Da fühlte sich nicht nur Enrico Stange an ein anderes Land erinnert, als Bundesinnenminister Thomas de MaiziĆØre jetzt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (früher: WAZ-Gruppe) seine Visionen mitteilte, wie er āpotenzielle GewalttƤterā künftig von Demonstrationsteilnahmen abhalten wolle: mit strengen Meldeauflagen und elektronischen FuĆfesseln. Ist das schon Türkei? China? Abkupfern bei schlechten Vorbildern?
Aus der āZeitā zitiert: ā,Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfenā, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. āWir sollten ihnen auferlegen, sich in bestimmten zeitlichen AbstƤnden bei der Polizei zu melden oder ihnen notfalls FuĆfesseln anlegen. Bei hochaggressiven sogenannten FuĆballfans gehen wir doch auch so vor.āā
āDem Bundesinnenminister ist es in seinem Wahlkampfwahn offenbar egal, dass die Aufarbeitung der widerlichen Gewalt in Hamburg noch am Anfang steht und die Ermittlungsbehƶrden zunƤchst ihre Arbeit machen müssen. Wohlgemerkt: Der Innenminister spricht von āpotentiellen GewalttƤternā, nicht von überführten oder verurteiltenā, kommentiert Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Sachsen, diesen VorstoĆ des Bundesinnenministers.
āIm Rechtsstaat darf aber niemand aufgrund der bloĆen ā und durch den Staat getroffenen ā Annahme, er oder sie kƶnnte Straftaten begehen, in seinen Rechten beschnitten werden. Wo soll eine solche prƤventive Repression enden? Betrifft sie bald auch Menschen, die sich weniger Schwerwiegendes zuschulden kommen lassen, etwa Steuerbetrug oder Falschparken? Das mag absurd klingen, aber Ausnahmen von rechtsstaatlichen GrundsƤtzen bergen stets die Gefahr, dass weitere DƤmme brechen.ā
Was einen dann natürlich sofort an Sachsen erinnert und die nun seit 2011 systematischen Versuche, polizeiliche Ermittlungsbereiche deutlich über die rechtlichen Rahmensetzungen hinaus auszudehnen. Nicht ohne Grund wirkt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) oft wie der Zwilling des Bundesinnenministers, bereit, jede neue Erfindung für polizeiliche Ćberwachung auch in Sachsen sofort einzuführen.
Das hat ja nicht erst mit Hamburg begonnen.
Auch die Verdammung ā oder sollte man besser sagen: Kriminalisierung ā des linken Protestes begann nicht erst in Hamburg. Für Sachsen steht Dresden 2011 dafür im Fokus, als der damalige Einsatzleiter an mehreren Stellen aggressiv gegen friedlich Protestierende vorging und hinterher ein ganzer Reigen von Ermittlungen auch gegen Abgeordnete und Gewerkschafter entfesselt wurde, dessen Krƶnung der Prozess gegen den Jenaer Studentenpfarrer Lothar Kƶnig war. Der dann sensationell platzte, weil die vorgelegten Beweise der Polizei ganz und gar kein aggressives Handeln des Pfarrers belegten.
In diesen Rahmen gehört eigentlich, was jetzt eine ganze Reihe von Unionspolitikern zelebrieren. Ihnen kommen die Krawalle von Hamburg gerade recht. Wer einfach auf linke Randalierer wettern kann, der muss sich nicht mit den Ursprüngen der Proteste und ihren teilweisen Radikalisierungen beschäftigen.
Eindeutig aber verlƤsst der studierte Jurist de MaiziĆØre den gesetzlichen Boden, wenn er Menschen schon auf Verdacht hin mit FuĆfesseln ausstatten und zur regelmƤĆigen Meldung bei der Polizei verdonnern will. Das war eher typisch für eine Polizei, die einmal das Wƶrtchen āVolks-ā davor führte.
So verwandelt man einen Staat, der sich mit dem durchaus ernstzunehmenden PhƤnomen eines deutlich zunehmenden Globalisierungs-Protestes konfrontiert sieht, vƶllig ohne Not in einen Polizeistaat.
āDe MaiziĆØre will verschƤrfte Meldeauflagen und gegebenenfalls noch schƤrfere MaĆnahmen, um vermeintlich oder mutmaĆlich gewaltbereite Demonstrationsteilnehmer am Erreichen eines Demonstrationsortes zu hindern. Basieren soll das offenbar einzig auf Annahmen der Ermittlungsbehƶrden, nicht auf tatsƤchlichen Handlungen der oder des Betroffenen. Nicht irgendwer, sondern der Bundesinnenminister fordert also, das Versammlungsrecht abzuschaffen ā denn ein Grundrecht besteht nur solange es von allen beansprucht werden kann. De MaiziĆØre entpuppt sich endgültig als GefƤhrder von Demokratie und Rechtsstaatā, zieht Stange sein Fazit aus dem Agieren des Bundesinnenministers.
