Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) will Lehrerinnen und Lehrer sowie Lehramtsstudierende noch stärker für die Bedarfe autistischer Menschen sensibilisieren und ausbilden. Hierzu richtet sie eine neue Forschungs- und Vernetzungsstelle ein. Neben neuen Forschungsprojekten auf dem Gebiet soll auch die Kooperation mit anderen internationalen Forschungs- und Vernetzungsstellen vorangetrieben werden. Damit baut die MLU ihr Alleinstellungsmerkmal weiter aus: Hier ist auch die deutschlandweit einzige Professur für Pädagogik im Autismus-Spektrum angesiedelt.

Die Forschungs- und Vernetzungsstelle hat die Aufgabe, Zertifikatskurse für Lehramtsstudierende sowie Weiterbildungsangebote für Referendarinnen und Referendare und bereits berufstätige Lehrkräfte zu entwickeln. Dies geschieht in enger Abstimmung mit dem Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung (LISA). Darüber hinaus sollen Fachtage und Online-Angebote zum Umgang mit autistischen Menschen entwickelt werden. Hinzu kommen Beratungsangebote für Einzelpersonen und Organisationen. Auch mehrere Forschungsvorhaben sollen angebahnt werden.

Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der Menschen in Deutschland autistisch ist. „Der Diagnose lastet häufig noch die negative Konnotation einer Störung an“, sagt Prof. Dr. Christian Lindmeier vom Institut für Rehabilitationspädagogik der MLU. 2Moderne Ansätze gehen dagegen von dem Konzept der Neurodiversität aus. Die Grundidee ist, dass autistische Menschen keine Störung haben, sondern dass sie einfach andere Voraussetzungen mitbringen als die meisten Menschen“, sagt der Forscher weiter.

Autistische Menschen hätten etwa Wahrnehmungsbesonderheiten, mehr oder weniger stark ausgeprägte Interaktions- und Kommunikationsbeeinträchtigungen und in seltenen Fällen die fast schon legendären Spezialinteressen oder -begabungen. „Jeder autistische Mensch ist anders als die anderen. Um dieser Vielfalt der Ausprägungen Rechnung zu tragen, hat sich inzwischen der Begriff des Autismus-Spektrums durchgesetzt“, erklärt Lindmeier.

Es sei wichtig, autistische Menschen relativ früh als solche zu erkennen, so Lindmeier. „Die Diagnose ist relevant für das gesamte Leben eines autistischen Menschen und seiner Familie, denn sie ermöglicht den Zugang zu vielfältigen Unterstützungsleistungen“, sagt er weiter. Dabei komme es sehr stark auf Verhaltensbeobachtungen naher Bezugspersonen an. Neben den Eltern seien das vor allem Lehrkräfte. „Eine pädagogische Perspektive ist daher hoch bedeutsam“, so Lindmeier. Entsprechend müssten Lehramtsstudierende aller Schulformen für das Thema sensibilisiert werden.

Langfristig ist angedacht, eine Beratungs- und Vernetzungsstelle an der MLU zu etablieren, die deutschlandweit und international Akteure aus Wissenschaft, Politik und Praxis miteinander vernetzt und Angebote für diese Gruppen entwickelt. „Aus unserem Alleinstellungsmerkmal in Deutschland resultiert auch eine erhöhte Verpflichtung für das gesamte bundesdeutsche Gebiet. Wir möchten ein Angebot schaffen, das regional und überregional sichtbar ist“, sagt Lindmeier.

An der MLU gibt es bereits ähnliche Angebote, zum Beispiel eine Beratungsstelle zur Unterstützten Kommunikation und zur Hochbegabungsdiagnostik, mit denen Lindmeier künftig eng kooperieren will.

Die Forschungs- und Vernetzungstelle ist zunächst auf zwei Jahre befristet und soll danach möglichst in eine dauerhafte Struktur mit einer Landesförderung überführt werden. Die gemeinnützige „Stiftung Irene“ unterstützt das Vorhaben zu Beginn mit einer Förderung in Höhe von 10.000 Euro.

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