Kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt und dem Weg in den wohlverdienten Ruhestand hat Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, noch einen langen, sogar sehr langen Brief geschrieben: Vier Seiten, um zu erklären, wie gut man mit den Naturschutzverbänden doch bei der Revitalisierung des Auenwaldes im Gespräch sei. Kann nicht sein, stellt jetzt Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKla e.V., fest.

Er hat gleich ein zweiseitiges Antwortschreiben verfasst, in dem er sich besonders irritiert zeigt über die Aussage, man sei in guten Gesprächen. Zu sehr klafft für ihn der Anspruch, den Auwald als Schutzgut zu bewahren und auch wirklich zu revitalisieren, mit dem, was tatsächlich umgesetzt wird, auseinander.

“Auch die Vertreter der Stadt Leipzig werden nicht müde, den Leipziger Auwald als das darzustellen, was er ist – ein europaweit einmaliges, ökologisch notwendiges urbanes Auensystem”, sagt der Vorsitzende des Nukla e.V.. “Leider folgen den verbalen Äußerungen keine (politischen) Taten. Obwohl die Verwaltung nicht müde wird zu betonen, dass man gemeinsam mit den Umweltverbänden an einer Renaturierung des Leipziger Auwaldes arbeiten müsse, geschieht genau dies in Wahrheit bis jetzt noch nicht.”

Die Umweltverbände hätten deshalb schon im März 2014 eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der die Verwaltung aufgefordert wird, eine gemeinsame Strategie zur Entwicklung der Nordwestaue/Burgaue in Verbindung mit der Neuerrichtung des Nahleauslassbauwerkes und dem Projekt “Lebendige Luppe” zu entwickeln.

“Wie zu besichtigen, ist das Nahleauslasswerk in unveränderter Funktion neu gebaut worden. Was nicht durch die Stadt Leipzig, sondern die Landestalssperrenverwaltung (LTV) zu verantworten ist”, kommentiert Stoiber trocken. “Jedoch der politische Widerstand der Stadt Leipzig gegen diese unveränderte, den falschen technischen Hochwasserschutz zementierende Sanierung unterblieb.”

Was übrigens auch Inge Kunath in ihrem Schreiben indirekt bestätigt, wenn sie erklärt, Leipzig habe schlicht auf das Hochwasserschutzkonzept des Freistaates Sachsen reagiert.

“Für die Bildung der Verwaltungsmeinung war u. a. das im Jahr 2005 bestätigte Hochwasserschutzkonzept (HWSK) Weiße Elster des Freistaates Sachsen zu berücksichtigen.” Daraus habe man dann sechs verschiedene Varianten abgeleitet und bewertet. “Als Vorzugslösung wurde, unter Berücksichtigung einer 2D-Modellierung, die Variante herausgearbeitet, die u. a. den Neubau des Nahleauslassbauwerkes zum Inhalt hatte. Diese Vorzugsvariante hat das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft mit Schreiben vom 18.08.2009 bestätigt.”

Es gab also auch Varianten ohne neues Auslassbauwerk.

Und der Amtsleiterin des Amts für Stadtgrün und Gewässer war sehr wohl bewusst, dass diese “Vorzugsvariante” bestenfalls ein kleiner Schritt ist zur Revitalisierung der Aue. Sie deutet auch an, dass es von Landesseite erheblichen Druck gab, die “Vorzugsvariante” umzusetzen. Technischer Hochwasserschutz hatte – wie in ganz Sachsen – auch hier “Priorität”. Die Chance zu nutzen, eine echte und nachhaltige Öffnung der Aue zu prüfen, hat man gar nicht in Erwägung gezogen.

Auch das klingt in Inge Kunaths Brief an: “In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass zur schnellstmöglichen, stufenweisen Sicherung des Hochwasserschutzes in den angrenzenden Siedlungsbereichen und Infrastruktureinrichtungen die planungs- und genehmigungsseitige Umsetzung, darunter u. a. die Instandsetzung des Nahleauslassbauwerkes vorrangig voranzutreiben sei.” Das “in diesem Zusammenhang wurde ausgeführt” bezieht sich ja aufs Sächsische Umweltministerium. Von dort gab es also einen gewissen Druck. Was nicht überrascht, denn so hat das Ministerium  ja überall in Sachsen agiert: technischer Hochwasserschutz vor nachhaltigem Schutz. Öffnung von Überschwemmungsflächen und Poldern war nicht das Ziel. Das Ziel hieß: feste Deiche, funktionierende Technik.

