Am Donnerstag, 10. Juli, fand im Neuen Rathaus das Auwald-Forum statt. Unter dem viel versprechenden Titel "Auwald braucht Wasser". Fast hätte man den Eindruck haben können, die Verantwortlichen im Umweltdezernat der Stadt Leipzig haben es endlich begriffen, dass sie ihre Politik ändern müssen. Aber zwei Vorträge in der Mittagszeit genügten, um den 100 Teilnehmern des Forums zu zeigen, dass mit dieser Verwaltungsbesetzung der Auwald nicht zu retten ist.

Dabei hatte der Tag mit einem Hoffnungsschimmer begonnen. Ulrich Detering, Lehrbeauftragter an der FH Höxter, berichtete über die Renaturierung der Lippe-Aue im Kreis Soest. In den Vorjahren war die Lippe ganz ähnlich wie Flüsse in Sachsen begradigt, vertieft und in ein Steinbett gezwungen worden. Ursprünglich – man denke an den Leipziger Eiertanz um den Elster-Saale-Kanal -, um den Fluss schiffbar zu machen. Doch als man damit Mitte des 20. Jahrhunderts fertig war, war das Flussprojekt längst nicht mehr wettbewerbsfähig. Eisenbahn und Lkw konnten den Transport schneller und preiswerter abwickeln. Der Fluss aber steckte im Korsett und schnitt sich über die Jahre immer tiefer in sein Bett. Da es anderen Flüssen in NRW genauso ging, beschloss das Land 1990 ein weit greifendes Renaturierungskonzept. Das kam auch der Lippe zugute. Das Steinbett wurde entfernt, der alte, mäandernde Lippelauf wurde wieder frei gemacht und weit reichende Uferstücke wurden aufgekauft und wieder der Aue zugefügt.

Das Projekt bekam auch Unterstützung der Stadt Lippstadt, die 1965 eine Überflutung erlebt hatte, die die Lippstädter wach machte. Das Wasser drückte sich durch alle technischen Bauwerke in die Stadt. Ein Grund dafür war schlicht: Ihm fehlte jede Möglichkeit der Ausbreitung – die Aue. In einem Großprojekt wurde diese Aue wieder hergestellt und zeigt sich nun wieder wie eine echte Aue: An durchschnittlich 30 Tagen im Jahr ist sie überflutet. Dafür wird Lippstadt verschont. Und es können sich wieder auentypische Populationen entfalten. Und während die eingemauerte Lippe sich über die Jahre mit hoher Durchströmgeschwindigkeit immer tiefer in ihr Bett fraß, verändert die mäandernde Lippe zwar ständig ihre Ablagerungen – aber dadurch, dass angeschwemmte Sedimente sich ablagern können, bleibt der Fluss über die Jahre auf gleicher Höhe.

Die Karten der Lippe-Aue sehen ein wenig aus wie die Aue der Weißen Elster im Leipziger Nordwesten. Es gibt also ein existierendes Bild davon, was in der Leipziger Nordwestaue, zu der auch die Burgaue gehört, getan werden könnte, wenn man sich vom technischen Denken der 1960er und 1970er Jahre trennen würde. Und 2004 war man eigentlich in Leipzig soweit. Damals schrieb man ins neue Hochwasserschutzkonzept, das im Gefolge der Flut von 2002 entstand, die Priorität einer dynamischen Aue. Das sollte eigentlich die nächsten Jahre der Arbeitsschwerpunkt sein.

Doch ab 2011 erlebten die Leipziger Schlag auf Schlag, dass sowohl die verantwortlichen Ämter der Stadt als auch die zuständige Landetalsperrenverwaltung den Ansatz von 2004 völlig über Bord geschmissen hatten und nur noch eine Strategie verfolgten: Ertüchtigung der alten Deiche und Wehre und ihre Verstärkung für den Fall eines Hochwassers vom Kaliber HQ 150. Das Erstaunliche ist: Davon war bis 2014 nicht mal öffentlich die Rede. Erst seit einigen Monaten wiederholen die Zuständigen dieses Versprechen der sächsischen Staatsregierung, die Großstädte gegen 150-jährige Hochwasser schützen zu wollen, wie ein Mantra.
Dabei ist Leipzig durch das Überlaufwerk Zitzschen seit Mai 2013 gegen ein solches Hochwasser tatsächlich geschützt. Über 18 Millionen Kubikmeter Wasser können mit diesem Überlaufwerk aus der Weißen Elster in den Zwenkauer See geleitet werden. Und im Dezember 2014 soll auch das Ablassbauwerk fertig sein, so dass diese Wassermenge nach einem Hochwasser auch wieder in die Weiße Elster ablaufen kann. Es ist nicht die Burgaue, die für den Leipziger Hochwasserschutz notwendig ist. Auch wenn Leipzigs zuständige Ämter immer wieder ebenso wie ein Mantra wiederholen, die Nutzung der Burgaue als Polder sei für den Leipziger Hochwasserschutz unabdingbar.

