Eigentlich stand der Beschluss um die Sanierung der Asylbewerberunterkunft in der Torgauer Straße 290 schon am 21. Januar auf der Tagesordnung des Stadtrates. Doch dann wurde die Sitzung abgebrochen, weil just an desem Tag Legida und Nolegida in der City demonstrierten. Also kommt der Beschluss am 25. Februar wieder auf der Tagesordnung. Eine heftige Diskussion ist zu erwarten.

Nicht nur die Linksfraktion läuft Sturm gegen das Sanierungsprojekt, bei dem die Stadt 5,8 Millionen Euro ausgeben will, um die beiden Wohnblöcke aus den 1970er Jahren für die weitere Nutzung zu ertüchtigen. Eine Petition gibt es mittlerweile ebenso, die gegen die Fortführung der “Massenunterkunft” Stellung bezieht. Und gravierende Änderungen am Projekt wollen auch die Grünen. Alle berufen sich auf den Stadtratsbeschluss von vor drei Jahren, der eine endgültige Schließung der Einrichtung vorsah. Und sie zitieren auch gern OBM Burkhard Jung, der eine Schließung der Einrichtung als endgültig beschrieb.

Doch jeder Blick in die Zeitung zeigt: In diesen drei Jahren hat sich einiges geändert. “2012 passte das Konzept zur Schließung der Torgauer völlig in die Zeit. Kein Mensch konnte damals ahnen, wie sich die Flüchtlingszahlen in Sachsen verändert haben”, sagt Martina Kador-Probst, Leiterin des Sozialamtes, in deren Regie die Unterbringung von Asylsuchenden in Leipzig organisiert wird. 2012 war das Jahr, in dem auch Leipzigs Verwaltung gute Chancen sah, binnen kurzer Zeit die dezentrale Unterbringung der Asylsuchenden zur Regel machen zu können und auf die zentralen Unterbringungen in der Torgauer Straße und der Liliensteinstraße in Grünau verzichten zu können. Seit Jahren waren deutschlandweit die Zahlen der Asylsuchenden gefallen – auch ein Ergebnis der drastischen deutschen Gesetzgebung. Doch dann brachen mit aller Macht die neuen Konflikte im Nahen Osten, in Nordafrika und in den Randregionen Russlands aus. Die Zahl der Asylbewerber schnellte in Sachsen und Leipzig in die Höhe.

Hatte Leipzig 2011 noch 260 Menschen zur Unterbringung zugewiesen bekommen, waren es 2012 schon 382, ein Jahr später 652. Und seit 2014 brennt eigentlich die Luft, auch wenn es gerade die Staatsregierung die ganze Zeit lieber unter der Decke hielt und den Sachsen suggerierte, dass die heftigen Kriege in der Welt den Freistaat nicht betreffen würden. Im Gegenteil: Der Innenminister rühmte sich einer rigiden Abschiebepraxis.

Doch tatsächlich steht auch Deutschland in der Pflicht, Menschen aus den Konfliktgebieten zumindest Asyl zu gewähren für eine gewisse Zeit. Und zwar in menschenwürdigen Unterkünften. Nicht nur in Sachsen ist das ein Problem. “Das Problem haben derzeit alle Kommunen in Deutschland”, stellt Kador-Probst fest. “Sie haben in den vergangenen Jahren alle ihre Kapazitäten abgebaut und haben jetzt ein Problem, überhaupt noch Raum für die unterzubringenden Personen zu finden.”

Und Leipzig habe dabei sogar noch Glück – weil es die Unterkunft in der Torgauer Straße noch zur Verfügung hätte. “Die Alternativen wären Container oder Zelte”, sagt die Amtsleiterin. “Ich weiß nicht, wo wir das hätten einrichten sollen.”

Denn 2014 hat sich die Anzahl der Leipzig zugewiesenen Flüchtlinge noch einmal fast verdoppelt: auf 1.232.