Und da dieser Pflock nun mal eingeschlagen war, hat sich alles andere in der Leipziger Aue dem fügen müssen.

Als Prüfkriterium stand tatsächlich das Wort “Wirtschaftlichkeit” da. Entweder können ein paar Leute nicht rechnen – oder sie haben wieder nur fürs nächste Hochwasserereignis gerechnet und die hohen Kosten für die Revitalisierung des Auwaldes unterschlagen. Denn der muss ja nun künstlich gewässert werden. Was das Projekt “Lebendige Luppe” allein nicht schaffen wird.

Stoiber hält den Erfolg des Projekts “Lebendige Luppe” durch die Erfahrungen mit dem Burgauenbach für mehr als fraglich. “Umso mehr, als dass ein wesentlicher Mangel, die weitere Entwässerung durch die als Drainage für den nördlichen Auwald dienenden Neuen Luppe, unverändert fortbesteht”, sagt er. Die Neue Luppe hat sich mittlerweile so tief ins eigene Bett gefräst, dass sie aus den angrenzenden Auewaldstücken das Wasser regelrecht abzieht. “Auch vor dem Hintergrund, dass der Erfolg des Projekts ‘Lebendige Luppe’ durchaus unsicher ist, da es entgegen den Äußerungen der Stadtverwaltung durchaus zweifelhaft ist, dass die mit dem Projekt postulierten Ziele einer dauerhaften, also nachhaltigen Revitalisierung und Dynamisierung der Nordwestaue erfolgversprechend sind. Das Projekt als das zu bezeichnen, was es ist, ein Baustein einer gemeinsam gewollten nachhaltigen Entwicklung, die allerdings ohne Einbeziehung der Neuen Luppe und regelmäßiger Überschwemmungen auch aus dem Bereich der Parthe und ohne Einbeziehung des sogenannten Leipziger Gewässerknotens nicht zu leisten ist.”

Das Dilemma sprach Inge Kunath übrigens sogar an, auch wenn sie den Freistaat Sachsen hier als hartleibigen Verhandlungspartner nicht extra nannte.

“Aufgrund der bekannten Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen haben wir das Projekt ‘Lebendige Luppe’ als ersten Schritt bewusst im eigenen Wirkungs- und Zuständigkeitsbereich der Städte Leipzig und Schkeuditz angesetzt. Wir vertreten seit Jahren die Position (die Planungen zum Projekt ‘Lebendige Luppe’ begannen bereits im Jahr 2004), dass die Situation des Auwaldes dringend erste Maßnahmen erfordert, die nur zeitnah umgesetzt werden können, wenn wir dies zunächst in unserem eigenen Zuständigkeitsbereich unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingungen und Einbeziehung aller Akteure und Belange angehen.”

Was ja wohl im Klartext heißt: Mit dem Freistaat, der für die Gewässer 1. Ordnung zuständig ist (also in diesem Fall Weiße Elster, Nahle, Pleiße, Parthe), hat man über das Thema gar nicht erst diskutieren können. Dessen Vertreter, die Landestalsperrenverwaltung, hat strikt ihr Hochwasserschutzprogramm durchgezogen. Alles andere war ihr egal. Leipzig und Schkeuditz konnten nur hinter den Deichen tätig werden. Und jetzt versucht Leipzig mit der LTV zumindest, ein bisschen mehr Wasser in der Burgaue auszuhandeln.

Aber dass das Projekt “Lebendige Luppe” nicht mehr ist als ein Tropfen für die ausgetrocknete Aue, das haben die Umweltverbände jetzt schwarz auf weiß: “Festzustellen bleibt, das auch mit der Erhöhung der Wasserzufuhr im Projekt ‘Lebendige Luppe’, die begrenzt möglich sein wird, eine umfassende Auendynamisierung, die Sie fokussieren, wenn Sie an Ihrem Positionspapier von einer engen Verzahnung von Fluss und Aue sprechen, nicht erreicht werden kann.” Und etwas später im Text: “Was eine Gesamtvision für die Nordwestaue, ggf. auch darüber hinaus für das Leipziger Auensystem betrifft, so kann diese aus den genannten Gründen aktuell aber nicht im Rahmen des Projektes ‘Lebendige Luppe’ geleistet werden.”