Dafür ist auch das Nahleauslassbauwerk nicht gebaut worden. Und da wurde es natürlich erstaunlich lebendig am Donnerstag, 9. Juli, als kurz vor der Mittagspause Holger Seidemann, Vorstandsmitglied des Leipziger Ökolöwen, seinen Vortrag hielt, in dem er unter anderem auch die Betriebsrichtlinie für das Nahleauslassbauwerk zitierte, in dem festgelegt ist, dass es ab einem Hochwasser der Größenklasse HQ 25 geöffnet werden soll. Ein Fakt, den die städtischen Verantwortlichen keineswegs abstritten, als sie nach dem Vortrag sehr vehement zum Mikrofon griffen. Auch wenn man durchaus streiten kann, ob das Auslasswerk schon bei einem HQ 25 geöffnet werden muss oder doch erst bei einem HQ 100.

Die Anweisung, es bei einem HQ 25 schon zu öffnen, hat mit den Luppedeichen zu tun. Die wurden vor Jahrzehnten für ein Hochwasser maximal der Größenklasse HQ 25 gebaut. Insbesondere der linke Luppedeich brauchte die Flutung der Burgaue ganz notwendig, um den Deich zu stabilisieren. Das alles hat damit zu tun, dass das Nahleauslasswerk nie für den Leipziger Hochwasserschutz gedacht war, sondern zur Sicherung des elsterabwärts gelegenen Tagebaus Merseburg. Der sollte vor einer Überschwemmung geschützt werden. Den Tagebau gibt es nicht mehr, das Auslasswerk hätte also einfach zurückgebaut werden können.

Müsste es sogar, sagte Holger Seidemann, wenn die Stadt ihr Versprechen von 2004, wieder eine dynamische Aue herzustellen, auch nur im Ansatz ernst nehmen würde. Dann könnten nicht nur die großen Hochwasser (ab HQ 25) in die Aue, sondern auch die kleinen vom normalen Frühjahrshochwasser über HQ 5 und 10 aufwärts. Denn die Aue lebt von recht regelmäßigen Überflutungen. Die bringen auch jene Sedimente mit, die die Aue erst fruchtbar machen. Ist die Aue abgedeicht, wird das alles weggespült – flussabwärts ins Meer.

Bleiben die Überschwemmungen aus, verändert sich die Aue und ist irgendwann keine mehr. Deswegen heißt dynamisch eben nicht: Fluten per Öffnung des Auslasswerks, sondern zugängig machen für natürliche Überschwemmungen.

“Aber wir haben aus Halle jedes Mal ein Dankesschreiben bekommen”, sagt Angelika von Fritsch, die Leiterin des Umweltamtes, am Mikrofon. Hat die L-IZ also eine Anfrage an Halle gestellt und wartet jetzt auf Antwort.

Und warum greift Dietmar Richter, Leiter der Leipziger Wasserbehörde im Leipziger Umweltamt, so aufgeregt zum Mikro? – Auch er will Holger Seidemann korrigieren. Und ist richtig wütend. “Die Deiche an der Luppe sind nicht nur für HQ 25 ausgelegt. Als sie 2011 ertüchtigt wurden, wurden sie für 430 m3/s verstärkt. Weil Leipzig für ein HQ 150 gesichert wird, wie es uns die Landesregierung zugesichert hat.”

Dabei war das Forum doch angesetzt, um eine Verständigungsbasis herzustellen. Und dass die Burgaue mit dem Hochwasserschutz für Leipzig nichts zu tun hat, steht immer noch fest. Dass sie andererseits seit 80 Jahren trocken fällt, ist Fakt. Auch deshalb hatten SPD und CDU den Antrag gestellt, den Bau des neuen Nahleauslasswerks zu stoppen. Als Gegenleistung bekamen sie das Auwaldforum. Doch statt ein Konzept zur Diskussion zu erarbeiten, geht Leipzigs Umweltdezernat auf Konfrontation. Was ist da los?

Wir hören weiter zu.

Zum Teil 2 vom 13. Juli 2014 auf L-IZ.de
Keine Einigung beim Auwald-Forum (2): Wurde das Nahleauslasswerk 2013 vorschriftswidrig viel zu spät geöffnet?

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