Statt Ruhe auszustrahlen und eine professionelle Arbeit zu machen, agiert er wie ein kleiner Provinzpolitiker, dem Strafen und DisziplinierungsmaĆnahmen gegen junge Leute gar nicht weit genug gehen kƶnnen. Stange weiter: āĆbrigens ist das verfassungsrechtlich hohe Gut, sich ohne Waffen und friedlich unter freiem Himmel zu versammeln, um damit in der Demokratie die eigene Meinung auszudrücken, nicht mit der persƶnlichen Neigung und reinen Privatsache eines FuĆballfans gleichsetzbar.ā
Was de MaiziĆ©re ebenfalls getan hat. Aber mit polizeilichen Auflagen werden auch gewalttƤtige FuĆballfans nur bedacht, wenn ihnen ihre Tat nachgewiesen und vom Gericht festgestellt wurde. Dazu sind nun einmal Gerichte da: Nur sie stellen eine Straftat fest und schƤtzen das notwendige StrafmaĆ ein, das mƶglicherweise verhindert, dass jemand wieder straffƤllig wird.
Was de Maizière fordert, ist tatsächlich schon staatliche Willkür.
Und natürlich die Ohnmacht einer Regierung, die ganze Themenbereiche nicht mehr diskutiert, regelrecht ausblendet und auch keine Lƶsungen vorschlƤgt. So, wie es für das ganze Thema Europa zutrifft. Denn dass die Treffen der MƤchtigen so viel Protest auslƶsen, hat nicht nur mit ihrer hermetischen Abschottung zu tun. Es hat auch damit zu tun, dass sie kaum noch Lƶsungen für die sozialen Probleme vieler Menschen ā und auch LƤnder ā anbieten.
Zumindest Emmanuel Macron, der neue franzƶsische StaatsprƤsident, hat ja jetzt endlich ein europƤisches Investitionsprogramm gefordert, an dem sich auch die Deutschen stƤrker beteiligen. Denn für die EU gilt nun einmal: Wenn die Probleme der Einzelnen gelƶst werden sollen, müssen sich alle darum kümmern ā auch und gerade die Starken. Und zu den Problemen der EU gehƶrt auch ihre falsche Struktur, die der EU-Kommission eine durch nichts kontrollierte wirtschaftliche Macht gibt, das EU-Parlament aber zu einer Art Bittsteller gemacht hat.
Die europƤische Demokratie steht auf dem Kopf.
Auch dafür steht Hamburg. Was Gewalt nicht legitimiert.
Aber auch das gehƶrt zum falschen VerstƤndnis der heute Regierenden: Dass das mit ihrer Politik so gar nichts zu tun hat.
Hat es aber doch. Politik, die selbst zu Konsens und Korrektur nicht mehr fähig ist, bekommt ihr Spiegelbild vorgesetzt. Und ein Bestreben, die Globalisierungs- und Freihandelspolitik überhaupt ernst zu nehmen, ist nirgendwo zu sehen. Man macht immer weiter. Als könnte man sich andere Wege zur Stärkung von Wirtschaft und Demokratie gar nicht vorstellen.
Was natürlich Hardlinern wie Thomas de Maizière in die Hände spielt. Denn wo man nicht mehr miteinander redet, da greift man dann zu den ratlosen Mitteln der Schwarzen Pädagogik. Denn nichts anderes ist das, was de Maizière und seine Freunde nun schon seit geraumer Zeit immer verbissener fordern und auch in die Beschlussdokumente ihrer Innenministerkonferenzen schreiben.
āBei jedem Politiker kommt irgendwann der Moment, in dem er seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen istā, sagt Enrico Stange. āThomas de MaiziĆØre scheint so weit zu sein. Angesichts seines heutigen Vorschlages ist offensichtlich, dass der Jurist de MaiziĆØre den Rechtsstaat nicht mehr versteht oder verstehen will ā und das ist die wohlwollende Lesart. Vielleicht wƤre de MaiziĆØre im Ruhestand besser aufgehoben.ā
Vielleicht. Aber wahrscheinlich wird sich dann ein ebenso rigoroser Nachfolger finden, der ebenfalls lieber demokratische Rechte einkassiert, nur damit ein politisch āalternativloserā Weg nicht durch Korrekturen und VerƤnderungen āaufgeweichtā werden muss. Da greift man lieber zum elenden Mittel der Eskalation und wertet damit die radikalisierten GewalttƤter erst so richtig auf. Alle Welt diskutiert jetzt über die āG20-Krawalleā, statt über die miserablen Ergebnisse dieses Treffens der mƤchtigen OhnmƤchtigen.
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