Für Stoiber regelrecht verwirrend ist dann die Ankündigung der Amtsleiterin: “Auch ein Beitrag Ihrerseits, weitere Akteure und Belange, die für einen ernsthaft nachhaltigen Gesamtansatz erforderlich sind, konstruktiv einzubeziehen, wäre hilfreich. Die Bereitschaft des ASG und unserer Wissenschaftspartner, ein solches Projekt konstruktiv zu unterstützen, ist ebenfalls bereits am 21. 08. 2014 signalisiert worden.”

“In der Vergangenheit gab es leider genau das: verbale Äußerungen zur Entwicklung einer gemeinsamen Perspektive zur Auenvitaliserung in Verbindung mit einem geeigneten Hochwasserschutzkonzept, ohne dass diese tatsächlich erfolgte”, kommentiert Stoiber die Bemühungen, schon weit vor der Neubaugenehmigung fürs Nahleauslasswerk mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG) gemeinsam eine Gesamtstrategie für die Nordwestaue zu finden. “Es wurde lediglich informiert. Und es wurde beklagt, dass die LTV und somit der Freistaat Sachsen nicht gesprächsbereit sei. Eine mit den Umweltverbänden gemeinsam entwickelte Strategie, gar eine gemeinsame politische Stellungnahme gab es dagegen bis heute nicht.”

Womit Leipzig eindeutig seine Chance verspielte, die Revitalisierung der Aue zu einem politischen Thema zu machen und mit Unterstützung der Öffentlichkeit den Freistaat zu einer Gesamtlösung wenigstens für die Nordwestaue zu bringen. Man hat es auf Ämterebene klären wollen und dabei eindeutig am kürzeren Hebel gesessen.

Wolfgang Stoiber fordert nunmehr wiederum die Stadtverwaltung auf, den verbalen Äußerungen auch tatsächlich Taten folgen zu lassen.

Dass Inge Kunath die Flutung des Polders Burgaue beim Hochwasser 2013 nochmals als Erfolg hervorhebt, findet er bedenklich. Inge Kunath hatte dazu extra den Hochwasserbericht des Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW) angeführt – nicht zitiert. Sie lobt die “gesteuerte Inanspruchnahme des Polders” und die daraus folgende “wesentliche Entspannung der Hochwassersituation bis hin nach Halle”.

Im Bericht des LHW gibt es dazu zwei Stellen, die das Thema ansprechen. Die erste: “Zur Reduzierung des Hochwasserabflusses im Stadtgebiet Leipzig wurde am 3. Juni 2013 die gezielte Flutung des Zwenkauer Sees (130 m³/s) eingeleitet. Ebenfalls am 3. Juni 2013 erfolgte eine weitere Abflussreduzierung der Weißen Elster durch die Öffnung des Nahlewehres und der Flutung von Auenwaldpoldern (ca. 10 Mio m³).” Und wenig später: “An dieser Stelle ist zu bemerken, dass im Stadtgebiet Halle ohne die Maßnahmen zur Abflussreduzierung im Raum Leipzig insbesondere auch die Auenwaldpolderflutung, eine noch weitaus gefährlichere Situation entstanden wäre.”

Das Leipziger ASG interpretierte den Sachverhalt so, als hätte die Scheitelkappung der Hochwasserwelle durch die sturzartige Öffnung des Polders am 3. Juni die Lage in Halle gerettet.

Aber Stoiber fragt zu Recht, ob der selbe Effekt nicht auch durch eine völlige Öffnung der Überflutungsflächen in der Nordwestaue schon im Vorfeld eingetreten wäre. Vor dem Bau der Neuen Luppe und ihrer Deiche fasste die Nordwestaue übrigens deutlich mehr Wasser als die lächerlichen 10 Millionen Kubikmeter, die am 3. Juni in die Burgaue flossen.

Jetzt hofft Stoiber nur, dass die Stadt tatsächlich ernsthaft daran arbeitet, den “Erhalt des Leipziger Auwaldes (…) zu einem sächsischen Vorzeigeprojekt für die gemeinsame Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-, Wasserrahmen- und Hochwasserrisikomanagementrichtlinie unter Nutzung der Synergien” zu betreiben.

Der Brief von Inge Kunath an die Leipziger Naturschutzverbände.

Das Antwortschreiben des NuKLA e.V.

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