“Und es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir auf eine zentrale Unterbringung nicht verzichten können”, sagt Kador-Probst. “Der sächsische Gesetzgeber hat es uns zur Pflicht gemacht, die Menschen bei ihrer Ankunft in Leipzig erst einmal zentral unterzubringen.” Das sei für viele der Asylsuchenden auch wichtig, um ihnen erst einmal eine Orientierung in der Stadt zu geben. “Erst danach dürfen wir sie in kleinere Einheiten umziehen lassen”, sagt die Amtsleiterin. Auch da sei es eher die Regel, dass die Asylsuchenden erst einmal in die überall im Stadtgebiet verteilten dezentralen Unterkünfte kämen, in der Regel Häuser, in denen auch eine weitere Betreuung gewährleistet ist. “Manche Betroffene wollen auch gar nicht umziehen, manchmal auch schon, weil sie gesundheitlich nicht in der Lage dazu sind. Man darf ja auch nicht vergessen, aus welcher Situation diese Menschen oft nach Leipzig kommen”, so Kador Probst.

Andere wären recht schnell bereit, auch den Schritt in eine eigene Wohnung zu gehen. “Aber das sind eben nicht alle. Manche fühlen sich davon schon überfordert.”

Die Asylbewerberzahlen von 2014 aber könne man mit dezentralen Unterbringungen nicht mehr bewältigen. “Wir tun ja alles, was wir können. Aber wir haben schon jetzt Schwierigkeiten, geeignete Objekte zur dezentralen Unterbringung zu finden”, stellt die Amtsleiterin fest. Angebote bekäme das Sozialamt zwar genug. Aber die meisten seien für eine Unterbringung der Asylbewerber gar nicht geeignet, viele wären – auch wenn sie als Wohnungsleerstand deklariert sind – nicht einmal als “bewohnbar” zu bezeichnen.

Um die steigenden Bewerberzahlen aufzufangen, sei Leipzig jetzt geradezu darauf angewiesen, die Wohnblöcke in der Torgauer Straße zu sanieren. Bewohnt sind sie beide. Nur in einem sind mittlerweile drei Aufgänge leer gezogen. Damit würde die Sanierung beginnen, wenn der Stadtrat am 25. Februar grünes Licht gibt. “Und ich möchte unbedingt betonen: Es ist keine Massenunterkunft. Das sind zwei ganze klassische DDR-Wohnblöcke mit sechs separaten Aufgängen und zwei abgeschlossenen Wohnungen auf jeder Etage. Und dass die Schließung beschlossen wurde, hat auch damit zu tun, dass eine Sanierung überfällig ist. Das betrifft den Brandschutz genauso wie Elektrik, Heizung, Fenster. Da muss dringend etwas getan werden. Fassadendämmung ist mit vorgesehen und am Ende sollen die Wohnblöcke wesentlich freundlicher aussehen als jetzt. Der äußere Eindruck täuscht wirklich.”

Nur hat die flotte Verschiebung in der Januar-Sitzung des Stadtrates dazu gefährt, dass sämtliche Planungen gestoppt werden mussten und bis zum 25. Februar auf Eis liegen. “Deswegen kann ich jetzt auch nicht mehr sagen, wann wir mit der Sanierung beginnen können”, sagt die Amtsleiterin. “Wenn wir noch vor dem Sommer beginnen könnten, wäre das gut.”

Denn tatsächlich drängt die Zeit, denn für 2015 rechnet Kador-Probst mit mindestens der gleichen Zahl von Asylbewerbern in Leipzig wie im Vorjahr. Und aktuell klafft eine deutliche Lücke: Rund 600 Plätze zur Unterbringung der Asylbewerber fehlen. Sind einfach nicht da. Was auch bedeutet, dass die Suche nach geeigneten Immobilien zur dezentralen Unterbringung unvermindert weiter  geht.

“Wir sind doch selbst daran interessiert, diese Menschen so weit wie möglich in unsere Stadt zu integrieren”, sagt Martina Kador-Probst. “Und ich erinnere daran, dass wir mit der Unterbringung der Asylsuchenden in eigenen Wohnungen schon zu einer Zeit begonnen haben, als das in Sachsen überhaupt noch nicht auf der Tagesordnung stand. Wir waren da Vorreiter. Auch weil wir wissen, dass sich so die Menschen, die länger bei uns bleiben, auch viel besser in die Stadt integrieren lassen.”

