Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 7. bis 9. Dezember 15 öffentliche Rügen ausgesprochen, überwiegend für Verletzungen des Wahrhaftigkeitsgebots, des Opferschutzes und für Schleichwerbung. 

Redaktion bot Kindermörder eine öffentliche Bühne

BILD.DE wurde gerügt für ein Interview mit dem Täter, der vor vier Jahren in Herne einen neunjährigen Jungen und einen Mann getötet hatte. Unter der Schlagzeile „Interview mit einem Kindermörder“ zeigte die Redaktion dessen Selfie mit blutbeschmierter Hand, welches er kurz nach der Tat an einen Freund geschickt hatte.

Die Redaktion verstieß damit gegen Ziffer 11, Richtlinie 11.2 des Pressekodex, wonach die Presse Verbrechern keine Bühne bieten darf.Indem sie dem inhaftierten Mörder im Interview Gelegenheit gab, sich für seine Taten zu rechtfertigen, verstieß die Redaktion zudem gegen Richtlinie 11.5, wonach die Presse keine Verbrecher-Memoiren veröffentlicht.

Anders als die meisten Beschwerdeführer konnten die Mitglieder des Beschwerdeausschusses die Umrisse des Opfers auf dem Täterfoto hingegen nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennen. Die Redaktion hatte die Umrisse zudem später verpixelt. Jedoch sah der Ausschuss in der Abbildung des ebenfalls ermordeten jungen Mannes einen Verstoß gegen den Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex, da offensichtlich keine Einwilligung der Angehörigen in die Veröffentlichung vorlag.

Zwei Rügen für falsche Warnung vor angeblichem Asteroiden-Einschlag

Wegen einer Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex wurden 24HAMBURG.DE und die FRANKFURTER NEUE PRESSE Online gerügt. Beide hatten über einen Asteroiden berichtet, der sich in Richtung Erde bewegt. Die Überschrift des Artikels bei 24HAMBURG.DE lautete: „Schlimmer als Atom-Bombe – Asteroid nimmt Kurs auf Erde: Experten berechnen Einschlag für 2022“.

Im Text hieß es jedoch, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass der Asteroid mit der Erde kollidiert und er voraussichtlich an ihr vorbeifliege. In der Headline sah der Presserat eine grob falsche und irreführende Darstellung. Als ebensolchen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht bewertete der Presserat den Facebook-Post der FRANKFURTER NEUEN PRESSE Online. Dieser lautete: „Asteroid rast auf die Erde zu: Experten rechnen mit Einschlag im Jahr 2022“.

Queen vor Grabkreuz war Fotomontage

DIE AKTUELLE erhielt eine Rüge für die Veröffentlichung einer Fotomontage auf der Titelseite, die die englische Königin vor einem Grabkreuz zeigt. Die dazugehörige Schlagzeile lautete „Queen Elizabeth (95) – Heimweh nach Philip! – Einsame Stunden am Grab“ und erweckte den Eindruck, dass es sich bei der Montage um ein dokumentarisches Foto der Königin am Grab ihres verstorbenen Gatten handelt.

Das Bild der Königin war jedoch in Wirklichkeit bei einer Begutachtung von Pferden auf Schloss Windsor aufgenommen worden. Der Presserat erkannte hier eine Irreführung der Leser, da die Fotomontage nicht den Anforderungen von Ziffer 2, Richtlinie 2.2 des Pressekodex gemäß als solche gekennzeichnet war.

Manipuliertes Foto veröffentlicht

OVB24.de wurde gerügt für die Veröffentlichung eines Fotos vom Fundort einer Frauenleiche. Der Fotograf hatte nach Beendigung der Arbeit von Kripo und Spurensicherung den Fundort selbst mit Absperrband versehen – offenbar um die fotografierte Szene dramatischer zu gestalten. Auf die Manipulation hatte der Fotograf hingewiesen, als er der Redaktion das Bild anbot. Diese hatte den Hinweis aber übersehen und das Foto ohne eine Angabe zu der Manipulation veröffentlicht. Der Beschwerdeausschuss bewertete dies als schwere Sorgfaltspflichtverletzung nach Ziffer 2 des Pressekodex.

