Und siehe da, der Schatten senkte sich und es ward kalte Nacht in Deutschen Landen. Die Menschen wussten nicht wohin und schauten in alle Himmelsrichtungen, die ihnen ihre Weisen wiesen. So sahen sie gen Griechenland, gen Italien, gen Spanien, gen Amerika und zitterten und barmten. Lieber Markt, sei gnädig und lass uns doch das letzte Hemd. Doch der Markt grollte und schickte Furcht und Verderben aus: "Entwertet sei Euer Tun und hilflos Streben. Und jetzt her mit den Klamotten!"

Da begannen die Priester der Menschen zu singen und zu tanzen, um den Markt zu befrieden. Viele Jahre und einen Tag tanzten sie ohn Unterlass und gaben dem Markt ungeheuerliches Manna, da er danach verlangte. Doch im Volke regte sich Unmut, wo die ehedem fette Speisung karger wurde und die Tage länger.

Da zeigte sich endlich der Prophet namens Moody auf einem Berg und brachte schröcklich Kunde vom allgewaltigen Markt. “Zahlen werdet ihr”, hatte der brennende Busch gesprochen, so der Verkünder. “Und Euch dem Markte wieder unterwürfig zeigen, wie in der guten alten Zeit. Gefrevelt am Willen des Marktes habet ihr, gierig Volk – von Eigennutz und Maßlosigkeit getrieben, seid dem Erdloch ihr entkrochen, Euch die Welt untertan zu machen. Zahlen werdet ihr einen Zehnt an den Markt.”. So rief der Moody aus dem fernen Land. Und zeigte zum Belege sogleich einen Quittungsblock in das weite Rund großer Augen, um die ersten Eingänge zu zählen und zu werten.

Da ging ein Raunen durch das herbei geeilte Volk und so manch trutzig Mann brach in Tränen aus, während die Frauen ihre Tücher schreiend in den Himmel reckten. Und die Priester begannen wieder zu tanzen und zu singen.

Doch der Markt kannte kein Erbarmen und nahm den Zehnt noch von den Ärmsten. Und so gingen die Jahre ins Land, welches verdorrte und verging im Frondienst an den Allgewaltigen. Die Menschen waren eilig, die Herzen bang und auch an Sonntagen fanden sie keine Ruhe mehr. Familien zerbrachen, in immer größeren Kolonien ballten sich die Erbarmungswürdigen, in Elend und Verblödung vereint, schickten sie sich eilfertige Mitteilungen wie “Ich gehe nun zu Bett” in den neuen blauen Heimstätten voller Ablenkung.

Das sah der Markt gern, denn alsbald waren ihm die Menschen in Verzweiflung ergeben. Und so nahm er ihr Land, ihre Würde und am Ende alles Hab und Gut – erst bei den Nachbarn, dann das ihre. Der Zehnt floss in Strömen und ein Mantra des Marktes wurde als Hoffnung für die wenigen Starken unverstandene Religion: “Zeig uns den Weg, die Schulden und den Zins zu beherrschen und wir regieren die Welt”. Und eben jene Jünger schleppten sich blutarm tagtäglich vor den Altar ihres Gottes und entrichteten Anal Ysen und ein Hossianna auf Börsenenglisch.

Doch die Welt war längst nur noch die des Marktes, frei von Mensch und Tier und die Beherrschung des eigenen Selbst längstens verloren. Stets gespeist von der Gier der Jünger und Apostel.

Erneut vergingen Jahre voller Dumpfheit, mit angefüllter Hast eines kurzen Atems getriebener Tiere und kreisender Unterhaltungsdebatten. An allen Orten wandelten der Prophet Moody und seine morgenländischen Brüder Poor und Fitch – längst den Heiligen gleich auf jenen Rosen, die der Markt vom Himmel warf.

Und die Priester sangen bis zum jüngsten Tag. Bis zu eben jenem Tag, an dem der Demos auferstand und ihnen eine Frage stellte: Und, was habt ihr getan, als wir noch folgsam wachten? Wem gabt ihr Euer Herz, wenn nicht uns? Wer hat gemacht, dass die Kinder schreien vor Krankheit und Alte flüchten aus dem Licht?

Doch der Markt gab den Priestern keine Antwort.

Und was sollen wir tun, der Erde Entrissenes zurück zu tragen?

Doch der Markt gab keine Antwort.

Was sollen wir jetzt tun, wenn die Hast auf einmal endet?

Der Markt schwieg.

Und so waren die Menschen auf sich zurück geworfen. Und erinnerten sich des Tages, als der Busch brannte. Und sahen, dass die Propheten und Priester vor ihnen standen, wie die Natur sie wachsen ließ. Und zündeten sie an – auf den Plätzen, an den Weihern und Straßen, erhängten sie, wie man falsche Propheten höher macht, als sie lebtags waren.

Um nach vollbrachter Tat glücklich und hilflos zu verharren, wie ehedem. Bis die nächsten Propheten ihr Land betraten und sie ihnen folgten. Denn sie waren voller Gier und der Geist war ihnen gering geworden.

Und so begannen die ersten wieder zu tanzen.


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