Doch den gegenwärtigen Ansturm könne Leipzig nur abfangen, indem die Stadt drei zentrale Unterkünfte betreibe – neben der in der Torgauer Straße weiter die in der Liliensteinstraße und die in der Riebeckstraße. Die Torgauer ist dabei natürlich die größte. Aktuell sind hier 390 Menschen untergebracht. Wenn die beiden Wohnblöcke komplett saniert sind, können es wieder bis zu 500 sein.

Und selbst wenn sich die Flüchtlingsproblematik entspannen sollte in den nächsten Jahren, könne Leipzig gar nicht auf den Standort verzichten. “Da sind wir wieder bei den Kapazitäten”, sagt Kador-Probst. Leipzig wächst. Und das bedeute auch höheren Bedarf an Gebäuden im Zugriff der Stadt – etwa für Studentenwohnheime oder für Sozialwohnungen.

Verbessern soll sich in der Torgauer Straße auch das sonstige Angebot: die Außenflächen sollen gestaltet werden, eine ordentliche Begrünung soll hin, ein Bolzplatz soll entstehen und in einem flachen Mehrzweckgebäude sollen neue Gemeinschaftsräume geschaffen werden. Mit der Humancare GmbH hat man seit dem 1. Januar auch einen neuen Betreiber.

Und die Sanierung sei sogar leicht zu bewerkstelligen. Die Normbauten aus DDR-Zeiten seien geradezu ideal dafür geeignet.

Wie stark der Druck mittlerweile ist, benennt Kador-Probst auch: “Allein im Dezember haben wir 400 Menschen aufgenommen.”

Zum Jahresende waren 2.446 Asylsuchende in Leipzig untergebracht. Und – so betont die Amtsleiterin – 1.245 davon in eigenen Wohnungen. “Unser Ziel ist es, die Betroffenen binnen sechs Monaten in eigenen Wohnungen unterbringen zu können.”

Und sie sagt auch: “Es gibt keine Alternativen für die Torgauer. Wir haben wirklich im ganzen Stadtgebiet gesucht.” Ein Objekt hatte die Stadt in Dölitz gefunden – doch das ehemalige Lehrlingsheim hat am Ende der Freistaat der Stadt vor der Nase weggeschnappt, um dort nun die Leipziger Erstaufnahmeeinrichtung unterzubringen.

Martina Kador-Probst hofft jetzt fest auf eine Zustimmung des Stadtrates zur Sanierung der Torgauer 290. Dann könnten die beiden Wohnblöcke in vier Bauabschnitten saniert werden und die Wohnbedingungen der dort Untergebrachten würden sich deutlich verbessern.

So nebenbei soll dann auch der martialische Zaun ersetzt werden durch einen schlichteren Metallzaun.

Und die Stadt würde auch weiter Gebäude in Leipzig suchen, die sich für eine dezentrale Unterbringung eignen. “Wer immer solche Gebäude im Angebot hat, kann sich bei uns melden.”

Die Vorlage der Verwaltung zur Sanierung der Torgauer Straße 290 als pdf zum Download.

Die jüngste Petition zur Torgauer Straße 290 als pdf zum Download.

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Nicht nur die Linksfraktion läuft Sturm gegen das Sanierungsprojekt, bei dem die Stadt 5,8 Millionen Euro ausgeben will, um die beiden Wohnblöcke aus den 1970er Jahren für die weitere Nutzung zu ertüchtigen. Eine Petition gibt es mittlerweile ebenso, die gegen die Fortführung der “Massenunterkunft” Stellung bezieht.

Wie weltfremd muss man sein, um (leider) die Notwendigkeit dieses Vorhabens zu begreifen. Keiner konnte diese schlimme politische Entwicklung in der Welt so vorhersagen. Es gibt ausreichend andere Themen in Leipzig, wo sich “Die Linke” und “Die Grünen” hervorragend einbringen könnten.

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