funkenhäuschen ein kleines Männlein leben, das Fuhrwerken und Fuhrleuten beim Erklimmen des Berges mehr oder weniger hilfreich sein kann. Je nach dem, wie man es behandelt. Mehr wird hier auch nicht verraten. Vorsichtshalber steht diese Art von Arbeitsschutz- und Verkehrssicherheitsbelehrung sogar auf der offiziellen Eilenburger Website! Mann kann ja nie wissen…

Extras

Eilenburgs Stadtmuseum informiert nicht nur über Burg, Schloss und Heinzelmännchen und andere Fakten aus ganz alter, älterer, jüngerer Geschichte mit zukunftsträchtigen Themen! Im historischen Schulzimmer aus guter alter Zeit versammeln sich öfters jüngere und ältere Schulklassen, um vom Schulmeister den letzten Schliff zu bekommen!  Für unerschrockene Interessenten gibt es regelmäßig eine „Sonntagsschule“ mit einmaligen Unterrichtsstunden.

Auf dem Burgareal findet an einem Wochenende um den 20. August herum das Eilenburger Reginenfest statt. Beim Mittelalterspektakel mit Ritterlager, Märchenerzählern, Komödianten, Feuershow, Handwerk und Handel, Speise und Trank wird an Krieg und Frieden und Glück für Eilenburg und den Kampf um die Glaubensfreiheit von 1631 erinnert.

Wann? Wie? Wohin? Weiter?

Auf dem Mulderadweg kann man 87 Kilometer unterwegs sein auf der Strecke Grimma, Trebsen, Planitzwald in Bennewitz, Wurzen, Thallwitz, Eilenburg, Bad Düben, Löbnitz, Muldenstein. Markierung: Grüne Burg auf weißem Grund.

Auf dem Mulderadweg von Grimma bis Muldenstein hat man in der Sommersaison zwei Mal die Möglichkeit zum Übersetzen und Weiterfahren am anderen Ufer: in Schmölen und in Gruna. In Eilenburg findet rund um die Nikolaikirche, gleich neben Heinzelmännchen-Brunnen und Rathaus, vom 4. bis zum 6. Dezember 2015 der Weihnachtsmarkt statt.

An den ersten drei Adventssonntagen zeigt im Mauerturm die Malerin Irene Meissner ihre Gemälde in der Ausstellung des Burgvereins. Eine neue Weihnachts-Dekorations-Kugel mit der Darstellung des Torhauses dem Eingang zum Burgberg von Petra Hirschberger wird zum Kauf angeboten.

Der Sorbenturm ist von Anfang Mai bis Ende September geöffnet und kann nur dann erklommen werden.

Stadtmuseum Eilenburg, Torgauer Straße 40, Eingang Hirschgasse. Tel. (03423) 652222, museum@eilenburg.de
Dienstag-Freitag 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr,
Sonntag: 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr.
Montag und Sonnabend geschlossen.

Blicke ins All –  und „Glück auf!“ im Burgberg

Eilenburg besichtigen heißt, dass man hier auch nach unten und nach oben gucken kann:  – ins All, in UNENDLICHEN GESCHICHTEN:
Sternwarte und Planetarium
www.sternwarte-nordsachsen.de
eilenburg@sternwarte-nordsachsen.de
Im Programm u. a. am 28.11.2015, 10:00 Uhr „Der Stern von Bethlehem“.

Öffnungszeiten der Gänge in die Eilenburger Unterwelt:
28. November 2015, 09:00 Uhr und 10:30 Uhr, 19. Dezember 2015, 09:00 Uhr und 10:30 Uhr
Sowie für Gruppen ab 10 Personen nach Anmeldung. Dauer ca. eine Stunde. Festes Schuhwerk ist erforderlich, Taschenlampen werden empfohlen. Achtung! Die Temperatur in den Kellern beträgt 8 Grad Celsius.

Wo nachlesen? Wo weiterlesen?
Schlag nach bei Goethe! „Hochzeitslied“
Schlag nach bei den Brüdern Grimm: Stichwort Heinzelmännchen

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