Rüge für ungeprüfte Zitate eines Bundeswehroffiziers

Der NORDBAYERISCHE KURIER wurde für die Berichterstattung „Wir schaffen Parallelgesellschaften“ wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 12 des Pressekodex gerügt. Die Redaktion hatte Erinnerungen eines Bundeswehroffiziers veröffentlicht, der von einem mehrere Jahre zurückliegenden Afghanistan-Einsatz berichtet und dabei diskriminierende Verallgemeinerungen über die dortige Bevölkerung äußert. Der Ausschuss bemängelte die fehlende redaktionelle Distanz. Die Redaktion hätte die Aussagen für die Leserschaft gegenrecherchieren und einordnen müssen.

Sorgfaltsverstöße bei Berichterstattung über Sido

BILD.DE erhielt eine Rüge für die Berichterstattung über den Rapper Sido. In einem Beitrag wurde behauptet, der Rapper habe ein Kamerateam, das ihn am Gartenzaun seines Wohnhauses interviewen wollte, als „Wichser“ bezeichnet und damit sexuell belästigt. In dem Video von der Szene fand sich, wie die Redaktion einräumte, aber kein Beleg für diese Äußerung.

Bei einem der Videos wurde nachträglich eine geänderte Tonspur eingefügt und damit der Reporterin ein Satz in den Mund gelegt, den sie in der gezeigten Situation nicht gesagt hatte. Dies bewertete der Beschwerdeausschuss als schwere Sorgfaltspflichtverletzungen nach Ziffer 2 des Pressekodex.

Redaktion macht einzelnen Richter für Urteil des Senats verantwortlich

BILD.DE wurde für einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex gerügt. Unter der Überschrift „Von diesem Richter werden wir zur Kasse GEZwungen“ berichtete die Redaktion über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anordnung der vorübergehenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags.

Durch die Kombination der Überschrift und einem darunter veröffentlichten Foto des Richters schrieb die Redaktion diesem alleine die Gebührenerhöhung zu, obwohl der Senat und damit ein mehrköpfiges Gremium darüber entschieden hatte. In dieser nicht vom Sachverhalt gedeckten Personifizierung erkannte der Beschwerdeausschuss eine Falschdarstellung mit hohem Wirkungspotenzial und damit einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex.

Fotos von jugendlichen Unfallopfern veröffentlicht

BILD.DE und BILD wurden gerügt für die Veröffentlichung von Fotos von Jugendlichen, die bei einem Autounfall gestorben waren. Unter der Überschrift „Drei Freunde sterben nach Disco-Nacht im Feuerwrack“ zeigte BILD.DE vier Stunden lang Porträtfotos der drei Verunglückten, ohne dass hinsichtlich aller Opferfotos eine Einwilligung der Angehörigen vorlag.

In der gedruckten Ausgabe waren die Opfer unter der Überschrift „Tod von drei Freunden” zwar verpixelt, aber nach Ansicht des Ausschusses für einen erweiterten Personenkreis noch erkennbar dargestellt. Damit verstieß die Redaktion gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex, wonach bei der identifizierenden Darstellung von Opfern eine Einwilligung von Angehörigen vorliegen muss.

Eltern eines vermissten Mädchens gezeigt

Eine Rüge erhielt BILD.DE für die Abbildung der leiblichen Eltern eines verschwundenen Mädchens. Unter der Überschrift „Wir haben die vermisste Shalomah (11)!“ berichtete die Redaktion über die Suche nach einem Kind, das bei einer Pflegefamilie lebt. Laut dem Bericht bestand der Verdacht, dass Shalomah bei ihren leiblichen Eltern sei, die einer sogenannten „Prügel-Sekte“ angehörten, in der Kinder misshandelt werden. Die offensichtlich ohne deren Zustimmung erfolgte Abbildung der Eltern in Verbindung mit dem Verdacht der Misshandlung verstieß gegen deren Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Erwähnung eines Firmennamens war Schleichwerbung

Eine Rüge wegen einer Verletzung des in Ziffer 7 Pressekodex festgeschriebenen Grundsatzes der klaren Trennung von Redaktion und Werbung sprach der Presserat gegen BILD.DE aus. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Ich fuhr mit acht Wein-Schorlen und zwei Long Island Ice Tea“ über den ehemaligen Profifußballer Andreas Brehme berichtet und mitgeteilt, dass dieser an einer Firma beteiligt ist, die psychologische Fahr-Eignungstests durchführt. Die Nennung dieses Unternehmens war nach Ansicht des Presserats nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt und überschritt die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Pressekodex.

Lotterie-Logo über Artikel platziert

Die AUTO ZEITUNG wurde für die mehrfache Nennung eines Lotterieanbieters in einem redaktionellen Beitrag gerügt. Die Redaktion hatte unter dem Titel „Sportprogramm“ über den Besuch eines Lotteriegewinners bei einem Fahrzeugtest der Redaktion informiert. Über dem Beitrag wurde das Logo des Lotterieanbieters, der zudem Werbekunde des Verlags war, veröffentlicht und im Text mehrfach auf ihn hingewiesen. Auch hier erkannte der Presserat Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex.

Werbung für Anwälte und Ärzte nicht gekennzeichnet

Die WILHELMSHAVENER ZEITUNG wurde gerügt, weil sie Listen von Anwaltskanzleien, Ärzten und Immobilien- bzw. Steuerberatern veröffentlicht hatte, bei denen der Eindruck entstehen konnte, es handele sich um redaktionelle Servicedienstleistungen. Die Beiträge waren jedoch bezahlte Anzeigen, die für die Leser nicht als solche erkennbar waren und die Anforderungen der Richtlinie 7.1 des Pressekodex nicht erfüllten.

Schleichwerbung für Medizin-Präparate

TV HÖREN UND SEHEN wurde wegen mangelnder Trennung von Werbung und Redaktion nach Ziffer 7 des Pressekodex gerügt. Das Magazin hatte in Artikeln unter den Überschriften „Dem Kopfschmerz keine Chance geben“ sowie „Schmerzen bei Knie-Arthrose stoppen“ jeweils ein Präparat namentlich genannt, ohne dass dies, beispielsweise durch Nennung eines Alleinstellungsmerkmals, hinreichend begründet gewesen wäre. Damit überschritt die Veröffentlichung die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Pressekodex deutlich.

Mangelnde journalistische Distanz in Bericht über Pickups

Wegen Schleichwerbung nach Ziffer 7 des Pressekodex gerügt wurde das Magazin PICKUP CAMPER. Dem Beschwerdeausschuss lagen mehrere Artikel einer Heftausgabe zur Prüfung vor. Das Gremium stellte teilweise mangelnde journalistische Distanz zu den in den teilweise werblich formulierten Artikeln genannten Unternehmen fest. Die vorgestellten Leistungen der Anbieter wurden nicht oder nicht hinreichend im Wettbewerb eingeordnet. Die Artikel überschritten gemäß Richtlinie 7.2 des Pressekodex somit deutlich die Grenze zur Schleichwerbung.

Statistik

Insgesamt behandelt wurden 110 Beschwerdeakten, wovon 66 als begründet und 33 als unbegründet erachtet wurden. Zu den Maßnahmen zählen 15 öffentliche Rügen, 19 Missbilligungen und 26 Hinweise. 6 Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet, weil die Redaktion ihre Berichterstattung bereits korrigiert hatte. Bei 11 Fällen handelte es sich um Wiederaufnahmeanträge bzw. Einsprüche.

Den aktuellen Stand der Rügen-Veröffentlichungen aus den vergangenen Sitzungen können Sie hier einsehen: https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2021

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